Norderstedt. Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder liest zur 750. Ausgabe der Hörzeitung für blinde und sehbehinderte Menschen.

„Sind sie bereit?“, fragt Tontechniker Thomas Klueß. Die Oberbürgermeisterin nickt, setzt die Brille auf, räuspert sich noch kurz und beginnt zu lesen. Elke Christina Roeder hatte sich den Bericht im Abendblatt vom Montag über die Stadtwette und das Konzert von Manfred Mann’s Earth Band ausgesucht. Geprobt hat sie nur einmal. Dennoch bewältigte sie die Aufgabe fehlerfrei, in knapp sieben Minuten war sie fertig. Dass die Verwaltungschefin vor dem Mikrofon Platz genommen hat und knapp sieben Minuten laut liest, liegt an einem Jubiläum: Es entsteht die 750. Hörzeitung.

Roeder gratulierte mit ihrem Lesebeitrag. „Ich finde es toll, dass sehbehinderte und blinde Menschen damit die Möglichkeit bekommen zu erfahren, was vor ihrer Haustür passiert“, sagte die Verwaltungschefin, die ein solches Projekt aus anderen Städten und Gemeinden nicht kenne und auch gleich Ideen für die digitale Zukunft der Informationen für die Ohren beisteuerte: „Die Hörzeitung könnte auch Teil der künftigen Norderstedt-App werden.“

Ohne ausreichend Geld ins Projekt gestartet

Techniker Thomas Klueßist von Beginn an dabei und sorgt dafür, dass die Aufnahme klappt 
Techniker Thomas Klueßist von Beginn an dabei und sorgt dafür, dass die Aufnahme klappt  © Michael Schick | Michael Schick

Der langjährige Chef des Roten Kreuzes in Norderstedt, Werner Aschmutat, erinnerte an den Initiator der Zeitung für die Ohren, Jürgen von Friedeburg, der 2008 gestorben ist. „Sein Ziel war, auch blinden und sehbehinderten Menschen die Teilhabe am allgemeinen Leben zu ermöglichen.“ Mutig gingen Aschmutat und von Friedeburg das Projekt an, gewannen für die Premiere prominente Leser wie Roeders Vorgänger Hans-Joachim Grote. Auch der damalige Verwaltungschef und jetzige Innenminister las einen Bericht aus der Norderstedter Zeitung ein, vor 15 Jahren ging es im Aufmacher auf der Seite 1 um die Eröffnung des Autobahnzubringers K 113, die jetzige Kohtla-Järve-Straße. Auch Grote bewältigte den Text fehlerfrei: „Zu einem perfekten Morgen gehören eine gute Tasse Kaffee und die Tageszeitung. Blinden blieb das bisher verwehrt - jetzt gibt es glücklicherweise die Hörzeitung“, sagte der Bürgermeister damals. Als Geschenk zum Start überreichte er Werner Aschmutat den Spendenscheck einer anonymen Norderstedter Firma über 1000 Euro.

Die konnten die Initiatoren gut gebrauchen. „Als wir gestartet sind, hatten wir die Hörzeitung nur zu 20 Prozent finanziert“, sagte Aschmutat während der kleinen Jubiläumsfeier mit Kaffee und Kuchen, zu der sich die Vorleser in den DRK-Räumen am Kielortring trafen. 6000 Euro fehlten noch, der ehemalige DRK-Chef und von Friedeburg machten sich auf Sponsorensuche und schafften es, die Finanzlücke zu schließen. Firmen wie Famila, Unilever, der Deutsche Fußball-Bund und Norderstedt Marketing füllten die Zeitungskasse. 31 Vorleser hatten sich 2003 gemeldet, 17 sind noch dabei, unter anderem die Norderstedter Autorin und Rezitatorin Inka Hahn. Immer drei von ihnen treffen sich jeden Montag, um Texte für die einstündige Ausgabe einzulesen.

„Wir achten darauf, dass wir möglichst zwei Frauen- und eine Männerstimme dabei haben“, sagt der jetzige Projektleiter Dietmar Rapp.

Im Zentrum stehen Nachrichten aus den örtlichen Medien, auch mal Geschichten aus einem Buch, Politik ist tabu: „Dann müssten wir ja der Fairness wegen immer die Gegenseite hören – und das ist nicht möglich“, sagt Rapp. Verliest sich jemand oder muss sich räuspern, kann die Aufnahme gestoppt und wiederholt werden. Viele Hörer störe das aber gar nicht, im Gegenteil, kleine Fehler machten die Informationen lebendiger. Die aufgenommene CD wird vervielfältigt und an die Abonnenten geschickt, die dafür nichts zahlen müssen. Die Produktionskosten werden über Spenden gedeckt, die Post versendet die Tonträger kostenlos.

Die Zeitungsmacher hätten gern mehr Hörer

Aber: „Wir hätten gern mehr Hörer“, sagte Aschmutat. In Spitzenzeiten seien es 65 gewesen, inzwischen sei die Zahl auf 30 gesunken. Viele seien gestorben oder so alt, dass sie sich nicht mehr ausreichend lange konzentrieren könnten. „Einige sagen, mit einer Lupe könnten sie noch immer die Zeitung lesen“, sagte Marion Vierck, Norderstedter Gruppenleiterin im Blinden- und Sehbehindertenverein. Zwar gebe es mehr potenzielle Hörer, doch aus Datenschutzgründen sei es kaum möglich, an sie heranzukommen. Dennoch zeigte sich Christoph von Hardenberg, aktueller Norderstedter DRK-Chef, optimistisch: „Ich hoffe, dass wir in fünf Jahren die 1000. Hörzeitung feiern können.“

Wer Interesse an der kostenlosen Hörzeitung hat, kann sich beim Blinden- und Sehbehindertenverein, Marion Vierck, Telefon 040/35 73 13 00, www.bsvsh.org, oder beim DRK, Telefon 040/523 18 26, melden.