Norderstedt . Aufgeklärt: Archäologe widerlegt Hinweise auf ein Massengrab aus der NS-Zeit unter einem Spielplatz in Norderstedt.
Etwas mulmig ist es allen Beteiligten am Donnerstag rund um den Spielplatz am Hochsitz in Norderstedt schon. Sowohl den vielen Medienvertretern, als auch den Mitarbeitern der Stadt und den wenigen erschienenen Anwohnern. Sollte sich wirklich ein unentdecktes Massengrab mit Kindern unter dem Spielsand befinden? Ein vergessener Beweis für die Gräueltaten des nationalsozialistischen Regimes? Die würdelos verbuddelten Überreste von Kinderleichen, die in den 30er- und 40er-Jahren dem monströsen Euthanasie-Programm der Nazis in der berüchtigten Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn, der heutigen Asklepios Klinik Nord Ochsenzoll, zum Opfer fielen?
Eine Anwohnerin des Spielplatzes hatte der Stadt berichtet, dass sich ihren Erinnerungen nach eine Grube mit Leichen unter dem Spielplatz befinde, und dass Kinder beim Spielen immer wieder Knochen gefunden hätten. Am Donnerstag schließlich stehen Dr. Ulf Ickerodt, Leiter des Archäologischen Landesamtes Schleswig-Holsteins, und Eilin Jopp-van-Well, Forensische Anthropologin vom Rechtsmedizinischen Institut des UKE, vor der Spielfläche. „Wir haben eine historische Verantwortung, solchen schwerwiegenden Hinweisen nachzugehen. Es geht hier und heute darum, Gewissheit zu schaffen“, sagt Ickrodt. Die Anthropologin Jopp-van-Well ist gekommen, um mögliche Funde in Norderstedt zu identifizieren. „Ich kann zumindest per Augenschein erkennen, ob es sich um menschliche oder tierische Knochen handelt.“ Exhumierungen und Altersfeststellungen bei minderjährigen Flüchtlingen ist sonst bei Jopp-van-Well das Tagesgeschäft. „Untersuchungen wie diese in Norderstedt sind selten. Und ich finde gut, dass solche Fälle zweifelsfrei geklärt werden.“
Der Archäologe Ickerodt ist allerdings ziemlich sicher, dass er hier nichts finden wird. „Das ist sehr unwahrscheinlich. Es handelt sich bei dieser Fläche ursprünglich um einen kleinen Teich, der irgendwann verschüttet wurde. Leichen verscharren im Wasser ist zu aufwendig.“
Norderstedts Stadtsprecher Bernd-Olaf Struppek berichtet von den Einschätzungen von Historikern zum Thema. „Da meldeten sich welche bei uns, die solche Gräber im Zusammenhang mit den Euthanasie-Programmen in Langenhorn für ausgeschlossen halten. Aber auch welche, die grundsätzlich nicht ausschließen wollten, dass es in den Kriegswirren nicht solche Aktionen gegeben haben könnte.“
Wie Ickerodt sagte: Es geht um Gewissheit und die historische Verantwortung an diesem Tag. Doch den Anwohnern in der in den 60er-Jahren erbauten Siedlung rund um den Spielplatz scheint es in erster Linie darum zu gehen, wann die Absperrungen an den Spielflächen endlich wieder wegkommen und wann hier die Kinder wieder schaukeln, rutschen, buddeln und toben können. „Wir fragen uns alle, warum die unbekannte Hinweisgeberin erst jetzt mit dieser Geschichte kommt“, sagt Anwohner Hartmut Holtz in etliche auf ihn gerichtete Fernsehkameras. „Da hätte sie doch damals was sagen können. Wir halten es alle für unwahrscheinlich, dass das stimmt. Ist vielleicht alles nur eine erfundene Geschichte – ich weiß es nicht und möchte auch nicht spekulieren.“
Ziemlich sicher ist sich die Nachbarin Barbara Flug, dass hier in den vergangenen Jahrzehnten keinerlei Knochen herumlagen. „Mein Kinder sind jetzt 25 Jahre alt, die haben hier immer gespielt, gebuddelt und getobt und haben nie was gefunden. Wir hoffen inständig, dass hier auch heute nichts gefunden wird.“
Schließlich gräbt sich die Schaufel des kleinen Baggers des Betriebsamtes Norderstedt Stück für Stück in den Boden unter dem Spielplatz. Es wurde eine Fläche gewählt, die auf die Erzählungen der Frau passt. Alle anderen Bereiche wurden in zurückliegenden Jahren schon mal freigelegt, Knochen wären dabei aufgefallen. In etwa zwei Stunden hat der Bagger eine etwa zehn Meter lange und zwei Meter tiefe Grube in den Spielplatz gegraben. Archäologe Ickerodt muss nicht lange analysieren: „Wir können an dieser Stelle ein Massengrab ausschließen.“ Lediglich ein größerer Tierknochen wird gefunden, mutmaßlich Schlachtabfall. Keine Knochen von Menschen, keine Hinweise auf eine Grube für Leichen. Nur ein paar Porzellanteller-Stücke, undefinierbare Metallteile und ein verwitterter und verbogener Löffel – was man eben so standardmäßig findet.
„Das ist der Befund, den wir erhofft haben“, sagt Struppek. Die gute Nachricht für die Anwohner ist, dass der Spielplatz nun bis nächste Woche wieder aufgehübscht und eröffnet wird. Dann können hier die Kinder wieder toben – mit der Gewissheit, dass unter ihren Füßen nicht die Überreste grausam ums Leben gekommener Altersgenossen schlummern.