Norderstedt. Experten des Archäologischen Landesamtes wollen mit einer Probebohrung nächste Woche Klarheit schaffen.
Voraussichtlich Mitte nächster Woche werden Experten des Archäologischen Landesamtes ermitteln, ob sich im Boden unter dem Spielplatz an der Straße Am Hochsitz ein Massengrab aus der NS-Zeit befindet. Die Archäologen wollen eine Probebohrung auf dem Platz in Norderstedt vornehmen. „Es wird dann sehr schnell klar sein, ob tatsächlich menschliche Überreste dort in der Erde liegen“, sagt Bernd-Olaf Struppek, Sprecher der Stadtverwaltung.
Es sei nicht nötig, den Fund einzuschicken oder lange zu analysieren. Die Archäologen könnten sehr schnell und noch am Ort der Untersuchung feststellen, was unter dem Sand steckt. Mit dabei sein wird auch der Leiter des Landesamtes, Ulf Ickerordt. „Auch die Polizei wird hinzugezogen, was in solchen Fällen üblich ist“, sagt Struppek.
Ickerodt hatte die Informationen, die er von der Stadtverwaltung bekommen hatte, für so plausibel gehalten, dass seine Mitarbeiter die Auskünfte jetzt überprüfen. Wie berichtet, hatte eine ältere Frau Ende Mai Mitarbeitern des städtischen Bauhofs berichtet, dass sich unter dem Spielplatz ein Massengrab befinde. Bei den Leichen soll es sich nach ihren Angaben um Opfer des Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten in der Anstalt in Langenhorn/Ochsenzoll handeln.
In der Nähe befand sich ein Übungsplatz der SS
Die Frau berichtete, dass spielende Kinder in den 60er-Jahren Knochen auf dem Spielplatz gefunden hätten. Der Stadtverwaltung liegen zudem Hinweise vor, dass einige Mitarbeiter der Anstalten auf dem Gebiet des heutigen Norderstedter Stadtteils Harksheide gewohnt haben sollen. Nicht weit entfernt von der Straße Am Hochsitz befand sich zudem ein Übungsplatz der SS, die im Gebäude des heutigen Krankenhauses Heidberg stationiert war.
Struppek weist darauf hin, dass es sich bei der Informantin nicht um eine Zeitzeugin aus der NS-Zeit handelt, denn das Gebiet sei erst in den 60er-Jahren besiedelt worden. Die Stadt hat den Spielplatz nach Rücksprache mit dem Landesamt für Archäologie sofort gesperrt, er ist bis jetzt nicht zugänglich.
Immer wieder habe es Nachfragen von Anwohnern gegeben, sagt der Rathaussprecher. Die Ängste besorgter Eltern, dass ihre Kinder beim Spielen womöglich mit menschlichen Überresten in Berührung gekommen sind, konnte Struppek zerstreuen: „Unsere Mitarbeiter haben den Sand in den vergangenen Jahren regelmäßig bis zu einer Tiefe von rund 40 Zentimetern ausgetauscht und nichts Ungewöhnliches gefunden. Auch beim Aufstellen neuer Spielgeräte gab es keine Hinweise, die die Aussagen der Frau untermauert hätten.“ Die Anlieger hätten verständnisvoll auf die Sperrung des Spielplatzes und das weitere Vorgehen reagiert.
Der Historiker und Archivar Harald Jenner hält es für „extrem unwahrscheinlich“, dass sich NS-Euthanasieopfer in einem Massengrab in der Nähe der ehemaligen Anstalten befinden. Die Toten aus Langenhorn seien beigesetzt worden, sagt Jenner, der zum Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen Euthanasie und Zwangssterilisation gehört.
Norderstedter Stadtarchiv beteiligt sich an der Spurensuche
Er weist darauf hin, dass die Patienten aus Langenhorn bis auf die 20 Mädchen und Jungen der „Kinderfachabteilung“ verlegt und außerhalb Hamburgs ermordet wurden – eine Auffassung, die Herbert Dierks von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme grundsätzlich teilt, aber: Es sei denkbar, dass es sich um Opfer anderer Verbrechen handeln könnte, die im Chaos der letzten Kriegswochen verübt und bis heute nicht aufgeklärt wurden. Die Nähe des vermeintlichen Massengrabs zum SS-Übungsplatz und der Kaserne spreche für eine solchen oder ähnlichen Vorgang.
Auch Struppek hat sich mit den Mitarbeiterinnen des Norderstedter Stadtarchivs auf Spurensuche begeben. Gefunden haben sie historische Karten und Luftbilder, die sie dem Landesamt zur Verfügung gestellt haben. „Es ist schon erstaunlich, was die Fachleute aus diesen für Laien relativ unverständlichen Unterlagen herauslesen können“, sagt Struppek. Akten oder weitere Indizien seien aber nicht gefunden worden, sodass sich die Vermutung, es könnten Opfer des NS-Regimes unter dem Spielplatz vergraben worden sein, nicht bestätigt habe.
Das glauben auch die meisten Anwohner nicht: „Als wir die Eigentumswohnungen Ende der 60er-Jahre bezogen haben, haben wir den Spielplatz anlegen lassen. Das war eine große Baugrube, menschliche Überreste wurden aber nicht gefunden“, sagt eine Anliegerin. Sie wirft der Informantin vor, ihre Vermutung erst jetzt geäußert zu haben: „Warum hat sie das denn noch schon nicht damals gesagt?“