Norderstedt . Stadtverwaltung will Hinweisen nachgehen. Es ist nicht auszuschließen, dass ermordete Kinder auf dem Spielplatz vergraben wurden.

Ein grausiger Verdacht fällt auf einen Ort in Norderstedt, auf dem täglich Kinder toben, klettern und rutschen: Unter dem Sand des Spielplatzes an der Straße Am Hochsitz befindet sich möglicherweise ein Massengrab aus der Zeit des Nationalsozialismus. Eine Zeitzeugin berichtet, an dieser Stelle im Stadtteil Harksheide hätten vor mehr als 70 Jahren Mitarbeiter der sogenannten Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn Opfer des Euthanasie-Programms verscharrt.

Das Archäologische Landesamt hat angekündigt, den glaubhaften Hinweisen der Norderstedterin nachzugehen und das Gelände zu untersuchen. Nicht auszuschließen ist, dass ermordete Kinder unter dem Spielplatz liegen.

„Wir werden das Thema mit aller Sensibilität und Pietät angehen“, sagt der Sprecher der Stadtverwaltung, Bernd-Olaf Struppek. Die Stadt habe bereits in Aussicht gestellt, das Landesamt mit Ausrüstung wie Baggern und Absperrungen zu unterstützen. Demnächst ist im Rathaus ein Treffen mit dem Chef der Behörde, Ulf Ickerodt, geplant.

In der sogenannten Heil- und Pflegeanstalt, dem heutigen Krankenhaus Hamburg-Ochsenzoll, waren Tausende Menschen untergebracht, die von den Nazis als „unwertes Leben“ eingestuft wurden. Nachweislich ermordeten Ärzte in der Anstalt 20 behinderte Kinder. Was mit den toten Mädchen und Jungen geschah, ist unklar. Den Hinweis, dass Leichen aus der Heil- und Pflegeanstalt in Norderstedt liegen könnten, erhielten Mitarbeiter des Baubetriebshofs am Donnerstag. Wie in jedem Frühjahr tauschten sie den Sand auf dem Spielplatz aus und wurden dabei von einer älteren Dame angesprochen.

Späte Aufarbeitung

Anfang Mai wurde vor der Asklepios-Klinik Nord eine neue Gedenkstätte für Euthanasie-Opfer eingeweiht. Auf Initiative des Hamburger Senats sollen die Orte der Euthanasie in Hamburg sichtbarer gemacht werden, drei neue Stelen kommen zu der vorhandenen Gedenktafel dazu. Zwischen 1940 und 1945 wurden in der sogenannten Aktion T4 Menschen mit Behinderungen systematisch getötet.

Mehr als 3600 Patienten wurden aus der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt in Ochsenzoll in Tötungs- und Verwahranstalten verlegt, 2400 wurden nachweislich ermordet. In der sogenannten Kinderfachabteilung wurden mehr als 20 Kinder umgebracht.

Für die Nazis galt das Leben behinderter Menschen als „lebensunwert“. In Hamburg ging man damit besonders offensiv um. 1940 soll der damalige Gesundheitssenator Friedrich Ofterdinger vor dem Kollegium klargestellt haben, was mit den behinderten Patienten geschehen soll. Nur eine Oberkrankschwester soll dagegen Einwände geäußert haben.

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Sie berichtete von ihren Erinnerungen aus der Kindheit an eine tief gelegene Grube für die Leichen, die sich unter der Spielfläche befinde. Als das Wohngebiet in den 60er-Jahren entstand, hätten spielende Kinder immer wieder Menschenknochen entdeckt, erzählte die Frau, die seit Jahrzehnten in der Nähe wohnt.

Stadtsprecher Struppek spricht von sehr konkreten Hinweisen. Daher habe die Verwaltung sofort das Landesamt informiert. „Die Vermutung besteht, dass Opfer dort verscharrt wurden“, sagt Struppek. Die Stadtverwaltung sei sehr an der Aufarbeitung interessiert. Auch die Norderstedter Polizei ist informiert.

Archäologen beginnen mit kleinen Bohrungen

Von Knochenfunden in jüngster Zeit weiß die Stadt nichts. „Das ist für das Betriebsamt ein neues Thema“, sagt Struppek. Auch bei der Polizei kann sich niemand an Funde in diesem Bereich erinnern.

Die Untersuchungen des Landesamtes beginnen vermutlich in wenigen Wochen. Am Anfang starten die Wissenschaftler mit kleinen Bohrungen, um Proben aus der Tiefe des Erdreichs zu ziehen. Abhängig von den Ergebnissen könnten die Arbeiten dann ausgeweitet werden. Sollte sich tatsächlich ein Massengrab unter dem Spielplatz befinden, würden die Arbeiten Wochen dauern. Als sicher gilt, dass an dem Ort danach eine Gedenkstätte für die Toten entstehen würde.

Dass selbst ernannte Freizeitarchäologen und Hobbyforscher auf Spuren der Leichen stoßen könnten, halten Experten für unwahrscheinlich. Die Grube soll sich sehr tief unter dem Spielplatz befinden. Außerdem würde jeder Besucher mit Spaten und Schaufel in dem dicht bewohnten Gebiet sofort auffallen.