Henstedt-Ulzburg. 13 Schüler des Alstergymnasiums in Henstedt-Ulzburg wurden ausgebildet, um künftig bei Beratung und Prävention zu assistieren.
Die erste Zigarette, das erste Bier, dann Schnaps, vielleicht ein Joint. Was erst ein Abenteuer, eine Mutprobe ist, kann zu einer gefährlichen Gewohnheit werden. Für Teenager, junge Menschen in der Entwicklung, ist es oft schwierig, „nein“ zu sagen. Erstaunlich offen und schonungslos reden die Achtklässler, also 13- und 14-Jährige, des Henstedt-Ulzburger Alstergymnasiums darüber. „Teilweise ist man auf Feiern uncool, wenn man nichts trinkt“, sagt Mia Bock. Oder: „Es kommt immer darauf an, welchen Freundeskreis man hat – zum Beispiel, wenn man unterwegs ist mit Freunden, die trinken und die älter sind“, so Lisa David. Und Lion Hoch berichtet von Gleichaltrigen, die auch einmal „zwei Feiglinge in zehn Minuten“ trinken. „Ich weiß, dass manche Jugendliche in meinem Alter viel trinken, dass sie sich damit das Leben verbauen, dass sie jedes Wochenende rauchen und trinken. Das ist echt traurig“, sagt Saskia Mertin.
Jugendliche sprechen eher mit Gleichaltrigen
Mia, Lisa, Lion, Saskia und neun weitere Jugendliche sind zertifizierte „Suchtexperten“. Und zwar nicht im Sinne des Konsums, sondern, weil sie in einem mehrwöchigen Kursus dazu ausgebildet wurden, genau hinzuschauen, wenn ein Problem sichtbar wird. „Peer to peer“ ist der Fachbegriff hierzu – sprich: junge Menschen reden eher mit Mitschülern im gleichen Alter über Sorgen als mit Lehrern oder Suchtberatern. Entwickelt wurde das Seminar von Mitarbeitern der Ambulanten Teilstationären Suchthilfe (ATS). Eine Förderung durch die Stiftung der Sparkasse Südholstein machte es möglich, das Angebot parallel an verschiedenen Schulen in den Kreisen Pinneberg und Segeberg sowie in der Stadt Neumünster durchzuführen. In Henstedt-Ulzburg betreuten Kerstin Klennert und Ole Berger aus dem ATS-Beratungszentrum in Kaltenkirchen die Teilnehmer. Sie vermittelten grundlegende Informationen zu Drogen, Rechtsgrundlagen, Formen von Abhängigkeit und wissenschaftlichen Modellen, wie eine Sucht entstehen kann. Die Jugendlichen selbst konfrontierten einander mit Suchttendenzen, ausweichendem Verhalten und Grenzen.
„Jeweils am Donnerstag wurde die Mittagspause geopfert. Das ist großartig und in Zeiten von G 8 nicht selbstverständlich“, sagt Kerstin Klennert. Die ATS bietet auch schon in jüngeren Klassenstufen Informationen zur Suchtprävention an. „In der sechsten Klasse starten wir, da geht es um Medien. In der siebten Klasse dann um Zigaretten und Alkohol – und in der achten Klasse um illegale Drogen und Cybermobbing.“
Die Zusammenhänge sind komplex, verschiedene Abhängigkeiten hängen oftmals miteinander zusammen. Gesprochen wird auch über Magersucht und über ein falsches Bild, das junge Frauen über gängige Fernsehshows („Germany’s Next Top Model“) gezeigt bekommen. „Wenn man an Süchte denkt, dann oft an Alkohol oder andere Drogen. Aber in unserem Alter kommt eher auch eine Essstörung vor. Wir haben uns über Körperbilder unterhalten, das war für mich mit am spannendsten“, sagt Mia Bock.
Zum Programm gehörte auch ein Besuch der Fachklinik Freudenholm-Ruhleben, die der Landesverein für Innere Mission nahe Plön betreibt. Patienten in der dortigen Suchtabteilung führten die jungen Gäste herum – und berichteten aus ihren Biografien. „Wir waren berührt von den Geschichten und wie sie da hineingerutscht sind“, so Mia. Für Emily Kruse war es „faszinierend, dass die Patienten so offen mit uns geredet haben“. Laut Kerstin Klennert seien derartige Treffen auch wichtig für die Therapie. „Patienten können auf diese Weise Jugendlichen, die nicht betroffen sind, etwas aus dem Leben mitgeben, damit diese nicht in gleiche Verhaltensmuster abrutschen. Es gehört viel Mut dazu, über das eigene Leben und über eigene Fehler zu sprechen.“
Bei der Zertifikatsübergabe hörte Doris Grote aus der Geschäftsführung der Sparkasse Südholstein aufmerksam zu. „Das ist eine wichtige Geschichte, wenn ihr jemanden von einer Sucht abhalten könnte, wenn ihr vorbeugend tätig sein könnt. Wenn jemand abrutschen kann, sind Freunde und Familie mit betroffen. Ich arbeite beruflich in einer Apotheke. Dort habe ich viel mit Menschen zu tun, die zu uns kommen, um überhaupt ihren Tagesrhythmus auf die Reihe zu bekommen.“ Sie riet den Jugendlichen, Stärke zu zeigen. „Der Gruppenzwang ist enorm. Das Problem ist oft, den Mut zu haben und zu sagen: Ich mache das nicht.“
Ab August werden die „Suchtexperten“ ihren Mitschülern als Ansprechpartner zur Verfügung stehen sowie Suchtpräventionsveranstaltungen der ATS begleiten und unterstützen. „Wichtig ist, dass jemand selbst einsieht, dass er an einer Sucht erkrankt ist. Dann rate ich, Hilfe zu suchen“, sagt Lisa David. In zwei Jahren soll es den nächsten Kursus dieser Art geben.