Norderstedt. Stadtwerke Norderstedt machen ernst bei der Energiewende. Sie setzen auf Windkraft und suchen 2000 Haushalte für ein Pilotprojekt

Die Stadtwerke machen ernst mit der Energiewende: Der Norderstedter Energieversorger sucht 2000 Testhaushalte, um ein zukunftsfähiges Tarif- und Steuerungsmodell für den Stromverbrauch zu entwickeln – ein System, bei dem die Kunden sparen und die Umwelt geschont wird. „Solche Neuerungen funktionieren nur, wenn sie bei den Bürgern auf Akzeptanz stoßen. Darum wollen wir eine nachhaltige und preisgünstige Stromversorgung gemeinsam mit den Norderstedtern entwickeln“, sagt Thomas Meyer, bei den Stadtwerken zuständig für NEW 4.0.

Hinter diesem Kürzel steckt die Norddeutsche Energiewende. Das Projekt, an dem sich 60 Partner beteiligen, zielt darauf ab, die Haushalte in Hamburg und Schleswig-Holstein bis zum Jahr 2035 ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Energien zu versorgen, im Norden durch Windkraft.

Die Windräder im Norden bergen enormes Potenzial. Schon jetzt erzeugen sie mehr Strom als verbraucht wird. Die Folge: Rotoren müssen abgeschaltet werden, wertvolle Energie geht verloren, die Wirtschaftlichkeit der Anlagen gerät in Gefahr.

Wie das Energiesystem der Zukunft aussehen kann, ist zurzeit bei den Stadtwerken zu sehen. Auf etwa vier mal zwei Metern haben Studierende der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg, die die mehr als 100 Teilprojekte von NEW 4.0 koordiniert, die norddeutsche Modellregion aufgebaut, von der Insel Sylt bis nach Hamburg im Süden. Besucher können über vier spezielle Bildschirme spielerisch erkunden, vor welchen Herausforderungen die Energieversorgung von morgen steht und wie sie zu bewältigen sind. Sie können noch bis zum 31. Juli am Schieberegler das Atomkraftwerk abschalten, Windräder wachsen lassen, Strom im E-Auto speichern und die Stromlast im Netz erkennen und beeinflussen. „Die Stromlast sollte idealerweise bei 50 Hertz liegen. Der Wert verändert sich aber, wenn Verbrauch oder Angebot steigen“, sagt Thomas Meyer von den Stadtwerken. Deren Beitrag besteht darin, die Verbraucher durch finanzielle Anreize und moderne Steuertechnik dazu zu bringen, elektrische Energie flexibel zu nutzen und dadurch die Verbrauchsspitzen, die die Stromlast ins Schwanken bringen, zu reduzieren. Bläst der Wind kräftig, schalten die Stadtwerke die umweltfreundliche Energie auf spezielle Steckdosen in den Häusern und Wohnungen.

Norderstedt bietet sich als Pilotkommune an: Das Glasfasernetz kann große Datenmengen übertragen, fast alle Haushalte verfügen über digitale Stromzähler, die Smart Meter.

Wer beim Test dabei sein möchte, bekommt das weitere Zubehör kostenlos von den Stadtwerken gestellt und installiert: eine Fritzbox, sofern nicht schon vorhanden, ein Kommunikationsmodul, vier Spezial-Steckdosen, die auf die normalen Dosen aufgesteckt werden, und eine kleine Box, mit Hilfe derer die Stadtwerke die Steckdosen ansteuern und die Verbrauchsdaten auslesen können. „Normalerweise endet unser Zugriff an der Fritzbox. Um den Stromverbrauch messen und steuern zu können, müssen wir an die Haushaltsdaten“, sagt Meyer. Dabei garantieren die Stadtwerke ein Höchstmaß an Datensicherheit, die Testkunden erklären sich zum Datentransfer ausdrücklich bereit.

Der flexiblen Stromnutzung gehört die Zukunft

Um die Windkraft zu nutzen, eignen sich Verbraucher, die nicht ständig auf Strom angewiesen sind: Ladegeräte für Smartphones oder Akkustaubsauger, Waschmaschinen, die auch nachts laufen können, oder Gefrierschränke, die mehrere Stunden ohne elektrische Energie auskommen. Für alle anderen Geräte wie TV oder Kühlschrank stellen die Norderstedter Stadtwerke die herkömmliche und dauerhafte Stromversorgung sicher.

„Wir wollen diejenigen, die mitmachen oder sich nach dem Testlauf für ein solches System entscheiden, finanziell belohnen, indem sie nicht 28 oder 30 Cent, sondern vielleicht nur fünf oder zehn Cent für die Kilowattstunde Windenergie bezahlen“, sagt Meyer. Wie genau die Tarife gestaltet werden, und für welche Verbrauchsquellen sich eine flexible Stromnutzung eignet, wollen die Stadtwerke im Dialog mit den Bürgern ermitteln.

Dieser Test sei der erste Schritt in eine zukunftsfähige Stromversorgung, der auch schon Smart Home zum Teil mit abdecke, die automatisierte Steuerung von Haushaltsgeräten, Jalousien, Licht und Heizung.

Auf Dauer werde es unterschiedliche Lastkreise in Wohnungen und Häusern geben. Die Grundversorgung garantiert Sicherheit, ist immer nutzbar und relativ teuer. Alternativ können sich die Kunden verpflichten, zu einer bestimmten Zeit Windstrom abzunehmen, täglich, wöchentlich oder monatlich. Die höchste Flexibilität ist auch die günstigste. Der Strom kommt dann an, wenn der Wind ihn erzeugt.

Die Stadtwerke werden die Haushalte Mitte August anschreiben und über das Testprojekt informieren. Für Anfang September sind Info-Veranstaltungen geplant.

Strom der Zukunft, Informationen und digitales Modell, bis 31.7., mo-do 8-16 Uhr,
fr 8-12 Uhr, Technik-Center der Stadtwerke Norderstedt, Heidbergstraße 101–111. 60 Partner sind an dem Projekt beteiligt Das Projekt „NEW 4.0 – Norddeutsche Energiewende“, an dem sich 60 Partner beteiligen, gehört zur Förderinitiative „Schaufenster Intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energiewende“, für die das Bundesministerium für Wirtschaft 80 Millionen Euro ausgibt. Ziel ist, in den nächsten vier Jahren die Bürger so weit wie möglich mit Strom aus erneuerbaren Energien zu versorgen, im Norden steht der Wind im Fokus.
Die Stadtwerke investieren bis 2020 rund 2,5 Millionen Euro, um ihren Beitrag zu leisten: ein innovatives Steuerungs- und Tarifmodell für den Stromverbrauch.
Andere Projektpartner befassen sich mit dem Speichern von Windenergie oder dem Umwandeln in Gas oder Wärme.