Norderstedt. Norderstedt will die Artenvielfalt in den städtischen Grünanlagen fördern. Parks und Straßenränder sollen Insekten Nahrung bieten.

Wo sind die Kübel mit den bunten Blumen geblieben? Die Norderstedter vermissen die Pflanzen beispielsweise auf dem Mittelstreifen an der Rathausallee, wo jetzt kurzgeschnittener, durch die Trockenheit leicht verdorrter Rasen einen eher tristen Anblick bietet. „Viele Bürger rufen bei uns an und fragen nach den Blumenkübeln“, sagt Rathaussprecher Bernd-Olaf Struppek. Doch die werden weitgehend aus dem Stadtbild verschwinden. Auch ein Teil der Rasenflächen in den Parks und Straßenränder werden zu Wildblumenwiesen – sichtbares Zeichen für ein Umdenken in der Stadtverwaltung.

Biodiversität heißt das Motto, biologische Vielfalt soll dem Artensterben entgegenwirken und das Image der Stadt als zukunftsorientierte, nachhaltige Kommune stärken. Dieser Wandel ist den Bürgern bisher weitgehend verborgen geblieben, nun aber wird sie ein Logo über die neue Ausrichtung informieren: Das Symbol ist eine Mischung aus Biene, Blatt und Schmetterling, es wird überall dort zu sehen sein, wo Flächen naturnah umgestaltet werden.

24 Bereiche sollen Bienen, Schmetterlingen, Libellen und Co. künftig ermöglichen, Nahrung zu finden. Die Mitarbeiter des städtischen Betriebsamtes schaffen gut 57.000 Quadratmeter Blühflächen, was ungefähr der Größe von sechs Fußballplätzen entspricht. Das größte Areal ist der Rathauspark, 5400 Quadratmeter werden zur Wildblumenwiese. Doch auch Mini-Flächen wie die 92 Quadratmeter am Birkenweg und an der Königsberger werden naturnah bepflanzt.

Im Wesentlichen erledigt das das Inklusions-Team des städtischen Betriebsamtes. Seit Februar sind vier behinderte Männer in der Grünpflege beschäftigt. Sie graben mit einer Fräse die Flächen um, lassen sie 14 Tage liegen, graben noch mal um und säen aus. „Wir haben uns von Fachleuten beraten lassen, was bei uns hier am besten gedeiht“, sagt Thorsten Kühl vom Betriebsamt. So verwenden die städtischen Gärtner „gebietsheimisches Saatgut“. Zudem erhöhen sie die Staudenflächen und schränken die Zahl der Blumenkübel ein – Ex-OB Grote hatte Norderstedt zur Landesgartenschau im Jahr 2011 zum Blühen gebracht. „Doch die Pflege ist aufwendig, die Gefäße müssen viermal im Jahr bepflanzt werden“, sagt Kühl. Und Jelena Jurth ergänzt: „Der Aufwand ist sehr hoch und steht in keinem Verhältnis zum biologischen Wert“, sagt die Umweltwissenschaftlerin, die seit knapp einem Jahr im Rathaus die Biodiversität stärkt.

Gärten in Insektenparadiese verwandeln

Auch heimische Gärten können zu Nahrungsplätzen für Insekten umgewandelt werden. Bernhard Kerlin vom Förderkreis Ossenmoorpark, der den Naturgarten betreibt, nennt typische Pflanzen:

echtes Labkraut, Heide-Nelke, Hornklee, Knäuel-Glockenblume, Leinkraut, Moschus-Malve, Natternkopf, Rapunzel-Glockenblume, Rote Lichtnelke, Wegwarte, Wiesen-Flockenblume, Wiesen-Storchschnabel, Wilde Malve, Wilde Möhre, Wundklee.

Kerlin rät, die Pflanzen einzeln zu kaufen und in die Erde zu setzen: „Die vermehren sich von ganz allein.“ Weitere Infos bei der Stadt unter E-Mail presse@norderstedt.de, Stichwort Biodiversität.

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Jurth will den Menschen in der Stadt nahebringen, wie existenziell der Artenschutz ist, wie wichtig es ist, Bäume nicht unbedarft zu fällen, Wiesen und Äcker nicht zu bebauen, Straßen in die Feldmark nicht zu asphaltieren. „Wir als Menschen hängen ab vom Ökosystem“, sagt die Fachfrau, die viele Ideen hat, sich zunächst den Wildblumenwiesen widmet. Seit diesem Jahr ist Norderstedt zudem Mitglied im Bündnis „Kommunen für biologische Vielfalt“, bundesweit mühen sich 128 Städte und Gemeinden, die Artenvielfalt von Pflanzen und Insekten zu stabilisieren.

„Die neue, naturnahe Ausrichtung kommt viel zu spät“, sagt Bernhard Kerlin. Er ist Mitglied im Förderkreis Ossenmoorpark und war viele Jahre im Rathaus vor allem für die städtischen Bäume zuständig. Die Stadt müsse nun mit viel Aufwand wieder herstellen, was noch vor 20 Jahren da war: blühende Straßenränder. Doch die Wildpflanzen seien Stück für Stück verschwunden, abgemäht und durch Rasen ersetzt.

BJelena Jurth zeigt das Logo, mit dem die Stadt die Bürger informieren will
BJelena Jurth zeigt das Logo, mit dem die Stadt die Bürger informieren will © Michael Schick | Michael Schick

Er hat die Verödung an den Rändern von 25 Straßen akribisch dokumentiert, dazu und zur biologischen Vielfalt insgesamt mehrere Anfragen im Umweltausschuss gestellt und dabei auf Paragraf 18 im Straßen- und Wegegesetz des Landes Schleswig-Holstein verwiesen: Straßen- und Wegeränder sowie Lärmschutzwälle sollen so erhalten und gestaltet werden, dass sie sich naturnah entwickeln können. „Warum hat man ab 2010 die Vorgaben des Gesetzes ignoriert und mit nicht naturnaher Pflege bis auf wenige Restbestände die natürliche Vegetation zerstört?“, lautet die zentrale Frage an die Verwaltung im Fachausschuss vom 21. März.

Kerlin spricht sich dafür aus, die Flächen an den Straßenrändern zusätzlich zu den im Katalog schon enthaltenen Bereichen zu renaturieren. Dafür sei ein entsprechendes Pflegekonzept nötig, denn: „Stauden und Gräser einfach nur wachsen zu lassen, funktioniert nicht“, sagt Kerlin, der zusammen mit anderen Aktiven aus dem Förderkreis Ossenmoorpark schon vor Jahren ein Anschauungsobjekt geschaffen hat: den Naturgarten im Ossenmoorpark. 40 bis 45 Pflanzenarten sowie 20 bis 25 Tierarten fühlen sich in den beiden Teichen, im Moorbereich, auf der Wildblumenwiese und im Trockenrasenbereich wohl.