Henstedt-Ulzburg. Viele Ereignisse sind im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten. Das Hamburger Abendblatt hat sich auf Spurensuche begeben.
Also, so hatte ich das nicht in Erinnerung.“ Dagmar Berghoff steht auf der Straße, die vor 47 Jahren noch ein Matschweg war, sieht sich suchend um und kommt ins Grübeln. „Da drüben“, sie zeigt auf einen Flachdachbungalow, „das war mein Haus.“ Nicht in Wirklichkeit natürlich, denn die frühere Tagesschau-Sprecherin hätte sich niemals so weit vor den Toren Hamburgs niedergelassen. Obwohl – nett findet sie die Gegend rund um die Alsterquelle in Henstedt-Rhen schon. Das ist keine Frage. Aber damals, 1971 weilte sie für mehrere Wochen beruflich an der Straße An der Alsterquelle: Hier drehte Dieter Wedel seinen berühmten ersten TV-Dreiteiler „Einmal im Leben – Geschichte eines Eigenheims“, der bei seiner Erstausstrahlung sagenhafte 27 Millionen Menschen vor die Bildschirme lockte und noch heute als einer der Meilensteine in der deutschen Fernsehgeschichte gilt.
Nach 47 Jahren steht Dagmar Berghoff also wieder dort, wo sie einst Frau Hassert, die Nachbarin von Trude und Bruno Semmeling spielte. Die Semmelings aus Hamburg, darum geht es in der Mini-Serie, bauen ein Haus und müssen mit den Tücken und Fallstricken kämpfen, die ein solcher Hausbau mit sich bringt. Antje Hagen und der im vergangenen Jahr verstorbene Fritz Lichtenhahn spielen das gebeutelte Ehepaar Semmeling, Dagmar Berghoff und ihr Filmmann Horst Warning bauen auf dem Nachbargrundstück und sind den Semmelings immer um eine Nasenlänge voraus. Ihr Richtfest findet zuerst statt, weil bei den Nachbarn alles schiefläuft, was nur schieflaufen kann. In den weiteren Rollen sind viele prominente TV- und Theaterstars der damaligen Zeit zu sehen – unter anderen Günter Strack als Bauunternehmer, Uwe Dallmeier als Polier, Edgar Bessen als Tischler, Hans Korte und Til Erwig als Architekten.
Jetzt also stehen sie sich gegenüber, die damalige „Nachbarin“ und die „Ur-Bewohnerin“ des Semmeling-Hauses, Ursula Fischer. Dagmar Berghoff (75) und Ursula Fischer (74) verstehen sich sofort so gut, dass man sie sich als tatsächliche Nachbarinnen vorstellen kann. „Jetzt stehen hier natürlich überall Bäume und Büsche“, sagt Dagmar Berghoff. „Damals war alles kahl, aber rundherum standen hohe Bäume.“ Die Schauspielerin und Ex-Tagesschau-Sprecherin wohnt am anderen Ende der Alster, deren Lauf sie in Winterhude vom Wohnzimmerfenster aus beobachten kann, hier in Henstedt-Rhen wohnt Frau Fischer mit ihrem Dackel Fiete nur wenige Meter von der Quelle dieses Flusses entfernt. Schön ist es zweifellos hier wie dort. Damals, im Jahr 1971, war es hier offenbar weniger schön. „Es hat während der Dreharbeiten fast ständig geregnet“, erinnert sich Dagmar Berghoff. „Es war alles aufgematscht“.
Da sie damals noch in Baden-Baden lebte, wo sie als Fernsehansagerin tätig war, wurde sie jeden morgen um 6 Uhr („Viel zu früh!“) vom Hotel abgeholt und zum Schminken ins Studio Hamburg gefahren. Dann ging es mit den anderen Schauspielern mit einem gecharterten Bus zu den Außendreharbeiten nach Rhen und abends wieder zurück nach Hamburg.
Architekt Wolfgang Schwartinski (79), der direkt um die Ecke wohnt und immer noch beruflich tätig ist, erinnert sich, dass alle drei von ihm damals konzipierten und finanzierten Atrium-Doppelbungalows je nach Baufortschritt als Kulisse für die Dreharbeiten dienten. „Damals waren hier in der Gegend überall Baustellen.“ Über verschiedene private Kontakte war Dieter Wedel auf die drei nebeneinander liegenden Baustellen in Henstedt-Rhen gestoßen – genau diese Konstellation hatte sich der Regisseur und Autor Wedel gewünscht. Architekt Schwartinski erklärte sich nach einem Abendessen mit dem TV-Mann einverstanden und stand dem Team später als Berater zur Verfügung. Etwas Geld gab’s auch dafür, aber das sei „Pipifax“ gewesen. Schwartinski erinnert sich, dass auch die Henstedter Feuerwehr bei den Dreharbeiten zum Einsatz kam: „Die Feuerwehrleute mussten für künstlichen Regen sorgen.“ Ursula Fischer sei heute die einzige noch dort lebende Erstbewohnerin.
Im wirklichen Leben gab es Ärger mit dem Haus
Dagmar Berghoff erlebt jetzt zum ersten Mal, wie die Häuser tatsächlich aussehen. Im lichtdurchfluteten Wohnzimmer von Ursula Fischer – die Glasflächen unter dem Dach sorgen als Rundherum-Oberlicht für angenehme Helligkeit – stehen die beiden Frauen vor dem Kamin, der im TV-Dreiteiler am Ende noch eine besondere Bedeutung hat: Bei der Einweihungsparty qualmt es so stark, dass die Gäste das Wohnzimmer fluchtartig verlassen. Heute sieht er im tiefergelegten Teil des Wohnzimmers harmlos und gemütlich aus, aber tatsächlich hat er der Familie Fischer anfangs viel Kummer bereitet: Es zog es aus dem Kamin so enorm, dass ein großes Kissen die Bewohner vor starkem Luftzug bewahren musste. Nebenbei bemerkt: Die Schlussszene mit dem qualmenden Kamin wurde im Studio und nicht auf der Baustelle gedreht.
Überhaupt hat das Haus den Fischers zumindest in der ersten Zeit wenig Freude bereitet. Die erheblichen Baumängel führten zu rechtlichen Auseinandersetzungen, über die damals in der regionalen und angesichts der TV-Serie auch in den überregionalen Zeitungen und Zeitschriften berichtet wurde. Heute ist das längst vergessen und das Verhältnis zwischen Ursula Fischer und dem Architekten wieder geglättet. Fiktion und Realität lagen also gar nicht so weit auseinander.
Auf der Straße flanierten damals viele Schaulustige
Als Ursula und Hanns Fischer im Dezember 1971 das gekaufte Haus An der Alsterquelle 13 bezogen, war ihnen überhaupt nicht bewusst, dass genau hier noch wenige Wochen vorher ein Fernsehfilm gedreht worden war. Sie hatten ganz andere Probleme: Die Küche war nicht komplett, weil es in Baden-Württemberg einen Metallarbeiterstreik gegeben hatte und einiges nicht geliefert werden konnte, der Abwasch musste in der Badewanne erledigt werden, es zog aus dem Kamin.
Überrascht war das Ehepaar dann, als nach Ausstrahlung der Serie im Januar 1972, plötzlich Fremde vor der Tür standen, die sich gerne mal im Haus umgucken wollten. „Die Leute rannten förmlich ins Haus, um zu sehen, wo gedreht worden war“, erinnert sich Ursula Fischer. Auch auf der Straße flanierten Schaulustige. Aber dieses Phänomen ebbte nach einigen Wochen wieder ab.
Familie Fischer lebte sich ein und fühlte sich, nachdem die Anfangsprobleme überwunden waren, wohl in ihrem Bungalow. Zwei Kinder wuchsen hier auf und hatten den Wald zum Spielen direkt vor der Haustür. Vor sieben Jahren kam es hier allerdings zu einem tragischen Unglücksfall: Hanns Fischer stürzte vom Flachdach, prallte mit dem Kopf auf die Terrassenfliesen und verstarb wenige Tage später an seinen schweren Verletzungen.
Dagmar Berghoff erinnert sich gerne an die Dreharbeiten vor 47 Jahren. Da sie 1975 für den NDR-Hörfunk und 1976 für die Tagesschau zu arbeiten begann, übernahm die an der Hochschule ausgebildete Schauspielerin nur noch sporadisch Rollen in Fernsehfilmen. Von ihren Kolleginnen und Kollegen aus dem Wedel-Dreiteiler sah sie bei offiziellen Anlässen hauptsächlich Günter Strack wieder. „Der hat mich dann immer umarmt und an seinen dicken Bauch gezogen.“ Den Drehort in Henstedt-Rhen hätte sie alleine allerdings nicht wiedergefunden, obwohl sie mit ihrem Mercedes-Cabrio gelegentlich schon mal in den Ort kommt, um sich hier mit einer befreundeten Künstlerin zu treffen.
Könnte sie sich vorstellen, an der Alsterquelle zu wohnen? Dagmar Berghoff lächelt: „Es ist reizvoll hier, aber ich brauche die Großstadt und könnte nicht so weit außerhalb leben.“ Und außerdem: Zwei Häuser weiter lebt ihr enger Freund und Ex-Tagesschau-Kollege Wilhelm Wieben, mit dem sie sich zu Spieleabenden trifft. Die müssten dann ausfallen.