Sülfeld. Viele Ereignisse sind im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten. Das Hamburger Abendblatt hat sich auf Spurensuche begeben.
Im ausgehenden Mittelalter gab es einen Handelsweg auf dem Wasser, der die beiden Handelsstädte Lübeck und Hamburg miteinander verband. In wenigen Tagen mit der Lastschute von einem großen Ort zum anderen – das war auf der künstlichen Wasserstraße in Holstein möglich. Die größte Schleusenanlage lag hinter dem Pastorat in der Gemeinde Sülfeld in der extra dafür ausgehobenen Schlucht. Genau an diesem verwunschenen Ort steht bis heute ein unscheinbares, aber schweres eisernes Kreuz auf einem Granitstein mit der Aufschrift „Lisbeth“ vorne und „26. August 1880“ hinten. Der ehemalige Kanal und das eiserne Kreuz haben eine Verbindung: Es ist ein Geheimnis, von dem bis heute nur wenige Menschen wissen.
Der Bau des Alster-Trave-Kanals gehört im 15. Jahrhundert zu den großen Projekten, die gemeinsam von Hamburg und seinen nördlichen Nachbarn getragen, geplant und finanziert werden. Der eigentliche Kanal, das künstliche Wasserbett mit acht Kilometern Länge, ist vom Gut Stegen, wo die Alster vorbei in Richtung Hamburg fließt, durch das Nienwohlder- und das Sülfelder Moor bis in die Ortschaft Sülfeld geplant. In Sülfeld soll der Kanal in die Norder-Beste münden, die sich bei Neritz mit der Süder-Beste zur Beste vereinigt und bei Oldesloe in die zu Lübeck gehörende Trave fließt. Um Schiffsverkehr zu ermöglichen, werden 23 Schleusenanlagen gebaut, damit der unterschiedliche Wasserspiegel zwischen Nord- und Ostsee ausgeglichen wird.
1529 fahren die ersten Schuten von Hamburg nach Lübeck
Die wohl größte Schleusenanlage entsteht direkt hinter dem Sülfelder Pastorat in einer extra dafür ausgehobenen Schlucht. Die Lastschuten stauen sich an dieser Schleuse, und bei ausreichend hohem Wasserstand werden die Schleusentore geöffnet, so dass die Kähne weiterkommen. Flussaufwärts müssen sie von Land aus gezogen werden (Treideln), in die andere Richtung schaffen sie es aus eigener Kraft. Das Hochwasser des Frühjahrs 2016 hat massive Eichenreste der alten Schleusenanlage freigespült und sichtbar werden lassen. Für den Sülfelder Ortschronisten Ulrich Bärwald ist das der exakte örtliche Nachweis für den Verlauf des Alster-Trave-Kanals in Sülfeld.
Der Bau des Kanals zieht sich in die Länge, weil Hamburg sich wegen finanzieller Probleme nach fünf Jahren von dem Projekt zurückzieht. 1452 werden die Bauarbeiten gestoppt und erst 1525 durch Intervention des dänischen Königs wieder aufgenommen. Es wird ein neuer Vertrag geschlossen, nach dem Hamburg und Lübeck die Baukosten je zur Hälfte tragen sollen.
Nach langwierigen und schwierigen Bauarbeiten erreichen am 22. August 1529 die ersten vier Schuten mit Waren beladen von der Hansestadt Lübeck aus auf dem neuen Kanal die Hansestadt Hamburg. Bis 1550 wird der Handelsverkehr über die Wasserstraße abgewickelt. Dann ist die Schleuse bei Neritz nicht mehr betriebsbereit, der Transportfluss unterbrochen. Die Schleuse wird nie wieder in Gang gesetzt. Bis 1557 fahren die Hamburger Schuten mit Waren für Lübeck noch bis Stegen, von dort aus mit Pferdefuhrwerken weiter bis Oldesloe, von wo es dann auf der Trave weitergeht.
Im Laufe der Jahrhunderte gibt es immer wieder Pläne, den Alster-Trave-Kanal neu zu beleben – vergeblich. Ein letztes Mal wird der Neubau eines direkten Kanals von Hamburg nach Lübeck 1873 erwogen. Aber es bleibt bei einem Gutachten, das von der Stadt Hamburg finanziert wird.
Trotz des Misslingens des Kanalprojekts als Idee für die Jahrhunderte wird der Wasserweg aus heutiger Sicht als historisches Denkmal des Wagemuts der hanseatischen Kaufleute und des städtischen Unternehmergeistes im beginnenden 16. Jahrhundert gewertet.
Heute ist vom einstigen Kanal kaum noch etwas zu sehen
1880, als der Kanal und die Sülfelder Schleusenanlage schon längst aus dem Gedächtnis der Menschen verschwunden sind, kommt es hinter dem Sülfelder Pastorat zu einem Unglück. Bereits damals ist das Gelände der ehemaligen Schleusentreppenanlage als Park mit Rundwanderweg durch die Schlucht, weißen Brücken über dem Wasserlauf, Feldsteingrotten und dem „Olymp“, dem höchsten Punkt, wo eine Linde gepflanzt wurde, ausgebaut. Das Pastorats- und Familienidyll des beliebten Pastors Reinhard Theodor Faust, der 1869 mit seiner Frau Karoline aus Hessen kommend die Sülfelder Pastorenstelle übernommen hatte, wird jäh zerstört: Die siebenjährige Tochter Lisbeth ertrinkt in dem aufgestauten See. Nach der Bestattung auf dem Kirchhof gegenüber dem Pastorat lassen die Eltern in Erinnerung an diesen tragischen Unglücksfall am Unglücksort einen kleinen Feldsteinsockel aufmauern und stellen obenauf ein eisernes Gedenkkreuz mit der bereits beschriebenen Inschrift „Lisbeth“ und „26. August 1880“. Pastor Faust bleibt bis 1903 im Amt.
Erst vor wenigen Jahren kamen nahe Angehörige der Pastorenfamilie nach Sülfeld und überreichten Ulrich Bärwald viele Fotos aus der Sülfelder Zeit um 1890 bis etwa 1900. Darunter auch eins, auf dem Lisbeth Faust mit Geschwistern zu sehen ist.
Heute ist vom einstigen Kanal kaum noch etwas übrig geblieben: Ein kleiner Bach, der häufig nur ein Rinnsal ist. Am Ortsrand von Sülfeld quert der Fahrrad-Wanderweg mit Europas längstem Obstbaum-Pfad auf der ehemaligen Eisenbahtrasse der EBOE den einstigen Kanal.
In Sülfeld selbst ist der Große Graben, ein ehemaliges Schleusenbecken des Kanals, vor einigen Jahren umgestaltet worden. Dabei ist vom Dorfkern aus am Kanal entlang ein Wanderweg auf der ehemaligen Treidelgasse in Richtung Moor neu angelegt worden. Seit 1989 führt die Gemeinde Sülfeld das Symbol des Kanals im offiziellen Gemeindewappen – genau wie alle übrigen Gemeinden am ehemaligen Kanalverlauf: Nienwohld, Kayhude, und Bargfeld-Stegen. Die Relikte des Kanals in der Sülfelder Pastorenschlucht stehen unter Denkmalschutz des Landes Schleswig-Holstein.