Wilhelm Stolley wanderte in die USA aus und gründete dort Grand Island, heute hat die Stadt 52.000 Einwohner.

Neues Land, neue Hoffnung: Mitte des vorletzten Jahrhunderts wanderten viele Schleswig-Holsteiner nach Übersee aus, vor allem in die Vereinigten Staaten. Der Aufstand aus der dänischen Herrschaft führte vor allem 1848 zu Massenauswanderungen. Die meisten Auswanderer kamen aus Dithmarschen, aber auch aus dem Kreis Segeberg schlossen sich viele Menschen, vor allem junge Leute, der Bewegung an. Die „Forty Eighters“ landeten in New York, viele ließen sich auch in den Staaten des mittleren Westens wie Iowa, Nebraska, North und South Dakota und Minnesota nieder. Manche haben Spuren hinterlassen, aber nur wenige Namen sind bis heute bekannt. Wilhelm Stolley aus dem Ort Warder gehört zu ihnen: In Nebraska gibt es einen Park, der seinen Namen trägt, und sein ehemaliges Wohnhaus kann besichtigt werden. Stolley, der dort bis heute verehrt wird, gehört zu den Gründern von Grand Island, dem mit rund 52.000 Einwohnern drittgrößten Ort des US-Bundesstaates.

Viele Auswandererschicksale sind im Laufe von fast zweihundert Jahren in Vergessenheit geraten. Der vor einigen Jahren verstorbene Segeberger Privatgelehrte Dr. phil. Gerd Hagenah hatte es sich allerdings zur Aufgabe gemacht, die Lebensgeschichte vieler Auswanderer aufzuschreiben und in einem umfangreichen Archiv festzuhalten. Die im Jahr 1987 gegründete Amerika-Gesellschaft Bad Segeberg besitzt ein umfangreiches Auswanderer-Archiv, das auch auf vielen Dokumenten aus dem Nachlass von Gerd Hagenah fußt. Dort ist auch das Wirken von Wilhelm Stolley aufgezeichnet, der im Jahr 1831 als Sohn eines Lehrers und Organisten in Warder zur Welt kam und bereits mit 17 Jahren als Scharfschütze in den deutsch-dänischen Krieg ziehen musste. Sein Vater entschied schließlich, dass der junge Wilhelm und sein älterer Bruder Jürgen auswandern und ihr Glück in den USA suchen sollten.

Stolleys Enkelin hält die Erinnerung an ihren Opa wach

Aber auch in Nebraska gibt es Menschen, die sich mit der Geschichte des Mannes aus dem Kreis Segeberg intensiv beschäftigt haben. So berichten lokale Zeitungen von Grand Island und Umgebung immer wieder mal über den Ortsgründer. Und schließlich ist es seiner Enkelin Grace Carmody, Witwe des ehemaligen Staatssenators Art Carmody, zu verdanken, dass die Erinnerung an ihren deutschen Opa wachgehalten wird: Sie hat mit einer Kampagne für den Erhalt des Heims von Wilhelm Stolley auf der Familienfarm gesorgt. Die Farm ist heute der Stolley Park in Grand Island, einem Vergnügungspark mit vielen kleinen Familienattraktionen. Grace Carmody berichtet in einem Buch auch über die Lebensgeschichte ihres Großvaters und über die Gründung von Grand Island.

Stolley und sein Bruder Jürgen überlebten auf der Überfahrt mit einem Drei-Mast-Schiff die Cholera, fuhren über den Mississippi von New Orleans nach Davenport in Iowa, wo sie Verwandte hatten. In den nächsten Jahren waren beide für den aus der Schweiz stammenden, international renommierten Naturforscher Louis Agassiz tätig und sammelten Gesteinsproben im Südosten der Vereinigten Staaten.

Nach Nebraska kam Wilhelm Stolley erstmals im Jahr 1857, als er 37 Siedler im Auftrag einer Bank dorthin führte, weil dort der Bau einer transkontinentalen Eisenbahnstrecke geplant war. Sie besiedelten das Gebiet von Hall County, das heute die Stadt Grand Island ist, und bauten identische Blockhäuser auf einem etwa 160 Hektar großen Gebiet. Stolley wurde zum Leiter der Siedlung gewählt. Das Stolley-Haus, im Jahr 1894 um ein Stockwerk erweitert, kann heute im Stolley-Park besichtigt werden. Ein Jahr später führte Stolley, der seinen Vornamen inzwischen auf William geändert hatte, eine weitere Siedlergruppe von Iowa in den Westen. Es wurde ein Vertrag mit der Armee in Fort Kearny geschlossen, um die Soldaten mit Mais und Heu zu versorgen, sodass die Siedler ihrerseits Geld zum Überleben in der von harten Wintern geprägten Landschaft hatten.

William Stolley, dem Bildung wichtig war, organisierte dann den ersten Schulbezirk in Hall County, baute das Schulhaus auf seinem Grundstück und war bis zu seinem Tod im Jahre 1911 Präsident der Schulbehörde. Außerdem pflanzte er Zeit seines Lebens Tausende von Bäumen und experimentierte im Gartenbau, um herauszufinden, was in diesem Land wachsen würde. Den Lebensunterhalt verdiente er hauptsächlich mit seinem Baumschulgeschäft. Stolley machte seinen eigenen Wein, züchtete Bienen für die Honigproduktion und sorgte unter anderem auch dafür, dass die Spatzen in Nebraska heimisch wurden: Weil er meinte, in dieser Gegend fehlten Vögel, um Insekten zu vernichten, kaufte er für fünf Dollar ein Spatzenpärchen in New York und setzte es aus – mit großem Erfolg. Sehr zum Ärger der Nachbarn übrigens, die für diese Vögel nichts übrig hatten.

Die Indianer nannten Stolley „Doctor White Man“

Stolley, der mit seiner Frau Wilhelmine zehn Kinder hatte, verstand sich gut mit den Indianern der Stämme Pawnee und Sioux, die ihn „Doctor White Man“ nannten, weil er sie regelmäßig verarztete. Sein bester Freund war ein Pawnee-Chief, dessen Großneffe noch heute eine Freundschaft mit Stolley-Enkelin Grace pflegt.

Die Lebensgeschichte von Wilhelm „William“ Stolley kann heute auch deshalb ausgewertet werden, weil in den Archiven der Historischen Gesellschaft Nebraskas viele Briefe aus den Jahren von 1852 an archiviert sind. Darin berichten Stolley oder seine Frau und später die Kinder deutschen Freunden und Verwandten über das Leben, über geschäftliche Beziehungen und auch über die allgemeinen Geschäftsentwicklungen in Grand Island.