Norderstedt. Im Gespräch erläutert die Beauftragte Claudia Meyer, was sich seit 1988 geändert hat und welche Themen nach wie vor aktuell sind.

Zum 1. Februar 1988 hat die Stadt Norderstedt eine Frauenbeauftragte etabliert und war damit eine der ersten Städte in Deutschland. Nun feiert die Gleichstellungsstelle, wie sie inzwischen heißt, ihren 30. Geburtstag – Anlass für ein Gespräch mit Claudia Meyer, nach Pionierin Brigitte Volkmann die sechste Frau, die sich im Rathaus um die Gleichstellung kümmert.

Frau Meyer, was hat sich seit 1988 verändert beziehungsweise verbessert?

Claudia Meyer: Verbessert hat sich, dass es einen genaueren und oft kritischeren Blick auf Rollenklischees gibt. Kitas und Schulen versuchen zunehmend, die überlieferten Rollen aufzubrechen. Auch der Girl’s und Boy’s Day hat sicher einiges bewirkt. Und vor allem: Die Debatte wird bei Weitem nicht mehr so ideologisch geführt wie zu Zeiten von Alice Schwarzer und Co.

Brauchen wir heute noch eine Gleichstellungsstelle?

Mein Job ist leider noch nicht erledigt, und ich sehe mich für die Zeit bis zu meiner Rente sehr gut ausgelastet. Warum ist es nicht selbstverständlich, dass 50 Prozent der Führungspositionen mit Frauen besetzt sind? Warum werde ich gefragt, was ich davon halte, jetzt eine Oberbürgermeisterin zu haben? Damit zählt Norderstedt übrigens zu den Ausnahmen, nur 8,2 Prozent der deutschen Städte haben eine Oberbürgermeisterin. Ob ungleiche Löhne, Altersarmut, die hauptsächlich Frauen trifft, nur sieben Prozent Frauen in den Unternehmensvorständen – es gibt jede Menge Themen, die bearbeitet werden müssen.

Sind Sie Feministin?

Je nachdem. Ich würde mich nicht in einer lila Latzhose auf den Rathausmarkt stellen. Aber es gibt noch viel Nachholbedarf und Desinteresse. Wir können und müssen mit Aktionen, Diskussionen und Veranstaltungen Aufmerksamkeit erzeugen und – hoffentlich – auch Veränderungen im Denken anstoßen. Letztlich gilt es, dicke Bretter zu bohren, Erfolge lassen sich nur langfristig erreichen, wobei sich der Fokus verändert hat, weg von der reinen Frauen-, hin zur Familienpolitik.

Was heißt das?

Männer stehen heute oft vor den gleichen Problemen wie Frauen. Wenn sie Elternzeit nehmen, erleben sie die klassisch weibliche Perspektive, bringen die Kinder zur Kita und holen sie ab, kaufen ein. Sie stellen fest, wie wichtig kurze Wege sind, was beispielsweise bei der Planung von Baugebieten berücksichtigt werden sollte. Auch das zählt zu meinen Aufgaben.

Dieser Wandel von der Frauen- zur Familienpolitik – bedeutet er, dass Frauen und Männer heute die gleichen Probleme haben?

Bestehende Nachteile sind nicht per se Nachteile für Frauen. Nachteile haben alle, die alleinerziehend sind. Und alle, die das Berufsleben unterbrechen oder kürzertreten, weil Kinder kommen oder sie Angehörige pflegen. Da macht es keinen Unterschied, ob Mann oder Frau – alle haben dann den Knick in der Karriere oder überhaupt im Beruf.

Studierte Biologin

Norderstedts Gleichstellungsbeauftragte Claudia Meyer ist seit 1. November 2005 im Amt. Die studierte Biologin hat schon vorher im Rathaus gearbeitet, erst im Umweltamt, dann im Kulturbereich. Für ihre jetzige Tätigkeit hat sie eine Weiterbildung zur Führungskraft absolviert.

Claudia Meyer hat zwei Mitarbeiterinnen in Teilzeit, Soziologin Ulrike Glüer und Bürokauffrau Rukiye Köksal. Meyer ist 54 Jahre alt und verheiratet, ihr Mann brachte zwei inzwischen erwachsene Kinder mit in die Ehe.

Das Büro ist zu den Sprechzeiten des Rathauses zu erreichen, unter Telefon 040/535 95 105, -106 und -645.

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Wie steht es denn um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

Da ist zwar in den letzten Jahren schon viel passiert, aber: Wir brauchen kostenlose Kitas mit flexiblen Öffnungszeiten, verlässliche Grundschulen mit Nachmittagsbetreuung, mehr Heimarbeitsplätze und ein Umdenken in den Betrieben. Menschen in Führungspositionen müssen nicht immer präsent sein.

Welche Themen sind geblieben?

Geblieben ist, und das überrascht doch ein wenig, die Diskussion um die Information darüber, wo Frauen legal einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen können. Der Fall der Ärztin Kristina Hänel zeigt: Werbung oder Information ist ein Unterschied. Das in einen Topf zu rühren ist nicht okay. Ich kenne keine Frau, die damit leichtfertig umgeht. In allen mir bekannten Fällen wägen die Frauen das sehr genau ab. Aber wenn sie sich dann für einen Abbruch entscheiden, muss doch die Möglichkeit gegeben sein, Informationen zu bekommen.

Ein dominierendes Thema war in den letzten Jahren die häusliche Gewalt. Wie hat sich die Situation entwickelt?

Das Thema zieht sich durch die Arbeit in all den Jahren. Es ist nach wie vor hoch aktuell und betrifft alle gesellschaftlichen Schichten. Und so mache ich immer wieder Präventionsarbeit mit der Frauenberatungsstelle, dem Frauenhaus, der Polizei und anderen Organisationen. Eine Hilfe ist das Wegweisungs- oder Gewaltschutzgesetz, das es seit 2002 gibt. Die Polizei kann unter bestimmten Voraussetzungen eine gewalttätige Person, in der Regel die Männer, für 14 Tage aus der gemeinsamen Wohnung „wegweisen“. Zeit, die Sachen zu packen und raus. Das bringt die Täter doch immer mal wieder zur Einsicht, dass sie zu weit gegangen sind.

Sind Sie da auch akut gefordert?

Es kommt vor, dass Frauen anrufen und sagen: Mein Mann geht auf mich los. Oder Frauen kommen in die Sprechstunde, sitzen zitternd vor mir und brauchen schnell Hilfe, weil in zwei Stunden ihr Mann zurückkommt. Da wenden wir uns an die Polizei und an das Frauenhaus, wo Frauen unterschlüpfen können.

Beim Thema Gewalt gegen Frauen rückt sofort die Silvesternacht 2015 in Köln und Hamburg mit den zahlreichen Übergriffen gegen Frauen wieder in den Blick. Haben Sie die Folgen in Norderstedt zu spüren bekommen?

Ja, danach ist das Thema Selbstverteidigung massiv wieder aufgetaucht. Wir bieten immer wieder einzelne Kurse an, aber nach den Vorfällen an Silvester in Köln und Hamburg haben wir eine derartig große Nachfrage gehabt, dass wir dem kaum noch gerecht werden konnten. Dann ist es wichtig, kurzfristig Angebote zu schaffen. Auf Dauer haben wir uns mit anderen Anbietern zusammengetan, weil wir das zusätzlich zum Tagesgeschäft nicht leisten können.

Ein weiteres Thema, das bundesweit Schlagzeilen gemacht hat, waren die massiv steigenden Versicherungsprämien für freiberufliche Hebammen. Wie haben Sie darauf reagiert?

2014 wurden auch wir mit der untragbaren Situation der freiberuflich tätigen Hebammen konfrontiert. Wir haben mit einer Fotoausstellung und einer Podiumsdiskussion mit Bundestags- und Landtagsabgeordneten darauf aufmerksam gemacht, dass die Arbeitsbedingungen sich stetig verschlechtern, vor allem durch die jährlich massiv steigende Versicherungsprämie, im Jahr 2015 waren es mehr als 5000 Euro. Das war zwar ein bundesweites Problem, aber die Folgen waren in Norderstedt deutlich zu spüren: Erfahrene Hebammen haben aufgegeben, kaum jemand möchte den Beruf noch ergreifen. Viele Familien können nicht mehr durch eine Hebamme betreut werden, und Frauen können sich nicht frei entscheiden, wo und wie sie ihr Kind bekommen wollen.

Wie werden Sie mit der Gleichstellung in Ihrer täglichen Arbeit konfrontiert?

Auf allen Ebenen und von allen Seiten. Die Palette reicht von der konzeptionellen Arbeit, von landes- und bundesweiter Vernetzung, Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen, bis hin zur Bearbeitung von Einzelfällen. Wir sind zuständig für die Stadtverwaltung mit allen Einrichtungen und für alle, die in Norderstedt leben. In der Beratung spielen Trennung, Scheidung, Wiedereinstieg in den Beruf und Mobbing eine große Rolle. Da geht es oft erst einmal darum zuzuhören und die Betroffenen dann an die Fachberatungsstellen zu vermitteln, mit denen wir in Norderstedt gut ausgestattet sind.

Wieweit ist das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Schleswig schon umgesetzt, dass Aufsichtsräte paritätisch besetzt sein müssen?

Das Urteil vom 6. Dezember 2017 ist noch frisch. Dazu haben das Gleichstellungsministerium und des Innenministerium aktuell eine gemeinsame Handlungsempfehlung an die Kommunen geschickt. Die Kommunalwahl hat vor Kurzem stattgefunden. Wenn nach der Sommerpause die Politikerinnen und Politiker in die Aufsichtsräte der städtischen Gesellschaften entsendet werden, gehe ich davon aus, dass diese Handlungsempfehlung beachtet wird.

Wie hoch ist der Frauenanteil auf der Führungsebene in der Norderstedter Stadtverwaltung?

Da kann sich Norderstedt sehen lassen. Von 37 Amts- und Fachbereichsleiterstellen sind 16 mit Frauen besetzt. Hinzu kommen zwei von drei Dezernentenstellen, eine ist die Oberbürgermeisterin. Bei Einstellungen werde ich beteiligt, wobei auch für mich der Grundsatz gilt: Qualifikation vor Geschlecht. Bei gleicher Kompetenz haben Frauen Priorität in Bereichen, in denen sie unterrepräsentiert sind.

In der neuen Stadtvertretung sind von 39 Mandaten nur 13 an Frauen vergeben. Wie lassen sich mehr Frauen für Kommunalpolitik und da auch für Spitzenämter gewinnen?

Mit einem Drittel Frauen in der Stadtvertretung steht Norderstedt in Schleswig-Holstein gut da. Trotzdem reicht die Zahl natürlich noch lange nicht, um die Hälfte der Bevölkerung zu repräsentieren. Um den Anteil zu erhöhen, müssten die Strukturen so geändert werden, dass Frauen ehrenamtliches politisches Engagement und berufliche Karriere oder Familienarbeit besser vereinbaren können, zum Beispiel durch Digitalisierung. Außerdem wäre es gut, wenn man der Herangehensweise vieler Frauen an solche Positionen Rechnung tragen würde.

Gibt es da Unterschiede zwischen Männern und Frauen?

Die meisten Frauen wollen vorbereitet sein, wenigstens ungefähr wissen, was auf sie zukommt. Und sie fragen sich vorher, ob sie das gewuppt kriegen, den Anforderungen genügen und sie mit den Aufgaben in der Familie in Einklang bringen können. Männer sind da meistens etwas lockerer.

Wie bewerten Sie die Bemühungen um eine „geschlechtergerechte Sprache“? Nicht nur Männer, auch Frauen fragen sich: Tut das Not, und verbessert das wirklich die Position von Frauen?

Das frage ich mich allerdings auch an manchen Stellen. Eine geschlechtergerechte Sprache ist nicht einfach umzusetzen. „Bürgerinnen und Bürger“ ist eben umständlich, wie auch „Radfahrerinnen und Radfahrer“. „Radfahrende“ ist eine ungewohnte, aber wenigstens kurze Ausdrucksweise, die hier eine Lösung sein kann. Wenn eine Uni aber 40.000 Euro in die Hand nimmt, um alle Kopfbögen und Schilder sofort von „Studentenwerk“ in „Studierendenwerk“ zu ändern und das Geld dann in der Forschung fehlt, kann das auch kontraproduktiv sein. Andererseits: Wird die weibliche Form nicht genannt, werden Frauen eben auch nicht mitgedacht. Das ist nachgewiesen. Solange wir nicht so weit sind, Frauen immer automatisch „mitzudenken“, ist es schon wichtig, dass sie in der Sprache auftauchen.