Norderstedt. Für die Oberbürgermeisterin ist die Affäre um Verleger Sven Boysen beendet. Dabei weitet sie sich aus. Und neue Fragen stehen im Raum.
Nichts, sagt die Oberbürgermeisterin. Nichts sei passiert. Nichts Schlimmes. Elke Christina Roeder (SPD), die erste Frau an der Spitze der Norderstedter Stadtverwaltung hat im Interview mit dem Abendblatt (28. April) den Schlussstrich unter die Affäre um den Verleger Sven Boysen gezogen. Die Staatsanwaltschaft eröffnet kein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfes der Nötigung im Amt – also ist der Fall erledigt. Für die OB.
Was Roeder dabei verkennt, ist, dass es bei der Affäre schon längst nicht mehr um Sven Boysen und nur noch sekundär um die strafrechtliche Relevanz geht. Primär geht es mittlerweile um die Frage, wie sie sich in der Sache verhalten hat, wie sie ihr neu erlangtes Amt ausübt, ihren Umgang mit Macht – und wie sie die Kommunalpolitik, ihr demokratisches Korrektiv, behandelt.
Zugegeben: Sven Boysen hat der Oberbürgermeisterin von Anfang an nicht viel Luft zum Atmen gelassen. Er setzte nicht auf das Vier-Augen-Prinzip und das klärende Gespräch unter Kontrahenten im Hinterzimmer, sondern auf die maximale Öffentlichkeit. Mit der Anzeige bei der Staatsanwaltschaft setzte er ihr schon zum Auftakt eine kräftige Salve vor den Bug. Das prägte den Stil der nun laufenden Auseinandersetzung.
Und die ist auch eine zwischen den Parteien SPD und CDU. Der Verleger Boysen (Regenta-Verlag) publiziert kostenlose Anzeigenmagazine wie das „Stadtmagazin“, organisiert Messen und bietet mediale Dienstleistung. Um journalistische Neutralität hat er sich dabei nie bemüht, seine Nähe zur CDU ist bekannt, er engagiert sich in der Partei und organisierte für den CDU-Kandidaten David Hirsch den Oberbürgermeister-Wahlkampf – und verlor krachend gegen Roeder. Sein aggressives Vorgehen gegenüber Roeder zeigt, wie angefressen er und auch die hinter ihm stehende CDU in Norderstedt nach der verlorenen Oberbürgermeister-Wahl wirklich sind. Schon während des Wahlkampfes sollen Boysen und Roeder wie die Kesselflicker aneinandergeraten sein. Entsprechend muss es Boysen wie ein verspätetes Weihnachtsgeschenk vorgekommen sein, als er aus dem Rathaus jene Kopie eines Protokolls der Sitzung der Standort- und Tourismusmarketing-Arbeitsgemeinschaft vom 15. Februar zugespielt bekam. Darin der Norderstedts Amtsleiter Hauke Borchardt zugeschriebene Passus: „Ab sofort sollen keine neuen Projekte in Zusammenarbeit mit dem Regenta-Verlag durchgeführt werden. Dies ist eine Entscheidung von Frau Oberbürgermeisterin Roeder. Laufende Projekte werden jedoch nicht abgebrochen.“
Verleger Boysen sieht Pressefreiheit in Gefahr
Heureka! Für Boysen und die CDU war dies der Beweis dafür, dass die Genossin Roeder ernst macht mit dem, was manche Jusos gerüchtehalber schon in der Wahlnacht als Losung ausgegeben hatten: Norderstedt bekommt ein „Rotes Rathaus“ und all jene, die nach 19 „schwarzen“ Grote-Jahren der CDU zu nahestehen, werden ausgebootet.
Noch dazu will Boysen ja auch nachweisen können, dass entweder die frisch ins Amt beförderte SPD-Oberbürgermeisterin persönlich oder einer ihrer Mitarbeiter just am Tag der Amtseinführung am 9. Januar Boysens Regenta-Verlag aus dem Presseverteiler der Stadt geworfen hat. Boysen führt ein Archiv aller Mitteilungen der Stadt an seinen Verlag – es endet exakt am 9. Januar mit der Pressemitteilung von der Amtseinführung und setzt sich erst am 5. März wieder fort, nachdem Boysen sich um Wiederaufnahme bemüht hatte. Boysen hängt das hoch auf und sieht die Pressefreiheit in Gefahr.
Gemach. Elke Christina Roeder reagierte mit der Kühle und Sachlichkeit einer Juristin. Dass die Vorwürfe – Nötigung im Amt, Verstoß gegen das Neutralitätsgebot und die öffentlichen Vergaberichtlinien, Angriff auf die Pressefreiheit – einer juristisch belastbaren Grundlage entbehren, erkannte sie schnell. Entsprechend konzentrierte sie sich in ihrem Krisenmanagement auf die Zusammenarbeit mit der ermittelnden Staatsanwältin in Kiel. Als sie dort avisiert bekam, dass angesichts der Substanz der Anzeige die Bereitschaft zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens von Anfang an kaum gegeben gewesen sei, lehnte sich Roeder innerlich zurück. Ein Fehler.
Denn sie zeigte sich in der Kommunikation über die Affäre gegenüber der Norderstedter Kommunalpolitik eherzugeknöpft. Nur in nicht öffentlicher Sitzung wurde darüber gesprochen. Dabei kam es zu heftigen atmosphärischen Störungen, weil sich Roeder den Fragen der Politik nur oberflächlich und mündlich stellte und nicht detailliert und schriftlich, also für alle nachvollziehbar und schwarz auf weiß im Protokoll der Sitzung. Ein Missverständnis, wie Roeder später sagen wird, weil der Hinweis „Schriftliche Beantwortung“ in einer Anfrage gefehlt haben soll.
Für die juristischen Laien in der Stadtvertretung gab es trotz der Einstellung der Ermittlungen nämlich viele offene Fragen: Wie kam es denn nun zum merkwürdigen Protokolleintrag? Wer hat denn den Boysen aus dem Presseverteiler geschmissen? Und wie läuft das überhaupt ab, wenn das Rathaus mit externen Dienstleistern aus den Medien Projekte beschließt?
Die kommunalpolitischen Ehrenamtler wurden das Gefühl nicht los, von der neuen Oberbürgermeisterin nicht auf Augenhöhe behandelt zu werden. Die CDU hatte knapp 30 Fragen zur Affäre schriftlich eingereicht, die FDP weitere vier Fragen-Blöcke. Und auch wenn durch den Fragenkatalog, besonders bei der CDU, der abgestandene Wind des längst vergangenen Wahlkampfes wehte, so waren die gestellten Fragen nicht nur legitim, sondern auch für die restlose Aufklärung des Sachverhaltes notwendig.
Roeder setzte sich schließlich ein ganzes Wochenende lang konzentriert an den Schreibtisch und beantwortete alle Fragen schriftlich. Doch weder die Fragen, noch die Antworten sind für die Öffentlichkeit bestimmt, sie wurden in nicht öffentlicher Sitzung im Hauptausschuss behandelt.
Dem Abendblatt liegen die Dokumente aber vor. Oberbürgermeisterin Roeder lehnte im Abendblatt-Interview einen Kommentar dazu mit Verweis auf die Nichtöffentlichkeit ab.
Für die Bewertung der Affäre sind die Aussagen Roeders gegenüber der Politik aber entscheidend. Denn die OB zeichnet darin das Bild, das sie auch schon im Wahlkampf bemühte – von der Verwaltungschefin, die Verantwortung übernimmt und sich schützend vor ihre Mitarbeiter stellt, wenn die mal Fehler machen.
Roeders Aussagen werfen erneut Fragen auf
Zum umstrittenen Protokolleintrag vom 15. Februar, der sich wie eine klare Dienstanweisung zum Ausschluss Boysens aus allen künftigen Projekten der Stadt Norderstedt liest, sagte Roeder öffentlich, dass sie nicht in der Sitzung gewesen sei, die Sätze so nie gesagt habe und dass ein Mitarbeiter das irgendwie unglücklich verkürzt formuliert habe. Auf die Frage der CDU zum Thema antwortet sie schriftlich, wie es dazu kommen konnte und schreibt von allgemeinen Gesprächen mit Mitarbeitern im Vorfeld der Sitzung: „Ich habe mich über die Vergabe städtischer Aufträge geäußert und darauf hingewiesen, dass für die Vergabe durch die öffentliche Hand Grundsätze gelten und zu beachten sind. Weil ich den Eindruck hatte, dass es auf diesem Gebiet Klarstellungsbedarf gibt, habe ich gesagt, neue Aufträge oder Projekte sollen zunächst einmal nicht vergeben werden, laufende Verträge seien aber selbstverständlich weiter einzuhalten.“ Und weiter: „Vom Regenta-Verlag war in diesem Zusammenhang nur beispielhaft die Rede, weil nach meiner Kenntnis zurzeit gerade nur mit diesem Unternehmen ein durch Vergabe begründetes Auftragsverhältnis besteht. Die Formulierung im Protokoll (...) entstellt demgegenüber den Sinn dessen, worum es mir ging (...).“
Aussagen, die erneut Fragen aufwerfen: Wie kann ein Mitarbeiter des Rathauses einen allgemeinen Hinweis der Oberbürgermeisterin zur Vergabepraxis derart missverstehen, dass daraus in einem Protokoll eine scharfe, unmissverständliche Anweisung wird? Und warum hat Roeder den Eindruck, dass es Klarstellungsbedarf innerhalb der Norderstedter Verwaltung gibt, was die Vergabepraxis angeht? Schlummert in dieser Annahme der Verdacht, dass es in der Vergangenheit dabei nicht mit rechten Dingen zuging?
Auf die Frage der CDU, wer denn nun den Regenta-Verlag aus dem Presseverteiler geworfen hat, antwortet Roeder: „In meiner Amtszeit ist noch niemand aus dem Verteiler entfernt worden, auch nicht der Regenta-Verlag. Er wurde im Dezember 2017 gelöscht und ist, nachdem er Ende Februar 2018 in der Pressestelle nachgefragt hatte, seit Anfang März wieder im Verteiler.“
Also auch hier sieht die Verwaltungschefin keine Verantwortung bei sich selbst. Die Löschung des Regenta-Verlages räumt sie ein – aber sie geschah im Dezember 2017, als noch der Erste Stadtrat Thomas Bosse als Interims-Chef das Sagen im Rathaus hatte.
Glaubwürdigkeit von Roeder steht auf dem Spiel
In der Politik sorgen diese Aussagen für Unruhe. Bei der CDU kennt man die Belege Boysens, wonach die Löschung des Presseverteilers erst am 9. Januar 2018 erfolgte. Da steht nun Aussage gegen Aussage. Ein Stadtvertreter der CDU, der nicht namentlich genannt werden möchte, bleibt mit Zweifeln und Fragen zurück: „Was, wenn es nicht stimmt, was Roeder sagt? Und sie ihre Mitarbeiter für eigene Fehler verantwortlich macht? Was bedeutet das dann für die weitere Zusammenarbeit in der Stadtverwaltung?“ Der FDP-Fraktionschef Klaus-Peter Schroeder stößt sich am „Klarstellungsbedarf“, den Roeder beim Thema Vergabe sieht. „Ich möchte nicht, dass das Norderstedter Rathaus in den Ruch gerät, in den letzten 19 Jahren unter Grote sei irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugegangen.“
Und so wird aus einem Wahlkampf-Gezänk, einer vermeintlichen Petitesse, ein Politikum, in dem es am Ende um die Glaubwürdigkeit der Oberbürgermeisterin und ihrer Aussagen geht. Boysens auch von Revanche-Gedanken und persönlicher Betroffenheit geleitete Kampagne gegen die Verwaltungschefin hat nun letztlich Fragen aufgeworfen, die wichtiger sind als die sie auslösende Affäre.
Nichts ist passiert, sagt Oberbürgermeisterin Roeder. Nichts Schlimmes. Hoffentlich behält sie recht.