Norderstedt. Die 100-Tage-Bilanz: Norderstedts Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder im Interview mit dem Hamburger Abendblatt.

Hundert Tage Elke Christina Roeder – die SPD-Frau hat seit Januar das Sagen im Rathaus. Zum ersten Interview kam die neue OB zum Redaktionsbesuch an der Rathausallee vorbei. Ein Gespräch über die Bilanz der ersten drei Monate, ihr Ankommen in der Stadt und die erste schwere Bewährungsprobe ihrer noch jungen Amtszeit.

Woran merken Sie, dass Sie schon ein klein wenig Norderstedterin geworden sind?

Elke Christina Roeder: Daran, dass ich morgens eine kurze Strecke ins Rathaus habe. Ich bin ja aus Neumünster nach Friedrichsgabe umgezogen. Und mein Auto hat ein neues Kennzeichen, schön sauber und ordentlich. Ich werde angesprochen auf der Straße, die Bürger wissen, wer ihre Oberbürgermeisterin ist. Man wird nett gegrüßt.

Haben Sie Ihre Nachbarschaft schon kennengelernt?

Mein Nachbar hat mir sogar den Rasen gemäht. Er sagte: ,Sie haben ja nicht so viel Zeit – das mache ich gleich mit!’ Ich bin ihm sehr dankbar.

Ihren ersten Eindrücken nach: Was hat Sie an Norderstedt am meisten überrascht?

Ich hätte nicht gedacht, dass Norderstedt so ein immens großes Problem bei der Kitaversorgung hat. Ich wusste, dass da Plätze fehlen, aber nicht, dass hier so ein großer Handlungsbedarf besteht. Da sind wir gleich in die Arbeit eingestiegen, mit einem Sofortprogramm. Auch wenn es nicht schön ist, Container aufzustellen für die Kinderbetreuung – darum werden wir zunächst nicht herum kommen. Sie glauben gar nicht, wie viele E-Mails ich bekomme, von Müttern und Vätern, die mir ihr Leid klagen, dass sie ihr Kind vor der Geburt in der Kita angemeldet und trotzdem keinen Platz bekommen haben.

Gebäude sind das eine, Personal das andere. Erzieher sind Mangelware. Dezernentin Reinders hat vorgeschlagen, dass die Stadt selbst ausbilden und dem Kita-Personal mehr zahlen soll.

Selbst auszubilden ist ein guter Weg, mehr Personal zu bekommen. Ich bin dabei ein Fan der dualen Ausbildung. Wir prüfen das mit Hochdruck, hatten Abstimmungsgespräche mit dem Ministerium und dem kommunalen Arbeitgeberverband. Die Lage ist schwierig. Aber auszubilden hilft uns mehr weiter, als nur mehr Geld zu bezahlen.

Was hat Sie in den ersten 100 Tagen im Amt mehr in Anspruch genommen: Das Kennenlernen und Analysieren der Norderstedter Verwaltung? Oder das Kennenlernen und Vernetzen von und mit Bürgern aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft?

Beides. Ich wollte alle Mitarbeiter im Rathaus kennenlernen. Habe im Keller in der Poststelle angefangen und bin von Etage zu Etage gelaufen und unterhielt mich mit allen. Ich habe auch viele Termine in der Stadt wahrgenommen und versucht, mich zu vernetzen. Aber das ist ein dauernder Prozess. Wichtiger war es mir, die Platzverhältnisse im Rathaus zu begutachten, herauszufinden, wie es den Mitarbeitern geht, wie ihr Arbeitsumfeld ist. Im Rathaus ist es sehr eng. Der geplante Anbau ist nötig.

Inwiefern haben Sie ihre Agenda für den Auftakt Ihrer Amtszeit verfolgt oder erfüllt? Sie hatten angekündigt, die Straßenausbaubeiträge abschaffen zu wollen und ein Bündnis für Wohnen zu schmieden. Die Norderstedter CDU resümiert: außer dem öffentlichkeitswirksamen Abhängen eines Tempo-30-Schildes an der Poppenbütteler Straße sei da nicht viel gewesen...

Das ist nicht richtig! Also – so gar nicht richtig! Ich will dieses Bündnis für Wohnen, es steht ganz oben auf meiner Agenda. Und wir haben jetzt auch einen Termin für eine Auftaktveranstaltung am 9. Mai. Meine Vorstellung wäre es gewesen, schneller damit zu sein – das war ich nicht. Aber ich sage immer: Gründlichkeit kommt vor Schnelligkeit. So einen Runden Tisch gilt es, gut vorzubereiten. Wir müssen uns um den Gesamtbereich des Wohnens kümmern. Wir wollen nicht nur mit den Grundstücksbesitzern reden, sondern auch die Mieter einbeziehen. Ich habe einen Mitarbeiter des Ministeriums für einen Impulsvortrag gewinnen können. Ein gutes Zeichen ist der Rücklauf auf unsere Einladungen: Keine Absagen!

Bei den Ausbaubeiträgen gilt auch: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Wir müssen Aufklärungsarbeit beim Bürger und der Politik leisten. Jeder denkt, Kiel hat die Gebühren abgeschafft, ich muss nichts mehr zahlen – aber es gibt rechtlich verschiedene Grundlagen. 60 bis 70 Straßen in Norderstedt müssen noch nach Bundesbaugesetzbuch endausgebaut werden – diese Gebühren können wir als Stadt gar nicht abschaffen. Wir legen demnächst eine Beschlussvorlage der Politik vor – wie die Politik entscheidet, weiß ich nicht.


Auch der ÖPNV war für mich im Wahlkampf ein wichtiges Thema. Und ich habe meinen Antrittsbesuch bei der AKN gemacht. Wir prüfen die Verlängerung der U1 nach Norden, aber auch, wie wir die AKN-Züge mit Elektro- oder Wasserstoffantrieben moderner machen können. Schwerpunkt der Planung ist, den nördlichen Teil der Stadt mit einer besseren Taktung anzubinden. Die Gespräche haben wir angeschoben. Das habe ich in den ersten 100 Tagen gemacht – anschieben. Es wäre unseriös, nach so kurzer Zeit, Lösungen anzubieten. Das hieße, nicht richtig hingeschaut zu haben.

Wurden Sie schon mal in Norderstedt geblitzt?

Ich nicht, aber zwei meiner Familienmitglieder!

Was ist mit den Blitzern? Sie wollten sich alle Standorte anschauen. Und? Ausbauen oder abbauen?

Es gibt zwei Blitzer, die ich persönlich kritisch sehe und die man mir bislang noch nicht schlüssig erklären konnte.

Welche Blitzer sind das?

Nein, das sage ich Ihnen nicht! Ich will den Bürgern keine Hoffnung machen. Grundsätzlich sehe ich es kritisch, dass wir auf den Straßen immer nur kurze Tempo-30-Abschnitte für die Lärmminderung einrichten. Die Autofahrer bremsen kurz ab und geben wieder mächtig Gas. Diese Bereiche müssen größer werden, damit Lärm sinnhaft reduziert wird und Autofahrer besser reagieren können. Aber es gibt auch andere Wege, Lärm zu bekämpfen. In Berlin wird Verkehrslärm in einem Projekt mit positivem Lärm bekämpft, also mit Vogelgezwitscher und Naturgeräuschen aus Lautsprechern. Dadurch sollen Anwohner den Straßenlärm dann als wesentlich leiser empfinden. Das werden wir uns anschauen, ergebnisoffen.

Stichwort Lärmaktionsplan: Der Halbjahresbericht des Amtes Nachhaltiges Norderstedt (NaNo) liest sich wie ein Alarmruf. Aufgrund unbesetzter Stellen kann dort zum Beispiel der neue Lärmminderungsplan nicht fristgerecht erstellt werden. Die Ozon-Messung wurde eingestellt, weil Fachpersonal fehlt. Sorgt der Personalmangel dafür, dass das Aushängeschild der Stadt, die fortschrittliche Nachhaltigkeitsagenda des Rathauses, schief hängt?

Da hängt nichts schief! Es wurden ja viele Aufgaben in andere Fachbereiche verlagert – davon stand nichts in dem Bericht. Die Personalproblematik gibt es seit zwei Jahren, das ist nichts Neues. Die Projekte laufen sehr gut. Wir müssen daran arbeiten, dass die Ergebnisse aus dem Amt NaNo mit den anderen Fachbereichen im Haus besser verknüpft werden. Da muss eine bessere Kommunikation her. Amtsleiter Herbert Brüning stellt seine Projekte jetzt in den Dezernentenrunden vor.

Aber warum sind die Stellen im Amt nach so langer Zeit noch unbesetzt?

Sie werden besetzt, wenn Herr Brüning uns die inhaltliche Stellenbeschreibung gibt. Dann können wir ausschreiben. Die liegt aber nicht vor.

Glauben Sie denn, dass Sie schnell Fachkräfte finden. Bundesweit gibt es da ja große Probleme?

Die Stadtverwaltung Norderstedt ist ein sehr attraktiver Arbeitgeber. Es gibt kein Arbeitszeitmodell, das wir nicht haben im Haus. Als öffentlicher Arbeitgeber können wir eine gute Work-Life-Ballance gewähren. Arbeitszeiten, die je nach dem in das Leben der Mitarbeiter passt. Da können wir flexibel sein, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Beruf und Pflege angeht.

Also kein Fachkräftemangel im Rathaus?

Wir müssen sicherlich ein, zwei Bewerbungsrunden mehr drehen als früher. Bisher haben wir immer Personal gefunden. Das wird in Zukunft bestimmt schwieriger.

Ihr Vorgänger Grote hat die Verwaltung gestrafft und leistungsoptimiert. Brauchen Sie mehr Personal oder weniger als er?

In einigen Bereichen laufen die Mitarbeiter am Limit. Die Politik muss entscheiden, welche Bereiche sie in welcher Qualität abgearbeitet haben möchte. Je höher die Qualität, desto mehr Personal. Das ist die Kernfrage bei Umstrukturierungen. Nur – das in den ersten 100 Tagen festzulegen, halte ich für falsch. Ich will erst die Abläufe im Rathaus kennenlernen und sehen, wo es rund läuft und wo nicht. Dann schaue ich, welche Struktur sein muss, um Bereiche effektiver zu machen. In manchen Abteilungen brauchen wir mehr Leute, in anderen könnten wir auf Leute verzichten. Insgesamt ist mein Team gut aufgestellt und hoch motiviert.

Überschattet wurde Ihr Auftakt von der Strafanzeige durch den CDU-nahen Verleger Sven Boysen. Er warf Ihnen vor, ihn als Auftragnehmer der Stadt ausgebootet zu haben, widerrechtlich per Anweisung an alle Abteilungen des Rathauses und dass Sie ihn aus dem Presseverteiler geworfen haben. Auch wenn die Anzeige ins Leere lief und die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen einleiten wird: Machen Sie sich in der Affäre selbst irgendeinen Vorwurf?

Für mich ist das zum jetzigen Zeitpunkt so, dass ich einen Schlussstrich gezogen habe. Ich möchte das Thema nicht mehr aufwärmen. Es bringt nichts.

Die Affäre geht leider trotzdem weiter. Gegenüber der Politik haben Sie unseren Informationen nach angegeben, dass nicht Sie, sondern Mitarbeiter des Rathauses verantwortlich waren für einen Protokollvermerk, der sich wie eine Dienstanweisung gegen Boysen las. Und der Rauswurf seines Verlages aus dem Presseverteiler soll nicht während ihrer Amtszeit erfolgt sein, sondern im Dezember 2017, als Stadtrat Thomas Bosse das Sagen hatte.

Der Presseverteiler wurde immer wieder verändert und wird weiter verändert werden. Im Übrigen sind all das Informationen aus nicht öffentlichen Sitzungen. Dazu werde ich Ihnen nichts sagen.

Die Kommunalpolitik kritisiert, es mangelt an Transparenz in der Sache.

Was ist denn passiert? Nichts – nichts! Alle unsere Pressemitteilungen stehen auf unserer Homepage, jede Presseanfrage wird beantwortet. Zu sagen, meine Mitarbeiter haben Fehler gemacht, ist der falsche Ansatz. Ja: Ich trage die Verantwortung für das Handeln meiner Mitarbeiter, und ja, das tue ich auch in diesem Fall. Verantwortlich bin ich, Punkt. Ich bin die Chefin des Ladens. Ich werde aber meine Mitarbeiter nicht an den Pranger stellen! Das habe ich im Wahlkampf gesagt, dazu stehe ich. Mich darf man angreifen, aber meine Mitarbeiter nicht! Wenn Sie einen Verantwortlichen haben wollen: Die sitzt vor Ihnen. Aber noch mal: Es ist nichts Schlimmes passiert.

Themenwechsel: Diese Stadt ist es gewöhnt, Leuchtturmprojekte zu haben. Sehen Sie einen neuen Leuchtturm am Horizont oder wollen Sie einen neuen bauen?

Die Elektromobilität und autonome Minibusse – das wird ein Leuchtturmprojekt. Zu sagen: Alle Stadtteile werden mit autonomen Bussen an den ÖPNV und an die Einkaufsmöglichkeiten angebunden und gleichzeitig bei der neuen Mobilität weiter nach vorne zu gehen. Das mit den autonomen Bussen machen wir ja bewusst auch als Pilotmodell, wir wollen Ängste und Vorbehalte der Bürger gegenüber dieser Mobilität abbauen. Ich habe das eine oder andere weitere Projekt im Kopf, das werde ich aber noch nicht verraten. Schöne Ideen sind das eine, aber ich rede da erst drüber, wenn ich zu 60 bis 70 Prozent sicher bin, dass sie umsetzbar sind.

Beim Thema Fluglärm hatten Sie im Wahlkampf versprochen, strikt auf die Einhaltung bestehender Verträge und Flugzeiten pochen zu wollen.

Das ist ein intensives Thema, da werde ich nicht locker lassen. Ich bin in intensiven Gesprächen mit Flughafenchef Michael Eggenschwiler und bin jetzt persönlich Mitglied der Fluglärmkommission. Es hat ja schon Änderungen in den neuen Flugplänen gegeben. Da gibt es die Maschinen, die laut Plan bis 22.30 Uhr und nicht später starten, ein Schritt in die richtige Richtung. Zehn medizinische Flüge pro Jahr nach 23 Uhr werden wir auch haben. Wenn man die letzten Zahlen anschaut, dann haben sich die Lärmereignisse nach 23 Uhr verschlimmert. Aber wenn man genau hinschaut, sieht man, dass es bei vielen Starts nur ganz kurz nach 23 Uhr war – aber auch das gilt es abzustellen. Würde 23 Uhr eingehalten, dann wäre ich froh. Utopisch finde ich 22 Uhr als Grenze. Das wäre eine zu harte Entscheidung für den Flughafen. Er ist für uns auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.