Norderstedt. Politik in Land und Kommune verspricht Abschaffung der Straßenausbaubeiträge. Dabei fehlt ihr dafür oft die rechtliche Befugnis.
„Die Straßenausbaubeiträge werden abgeschafft!“ Das war die Botschaft – zumindest wie sie beim Bürger ankam.
Als Norderstedts Ex-Stadtvater Hans-Joachim Grote als Innenminister im Dezember 2017 in Kiel verkündete, dass es Städten und Kommunen nun freigestellt sei, sich beim Ausbau von Straßen die Kosten vom Anlieger erstatten zu lassen, da freute sich der eine oder andere Norderstedter vielleicht schon, dass die 5000 Euro auf der hohen Kante, die er für den möglichen Ausbau oder die drohende Sanierung vor der Haustür schlauerweise zurückgelegt hatte, demnächst für eine schicke Reise verwendet werden können. Denn Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder hatte postwendend angekündigt, die Ausbaubeiträge in Norderstedt abschaffen zu wollen. Und auch die Kommunalpolitik hat dagegen bislang nichts einzuwenden
Doch wie bei jedem Sonderangebot ist die Realität komplizierter: Ausbaubeiträge wird es in Norderstedt weiterhin geben. Denn: Es gibt Beiträge, die Land und Stadt abschaffen können – und welche, bei denen das gar nicht möglich ist. „Im Prinzip hat sich das Land einen schlanken Fuß gemacht bei der Entscheidung“, sagt Norderstedts Baudezernent Thomas Bosse. „Da wurde nicht ausreichend differenziert in der Diskussion. Das müssen wir Städte und Kommunen nun in der Auseinandersetzung mit dem Bürger machen. Und das beschert uns landauf, landab riesige Diskussionen – und die wird es auch in Norderstedt geben.“
An nicht ausgebauten Pisten müssen Bürger weiter zahlen
Darüber nämlich, dass es zwei wesentliche Arten von Ausbaubeiträgen gibt. Zum sind dies Verbesserungsmaßnahmen an bestehenden Straßen, die über das Flicken des Asphalts hinaus gehen. Nach dem Kommunalen Abgabengesetz (KAG) muss die Stadt 85 Prozent der Kosten für den Ausbau und die Aufwertung einer bestehenden Straße auf die Bürger umlegen, die an dieser Straße ihre Grundstücke haben.
Daneben gibt es aber Straßen – eher Pisten – die erstmalig ausgebaut werden und so erst zu einer Straße im Sinne der behördlichen Definition werden. 90 Prozent der Kosten müssen dabei auf den Bürger umgelegt werden, auf Grundlage des bundesweit geltenden Baugesetzbuches. Klar, dass Länder und Kommunen Bundesrecht nicht abschaffen können. Entsprechend geht es bei der jetzt diskutierten Abschaffung der Straßenausbaubeiträge in Schleswig-Holstein also nur um jene, die nach dem KAG erhoben werden – so wie es die Oberbürgermeisterin pflichtschuldig in einer Mitteilung an die Politik auch differenziert hat.
Es gibt 477 Straßen in Norderstedt, sie erstrecken sich über 345 Kilometer und decken eine Fläche von 1,7 Millionen Quadratmetern ab. 60 bis 70 darunter sind noch nicht erstmalig ausgebaut. Und eine davon ist das Scharpenmoor in Garstedt. Exemplarisch zeigt sich hier aktuell das Ausmaß des Kuddelmuddels bei den Ausbaubeiträgen. Auf 270 Metern, zwischen der Straße Sood und der Gottfried-Keller-Straße, ist das Scharpenmoor eine Schlaglochpiste ohne befestigte Gehwege. Vor Jahrzehnten wurde hier ein Siel in den Boden gelegt und eine Asphaltdecke drübergezogen – fertig. Nun soll daraus eine hübsche Shared-Space- oder eine verkehrsberuhigte Mischverkehrsfläche werden, wie es die Straßenplaner ausdrücken. Also: Ein erstmaliger Ausbau nach dem Baugesetzbuch. Und damit haben 90 Prozent der veranschlagten 457.000 Euro an Baukosten die Anlieger zu tragen – selbst wenn die Stadt Norderstedt, wie es erwartet wird, im Herbst die Straßenausbaubeiträge nach dem KAG abschaffen wird.
Davon werden nur die Nachbarn des Scharpenmoors profitieren, die in dem kleinen Abschnitt der Straße zwischen Sood und Tannenhofstraße leben. Auf jedem der 65 Meter hat die Stadt schon vor Jahren eine richtige Straße mit allem Drum und Dran gebaut. Die hat jetzt Spurrillen und keine ausreichende Entwässerung. Auch sie soll jetzt saniert werden. 85 Prozent der Kosten könnte die Stadt über das KAG auf die Bürger abwälzen – oder eben nicht, falls das KAG im Herbst für Norderstedt abgeschafft würde.
Zeit ist für die Anwohner hier der entscheidende finanzielle Faktor: „Wohlgemerkt: Beitragspflicht entsteht immer erst, wenn die Baustelle fertig ist“, sagt Baudezernent Bosse. Heißt hypothetisch: Ist die Baustelle in dem 65-Meter-Teilstück des Scharpenmoors schneller fertig, als die Kommunalpolitik das KAG für Norderstedt abschaffen kann, dann haben die Bürger Pech gehabt und die Rechnungen kommen ins Haus. Betroffene Scharpenmoor-Anwohner werden also künftig beten, dass die Baustelle möglichst durch unvorhergesehene Witterungsbedingungen oder ähnliche Umstände möglichst lange aufgehalten wird.
Ohne Ausbaubeiträge klafft ein Loch im Stadthaushalt
Das politische Verfahren zur Abschaffung der Beiträge läuft allerdings: Oberbürgermeisterin Roeder hat im Hauptausschuss angekündigt, demnächst nach rechtlicher Prüfung einen Beschlussvorschlag vorzulegen. Dann müssen sich die Fraktionen entscheiden, ob die Stadt auf die bisherigen Einnahmen aus dem Straßenausbau verzichten kann. 2017 waren das 1,4 Millionen Euro, dieses Jahr eingeplante 412.000 Euro und 2021 prognostizierte 1,8 Millionen Euro. Gestopft werden könnten die Haushaltslöcher mit den 1,2 Millionen Euro, die Norderstedt jetzt jährlich aus dem Infrastrukturpaket der Landesregierung bekommt. „Doch das Geld packen wir jetzt lieber auf das Budget im jährlichen Straßenunterhalt drauf“, sagt Bosse. 2,6 Millionen Euro will Norderstedt von sofort an jährlich also für das Sanieren von Fahrbahnoberflächen ausgeben – die beste Strategie, um Ausbaubeiträge von Bürgern generell zu verhindern.