Henstedt-Ulzburg. Themenabend: Auf Arte erzählt die Henstedt-Ulzburgerin Waltraud Schmidt am Sonnabend, 21. April, von ihrer Flucht aus Ostpreußen.

Waltraud Schmidts Leben fing gut an. Damals, am 2. Oktober 1938, als sie als Waltraud Heisel in Dubeningen im Kreis Goldap in Ostpreußen geboren wurde. In ihren ersten Lebensjahren wuchs sie sehr behütet auf. Heute, 80 Jahre später, lebt sie in Henstedt-Ulzburg. Am Sonnabend erzählt Waltraud Schmidt in der Arte-Sendung „Die Reise der Menschheit“ von 22 Uhr an von ihrer Flucht nach Schleswig-Holstein.

1944 setzte das große Grollen ein. Kam immer näher. Die Panzer rollten. Mal deutsche, mal sowjetische Panzer. Im Oktober 1944 hieß es dann „Wir ziehen!“, und die Familie Heisel schloss sich dem langen Treck der Ostpreußen gen Westen an. Mit dabei waren der 90 Jahre alte Urgroßvater, die 68 Jahre alte Großmutter, zwei Tanten mit ihren Söhnen und viele andere aus dem Dorf. Ihr Vater war an der Front gefallen. Ihre Mutter verschwand plötzlich auf dem Treck. Sie war das einzige Mädchen und gerade mal sechs Jahre alt. „Das tat im Bauch so weh, dass die Eltern nicht mehr da waren“, sagt sie. Plötzlich waren sie da, die Russen. Ein Mongole schenkte ihr ein Taschenmesser mit Perlmuttgriff. Dann wurde die Sowjetarmee wieder von der Wehrmacht überrollt. Bei einem deutschen Soldaten setzte sie sich auf den Schoß: „Du siehst aus wie mein Papa.“

Die Familie wollte eigentlich auf die „Wilhelm Gustloff“

Ende Dezember 1944 zog der Treck nach Mehlsack, heute Pieniezno. Sie mussten übers Frische Haff fliehen, über die zugefrorene Ostsee. Links und rechts lagen Tote. „Der Schnee deckte sie gnädig zu“, erinnert sich Waltraud Schmidt. Das Eis war brüchig. Sie sah, wie Menschen, Pferde und Wagen versanken. Auch die oberen Enden von Schiffsschornsteinen ragten aus dem schwarzen Wasser. Dann kamen die Tiefflieger.

Im Hafen von Pillau vor Königsberg, heute Baltijsk und Kaliningrad, lief gerade die ,Wilhelm Gustloff’ aus. „Unser Schiff, wir verpassten es. Doch was wie ein Unglück aussah, war unser Glück“, sagt Waltraud Schmidt. Sie kamen auf die „Deutschland“ und gingen in Sassnitz auf Rügen an Land. Bad Doberan, Vorder-Bollhagen. Und plötzlich waren wieder sowjetische Soldaten da. „Sie bemächtigten sich meiner Tanten, und eine von ihnen brachte ihre Tochter anschließend tot zur Welt“, sagt Waltraut Schmidt. Ein Russe hob mit seinem Dolch ihre Bettdecke hoch, die Großmutter warf sich dazwischen: „Das war eine schlimme Begegnung.“ Ihr Bauch war vor Hunger aufgebläht, die Arme waren dünn, sie hatte Läuse.

Dann die Freude: Ihre Mutter lebte und holte sie nach Hamburg. Im Oktober 1945, ein Jahr, nachdem ihr Treck von Dubeningen aufgebrochen war, konnten sie ein Zimmer bei einer Familie Wagner in Garstedt beziehen, dann das Reetdachhaus an der Schulstraße vor der Schule Niendorfer Straße. Sie lernte Verlagskauffrau, ging mit Hans Scheibner zur Berufsschule, heiratete, baute ein Haus in Henstedt-Ulzburg und reiste. Immer aber schrieb sie ihr Leben auf. Auch die Zeit der Flucht. 1980 brachte sie eine Tochter zur Welt. 1988 fuhr sie zum ersten Mal wieder nach Dubeningen. Sie trat in die Landsmannschaft Kreis Goldap ein, baute ein Heimatmuseum auf und gab die Zeitung „Die Heimatbrücke“ und mehrere Bücher über den Kreis heraus. „Zurück? Nein, aber es ist immer noch meine alte Heimat“, sagt Waltraud Schmidt.

Arte, Sonnabend, 21. April, 20.15 Uhr, Themenabend „Die Reise der Menschheit“. Waltraud Schmidt erzählt von 22 Uhr an von ihrer Flucht.