Norderstedt. Die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst des Kreises Segeberg traten am Donnerstag in den Warnstreik und demonstrierten in Kiel.

„Wie – Streik?“ Der junge Mann steht irritiert vor dem Aufsteller vor der Tür des Norderstedter Einwohnermeldeamtes, in der Hand ein ausgefülltes Formular. Er geht und grummelt: „Da habe ich kein Verständnis für. Ich kann auch nicht streiken! Schöne Überraschung!“

In den Dienstzimmern des Rathauses in Norderstedt hingegen wird am Donnerstag niemand vom Ver.di-Warnstreik überrascht. „Das ist ja alle zwei Jahre der Fall“, sagt Hauke Borchardt, Sprecher der Stadt. Und obwohl es keine offiziellen Aussagen der Verwaltungsspitze als Arbeitgeber im öffentlichen Dienst und zu den Forderungen der Beschäftigten nach sechs Prozent mehr Gehalt und mindestens 200 Euro mehr im Monat gibt – im Haushalt sind die möglichen „moderaten Erhöhungen der Bezüge“ schon im Personaletat einkalkuliert. Dazu verpflichtet die Stadt ein Haushaltserlass des Landes. Zwar reichen die Mittel nicht für die nun geforderten sechs Prozent, sagt Borchardt. „Doch sollte das Budget nicht ausreichen, dann muss es mit einem Nachtrag erhöht werden.“ Eine vorauseilende Zahlungsbereitschaft, von der Mitarbeiter in den Unternehmen der freien Wirtschaft träumen dürften.

Die Bürger standen im Einwohnermeldeamt vor verschlossenen Türen
Die Bürger standen im Einwohnermeldeamt vor verschlossenen Türen © HA | Andreas Burgmayer

Dicht ist an diesem Tag in Norderstedt nicht nur das Einwohnermeldeamt. Auch in den städtischen Kindertagesstätten hatte sich das gewerkschaftlich organisierte Personal verab-schiedet und fuhr mit den von der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di um kurz vor 8 Uhr bereitgestellten Bussen zum Protestmarsch in die Landeshauptstadt Kiel. „Wir hatten acht Busse mit 500 Leuten aus dem Ver.di-Bezirk Südholstein auf der Straße“, sagt Almut Auerbach, die Ver.di-Bezirksgeschäftsführerin. „Es war eine tolle Veranstaltung mit 4000 Teilnehmern.“

Hohe Erwartungen bei den Beschäftigten

Umso enttäuschter ist Almut Auerbach, dass die Gegenseite offenbar unbeeindruckt blieb. „Die Arbeitgeber im öffentlichen Dienst halten den Warnstreik ja offenbar für ungerechtfertigt und überflüssig. Noch nicht mal ein Angebot liegt vor.“ Die Forderung nach sechs Prozent mehr Gehalt, mindestens 200 Euro mehr im Monat, wecke bei den Beschäftigten hohe Erwartungen. Auerbach: „Aber wir wissen ja, das am Ende nicht unbedingt sechs, sondern vielleicht nur drei oder vier Prozent herauskommen. Auf jeden Fall werden wir für sechs Prozent kämpfen. Die Streik-Kasse ist voll; wenn keine Angebote kommen, werden wir den Streik ausweiten – unsere Leute sind streikwillig!“

 Auch zahlreiche Kindertagesstätten waren betroffen - hier die Kita Storchengang
Auch zahlreiche Kindertagesstätten waren betroffen - hier die Kita Storchengang © HA | Christopher Herbst

Wer mit Beschäftigten aus den 13 städtischen Kitas spricht, wundert sich nicht über deren Streikbereitschaft. Offen reden möchte keiner der städtischen Angestellten – aus Angst vor den arbeitsrechtlichen Folgen. Doch wer nachhakt, erfährt hinter vorgehaltener Hand von den prekären Zuständen in den städtischen Kitas. Von Mitarbeitern, die am Limit arbeiten und sich schon lange nicht mehr um Inhalte oder Qualitätssicherung in der Betreuung kümmern können. „Wenn manche hier nicht voller Enthusiasmus reinhauen und aus Liebe zu den Kindern für zwei arbeiten würden, dann müssten längst Einrichtungen schließen.“ Der von der Stadtverwaltung angegebene Stellenschlüssel von 2,1 Mitarbeitern pro Gruppe sei unhaltbar, und de facto könne derzeit seriös eine Betreuung von elf Stunden täglich eigentlich nicht angeboten werden. Personal fehle an allen Ecken und Enden. Frühdienste, Exkursionen und andere Angebote fielen reihenweise aus.

Hohe Fluktuation in Kinderkrippen

Gerade im Krippenbereich sorge das Personalproblem für hohe Fluktuation. Aus pädagogischer Sicht eine ganz schlechte Situation für die Kleinsten in der Kita, die gerade am Anfang viel Zuwendung und eine feste Bezugsperson brauchen. So lange die Mitarbeiter in den Kitas nicht besser bezahlt würden, so lange würde sich die Misere fortsetzen, heißt es in den Kitas.

Auch in Henstedt-Ulzburg blieben Kitas geschlossen. Bürgermeister Stefan Bauer ist Dienstherr von mehr als 200 Mitarbeitern in den zehn kommunalen Kindertagesstätten. Die Hälfte der Einrichtungen wurde komplett bestreikt, zwei weitere hatten nur einen Notdienst. Auf die Frage, ob die Fachkräfte denn genug verdienen würden, antwortete er zurückhaltend. Jeder habe einen Arbeitsvertrag mit der Gemeinde – und wisse vor der Unterschrift, was gezahlt werde. „Die Frage ist doch: Was hat welchen Stellenwert in unserer Gesellschaft? Man muss sich die ernsthafte Frage stellen über die Verteilung. Ein kleiner Teil der Bevölkerung verdient über Verhältnis. Es braucht keine Millionengehälter.“

In Tangstedt sorgt der Warnstreik für Haushalts-Sorgen. Drei Kindertagesstätten gibt es in der Gemeinde, sie boten am Donnerstag nur einen Notdienst an. Für die Gemeinde ist der Tarifstreit in doppelter Hinsicht problematisch. Die hohen Betriebskosten der Kitas, also inklusive der Gehälter, gelten als Hauptgrund für die desolate Haushaltssituation mit einem Minus von fast 1 Million Euro. Anders als beispielsweise Norderstedt und Henstedt-Ulzburg wäre es für Tangstedt also vergleichsweise eine größere Belastung, höhere Löhne zu zahlen. Das Dilemma: Zwangsläufig würde sich die Frage stellen, ob im Gegenzug höhere Elternbeiträge erhoben werden müssten – dabei wollen die Politiker das vermeiden.