Norderstedt. Das Coppernicus-Gymnasium hält am Turbo-Abi fest. Die anderen Gymnasien in Schleswig-Holstein kehren zu G9 zurück.
Wie eine Trutzburg steht das Coppernicus-Gymnasium in der Schullandschaft Schleswig-Holsteins. Die Norderstedter Schule ist von den 99 Gymnasien im Norden die einzige, die nach jetzigem Stand weiterhin ausschließlich den achtjährigen Weg bis zum Abitur anbietet – und damit den Wunsch der Jamaika-Koalition unerfüllt lässt. Bildungsministerin Karin Prien (CDU) hatte verfügt, dass die Gymnasien zum Abitur nach neun Jahren zurückkehren sollen, dabei allerdings eine Hintertür offen gelassen: Die Schulkonferenz, die zu gleichen Teilen aus Schülern, Lehrern und Eltern besteht, muss mit einer Mehrheit von mindestens 75 Prozent für G8 votieren.
Dieses Schlupfloch haben die Befürworter des Turbo-Abis am Coppernicus-Gymnasium genutzt, sie schafften sogar eine Mehrheit von 80 Prozent. „Bei uns hat sich der kürzere Weg zum Abitur bewährt, und die Schulgemeinschaft will an die guten Erfahrungen anknüpfen“, sagt Schulleiterin Heike Schlesselmann. Viele Eltern seien durch die erneute Reform beunruhigt und verunsichert gewesen. Nachdem die Pädagogen vor zehn Jahren Stoff- und Stundenpläne für den Wechsel von G9 zu G8 umgearbeitet hatten, sollen sie nun nicht schon wieder Kraft und Zeit in die Organisation investieren, sondern sich auf den Unterricht konzentrieren. Zudem garantiere das Copp mit dem schnelleren Weg Vielfalt. Die Eltern in Norderstedt könnten wählen, ob ihre Kinder nach acht oder neun Jahren ihr Abschlusszeugnis bekommen
Mit G9 haben die Schüler mehr Zeit zum Lernen
Bisher hatte das Lise-Meitner-Gymnasium das Alleinstellungsmerkmal, war in Norderstedt das einzige G9-Gymnasium. Jetzt kommen das Lessing- und das Gymnasium Harksheide dazu, beide Schulen kehren zum alten Modell zurück. Alternativ bietet die Willy-Brandt-Gemeinschaftsschule den neunjährigen Weg bis zur Studienreife.
„Bei uns gab es eine deutliche Mehrheit für G9“, sagt Carsten Apsel, Leiter des Lessing-Gymnasiums. Schüler und Lehrer hätten ein Jahr mehr Zeit, um beispielsweise das digitale Lernen einzuführen und zu verankern. Mit G9 werde es für Schüler der Gemeinschaftsschule Friedrichsgabe, die im selben Gebäude beheimatet ist, einfacher, auf das Gymnasium zu wechseln.
„Auch bei uns war ein wesentliches Argument, dass der Lernstoff in der Orientierungs- und in der Sekundarstufe I nun auf sechs statt wie bisher auf fünf Jahre verteilt wird“, sagt Kristin Vorwerck, die das Gymnasium Harksheide leitet. Positiv sei auch, dass die Schüler die zweite Fremdsprache wieder in Klasse sieben lernen und nicht mehr schon in der sechsten. „Da war das Fundament noch nicht trocken, und auf einem feuchten Fundament lässt sich nichts Solides aufbauen“, sagt Reinhard Redemund, Leiter des Gymnasiums Kaltenkirchen, das wie die Gymnasien in Bad Segeberg, Bad Bramstedt und Henstedt-Ulzburg den Schülern künftig ein Jahr mehr Zeit bis zum Abitur gewährt.
Bei der Entscheidung für G8 hatte die Schulkonferenz des Copp auch die Nähe zu Hamburg im Blick. Dort schließen die Gymnasiasten ihre Schullaufbahn nach acht Jahren ab, und dort dauert die Oberstufe nur zwei Jahre, dafür die Mittelstufe drei Jahre. In Schleswig-Holstein ist es umgekehrt. Das wecke schon jetzt, so hieß es während der Diskussion im Copp, Begehrlichkeiten mancher Norderstedter Schüler. Wird die Schulzeit auf neun Jahre verlängert, könne sich der Trend, die Schulzeit in der Metropole schneller zu beenden, noch verstärken.
Drei Y-Gymnasien
Mit dem Turbo-Abi zieht das Coppernicus-Gymnasium leistungsstarke und leistungswillige Schüler an, zumal die Schule eins von elf Kompetenzzentren für Begabtenförderung im Norden ist. Wird das Gymnasium zur Elite-Schule? „Auf keinen Fall. Wir sind und werden keine Drill-Anstalt nur für die Besten“, sagt Heike Schlesselmann. Die Schulleiterin weist auf das ausgewogene System von Fordern und Fördern hin. Die Schüler bekämen Hilfe, um Lücken zu schließen, andere mit besonderen Talenten zusätzliches Futter.
Speziell begabte Schüler werden auch an den G9-Gymnasien gefördert. Zwei Fremdsprachen gleichzeitig lernen, in bestimmten Fächern in einer Klasse höher mitmachen oder Klassenstufen komplett überspringen – das gehört zum schulischen Alltag. „Viele Eltern leistungsstarker Schüler begrüßen es, wenn ihre Kinder mehr Zeit bis zum Abitur haben, damit sie sich auch in ihrer Persönlichkeit weiterentwickeln können“, sagt die Leiterin des Gymnasiums Harksheide.
Die anderen Gymnasien im Kreis Segeberg kehren zum Abitur nach neun Jahren zurück. Unisono sprechen die Schulleiter von einem „neuen G9“, verquickt mit den Erfolgen von G8 wie Mensa, Hausaufgabenbetreuung und den Angeboten am Nachmittag. „Außerdem können die Schüler nach Klasse zehn nun wieder ein Jahr ins Ausland gehen und anschließend ohne Zeitverlust in die Oberstufe wechseln“, sagt Michael Höpner, Leiter des Alstergymnasiums in Henstedt-Ulzburg. Die Kollegen Nele Degenhardt von der Segeberger Dahlmannschule und Holger Oertel von der Jürgen-Fuhlendorf-Schule in Bad Bramstedt nennen einen weiteren Vorteil: „Da am Nachmittag weniger Unterricht stattfinden wird, haben die Schüler mehr Zeit für ihre Hobbys, im Verein Sport zu treiben oder ein Instrument zu lernen.“ Das sei gerade im ländlichen Bereich wichtig.