Kiel. Abendblatt-Redakteur hat Norderstedts Ex-OB und jetzigen Innenminister Hans-Joachim Grote einen Tag lang im neuen Amt begleitet.
Mantel und Jacke verschwinden im Kofferraum, die Tasche mit Papieren und Laptop auch. Nur das Handy muss mit, als Hans-Joachim Grote Platz in der Limousine nimmt. Der Arbeitstag des schleswig-holsteinischen Innenministers beginnt. Seine Fahrerin steuert den Mercedes vom Typ S 350 BlueTEC 4matic an diesem Freitag vom Wohnhaus des Ministers an einer kleinen Straße in Norderstedt über die Ulzburger Straße zur Autobahn 7 nach Kiel.
Das Handy klingelt, Presserunde mit ungestörtem Dauerempfang. Der Wagen hat WLAN, einen Tisch zum Ausklappen in der Mittelkonsole, zwei TV-Monitore an den Rückenlehnen der Vordersitze. „70.000 bis 80.000 Kilometer verbringe ich pro Jahr in meinem rollenden Büro“, sagt der langjährige Oberbürgermeister von Norderstedt, die Fahrten zwischen seiner Heimat- und der Landeshauptstadt eingeschlossen. Umziehen will er nicht, nimmt jeden Tag zweieinhalb Stunden Fahrt in Kauf. Teil der neuen Herausforderung, die der 62-Jährige für seine letzten Arbeitsjahre gern annahm, als ihn Ministerpräsident Daniel Günther zum Innenminister ernannte. Kommunal kompetent, digital orientiert und gut vernetzt – Argumente, die für den gebürtigen Paderborner sprachen.
„Nichts besonders“, heißt es aus Kiel zur Presselage. Der „Holsteinische Courier“ berichtet über einen Brief mit rechtsextremem Inhalt, der unter dem Absender „Bund wehrhafter Neumünsteraner“ an mehrere Politiker geschickt wurde. In dem Schreiben behauptet ein Unbekannter, zu der Gruppierung würden über 50 Neumünsteraner gehören.
„Ist da was dran?“, will Grote wissen. Die Mitarbeiter beruhigen und halten nach Rücksprache mit der Polizei, der Stadtverwaltung und dem Verfassungsschutz einen Einzeltäter für wahrscheinlicher. Termine? Der Ball der Pferdefreunde am nächsten Abend, der größte Ball Deutschlands, bei dem 5500 Gäste die offizielle, gesellschaftliche Eröffnung der neuen Reitsaison feiern. „Macht Kristina“, tönt es aus dem Handy, die heißt vollständig Kristina Herbst und ist Staatssekretärin – verantwortlich für Kommunales, Landesplanung, Bauen und Wohnen, Bundesratsangelegenheiten und Sport. Der andere heißt Torsten Geerdts, CDU-Mann wie Grote und zuständig für Polizei, Verfassungsschutz und Integration. Der Ton im Team ist locker, immer wieder wird gelacht.
„Die Grüne Woche in Berlin ist gebucht“, teilt Jana Behrens (32) mit. Sie teilt sich mit Jürgen Herdes den Job der persönlichen Referenten, koordiniert Grotes Termine. „In Norderstedt habe ich meinen Kalender noch selbst geführt, aber jetzt: keine Chance“, sagt der Minister. Bei 50 Terminanfragen im Monat lässt Grote das gern durch seine Mitarbeiter erledigen, behält sich das letzte Wort aber vor. Vor der Reise nach Berlin will er zum Neujahrsempfang im Norderstedter Rathaus, das diesmal als Gast und Bürger.
„Fährt die Sicherheit mit?“ Die Personenschützer sind oft dabei, eine ungewohnte Begleitung. „Früher konnte ich einfach so durch das Herold-Center bummeln, das ist jetzt vorbei.“
Ein Blick aufs Handy, Landes- und Bundeslage ploppen auf, täglich um 8.30 Uhr erfährt der Minister, was in den letzten 24 Stunden los war, Wetterkatastrophen, ausgefallene Züge, Messerstechereien oder Einsätze von Spezialeinheiten. Keine besonderen Vorkommnisse, bestätigt der Leitende Polizeidirektor Joachim Gutt. Staatssekretär Geerdts ruft an, ein kurzes Gespräch, vertraulich.
Die Limousine stoppt vor dem Innenministerium, einer „ganz anderen Welt, viel abstrakter als die in Norderstedt. Da habe ich einen überquellenden Papierkorb oder eine defekte Straßenlaterne gesehen, bin zum zuständigen Mitarbeiter gegangen und habe ihn gebeten, das abzustellen“, sagt der Minister. Das gehe jetzt nicht mehr. Die neue Arbeitswelt ist viel größer geworden. Gut 1200 Mitarbeiter hatte Grote als Oberbürgermeister in Norderstedt, jetzt ist er zuständig für 1100 Städte und Gemeinden und 14.500 Beschäftigte, davon 8500 Polizisten. „Das Haus führt man übers Ministerbüro und die Fachabteilungen.“
Grote steigt die Stufen zu seinem Diensttrakt im zweiten Stock hoch, guckt in die Zimmer, grüßt, setzt sich an den Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer – ein Raum, der fast identisch ist mit seinem Norderstedter Büro. Auch hier hängen die selbst gemalten Bilder an den Wänden, abstrakt, blau und rot, Gelbtöne. Dazwischen ruht das Modell eines Segelbootes, Bausteine fürs Wohlfühlen. „Hier verbringe ich schließlich die meiste Zeit“, sagt der Behördenchef.
Der Blick fällt auf den Golfschläger, drei Bälle und das Indoor-Hole für das Einloch-Training – ein Stillleben in der hintersten Ecke. „Ich komme kaum noch zum Golfen.“ Radfahren mit seiner Frau, Spazierengehen im Norderstedter Stadtpark, so gut wie gestrichen. Arbeitstage von zwölf und mehr Stunden, Abend- und Wochenendtermine lassen keine Zeit für Bewegung. „Dabei bräuchte ich die bei meinem Übergewicht dringend“, sagt der Minister selbstkritisch.
Hinter dem Arbeitszimmer verstecken sich, abgetrennt durch eine Tür, ein Bett und Sanitärräume. Er sei auch zuständig für den Katastrophenschutz, und wenn es die Lage erfordert, könne er hier übernachten. Bisher hat Grote drauf verzichtet, sein Vorgänger Stefan Studt habe fünfmal während seiner Amtszeit die Nacht im Büro verbracht.
Liberal und offen
Der Minister arbeitet sich durch die Unterschriftenmappe. Rund 1000 Urkunden muss der Minister signieren, Auszeichnungen für die Feuerwehrleute im Land, die sich ehrenamtlich und freiwillig für die Sicherheit aller einsetzen. Zwei Mappen hat er geschafft, „die anderen gehe ich morgen an“, sagt er zu Leitungsassistentin Claudia Springer.
Sein Team setzt sich um den Arbeitstisch, die Reden müssen besprochen werden. Grote wird am Donnerstag im Landtag zu den Themen Wohnungsbau und Kirchenasyl sprechen. Der Minister bezieht Position zu Anträgen der Oppositionsparteien SPD und AfD. Magdalena Drywa (39) schreibt die Reden, die auf fünf Minuten ausgelegt sind, die im Ältestenrat vereinbarte Redezeit. „Der Minister spricht relativ schnell, 100 Worte pro Minute“, sagt die Redenschreiberin, die sich die Fakten aus den Fachabteilungen holt. Um der Opposition nicht das Feld zu überlassen, hat die Jamaika-Koalition einen Gegenantrag gestellt – eine in der Landespolitik übliches Strategie und Neuland für den Chef, unter Norderstedts Feierabendpolitikern gab es solche Rituale nicht.
Büroleiter Christoph Münch (37) hat Anmerkungen, Pressesprecher Dirk Hundertmark (46) auch. Magdalena Drywa wird die Korrekturen einarbeiten. Themenwechsel: die digitale Kommune. Wurstelt sich jede Stadt, jede Gemeinde, jeder Landkreis allein in die informationelle Zukunft oder bietet das Land einen Baukasten, aus dem sich jede Kommune bedienen kann? Das ist die Kernfrage im Gespräch mit externen Fachleuten, die intern lautet: Welches Ministerium wird initiativ? Wirtschaftsministerium, Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung und das Innenministerium sind mit dem Zukunftsthema befasst. Vorpreschen kann da kontraproduktiv werden, Abstimmung ist erforderlich. Grotes Kommunalabteilungsleiter Tilo von Riegen sagt zu, mit den Kollegen auch in den anderen Ministerien zu sprechen.
Grünkohl gab es bei den Empfängen schon genug
Ohnehin geht nichts ohne Absprache. „Geeint ist das entscheidende Wort, das ich hier als erstes gelernt habe“, sagt der Minister. Soll heißen: Alles, was beschlossen oder öffentlich verkündet wird, muss das Jawort der gesamten Jamaika-Koalition haben, was immer wieder zähes Ringen bedeutet. Büroleiter Münch kommt ins Zimmer, braucht Unterschriften auf Antwortschreiben.
Mittagspause, mit dem Stab geht Hans-Joachim Grote in die Kantine und wählt Germknödel, die anderen entscheiden sich für deftigen Grünkohl. Den hatte der Minister reichlich bei den Neujahresempfängen. Der nächste Termin fällt aus, der Fachmann, mit dem er über das autonome Fahren sprechen wollte, steckt in Süddeutschland fest. Ohnehin ist dieser Freitag ein ruhiger Arbeitstag im beruflichen Alltag, der durch feste Termine getaktet ist: Jeden Dienstag trifft sich das Kabinett um 10 Uhr, um 14 Uhr schließt sich die Fraktionsrunde der Jamaika-Parteien an. Mittwochs nimmt Grote, wenn möglich, am Fraktionsarbeitskreis Innen und Recht teil, einmal pro Woche tagt der Fachausschuss. Präsenzpflicht besteht für die dreitägigen Landtagssitzungen einmal im Monat.
Grote im Januar für zwei Jahre den Vorsitz der Bauministerkonferenz übernommenen und wird das Amt ab 2019 auch für die Konferenz der deutschen Innenminister übernehmen. „Der Austausch auf Bundesebene ist etwas Besonderes, vor allem die Kamingespräche mit Innenminister de Maizière ohne Block und Bleistift“, sagt Grote, der immer entspannt wirkt, nie getrieben.
Grotes persönliche Referentin Jana Behrens drängt zur Abfahrt nach Bad Segeberg. Dort trifft sich ihr Chef um 15 Uhr mit dem Leiter der Polizeidirektion, Andreas Görs, zum Austausch, ein vertrauliches Gespräch.
Wie schafft er es, von Thema zu Thema zu springen? Es brauche schon Kondition im Kopf, gute Fachleute und: „Wenn das Thema besprochen ist, ist es für mich abgehakt bis zur nächsten Besprechung.“ Ist er angekommen in seiner neuen Welt? Die Antwort ist ein klares Ja.