Norderstedt. Die Norderstedter SPD will tagsüber Tempo 50 auf der Poppenbütteler Straße. Und: Hat die Stadt rechtswidrig geblitzt?
Anwohner in Glashütte glauben zu wissen, dass diese Tempo-30-Zone mit Blitzanlage auf der Poppenbütteler Straße nicht deshalb existiert, damit es ruhiger wird im Viertel, Autoabgase minimiert werden oder Fußgänger sicherer leben. Nein. „Da wohnt einer von der Stadtverwaltung an der Straße, der hat das veranlasst im Rathaus.“
Ein Gerücht, das nicht auszurotten ist. Da können sich Vertreter der Stadt und der Kommunalpolitik den Mund fusselig reden von Lärmaktionsplan und der Senkung der dort gemessenen, krank machenden Lärmpegel von über 60 (nachts) und 70 (tagsüber) Dezibel. Die Mär von der Beamten-Willkür ist scheinbar charmanter. Und wer dieser Theorie nicht anhängig ist, der wittert schlicht Autofahrer-Abzocke. In jedem Fall: Keine Tempo-30-Zone in Norderstedt nervt die Bürger mehr als die an der Poppenbütteler Straße. Besonders seit Mai 2017, als die Stadt begann, dort nicht mehr nur zwischen 22 und 6 Uhr zu blitzen, sondern ganztags.
Umso erfreuter werden die Kritiker der Regelung über den Vorstoß der Norderstedter Sozialdemokraten sein. Die Genossen wollen ganz offensichtlich die Ganztags-Blitzerei lieber heute als morgen wieder abschaffen. In einem Prüfantrag an die Stadt fordern sie diese auf, doch mal die rechtlichen Grundlagen zu erläutern, auf Basis derer das ganztägige Blitzen ohne Rücksprache mit der Kommunalpolitik eingeführt worden sei. Und dann – falls es rechtens ist – soll ab dem nächstmöglichen Zeitpunkt wieder ausschließlich zwischen 22 und 6 Uhr geblitzt werden. Denn, Zitat: „Wir sind der Meinung, dass das Tempolimit in der Nachtzeit den Schutz der Anwohner vor gesundheitsgefährdendem Lärm ausreichend gewährleistet. Da nicht nachgewiesen ist, dass die meisten Bewohner dieser Bereiche auch tagsüber zu Hause sind, ist ein ganztägiges Tempolimit unverhältnismäßig.“ Noch dazu führe es zu überflüssigen Verkehrsstaus und einer damit verbundenen erhöhten Abgasbelastung der Anwohner.
„Vielleicht ist der Prüfantrag etwas scharf formuliert“, sagt SPD-Fraktionschef Nicolai Steinhau-Kühl, scheinbar selbst überrascht ob der Entschlossenheit der eigenen Fraktion, „denn wir sind ja gar nicht generell gegen die Tempo-30-Zonen und die Lärmminderungsplanung. Wir wollen nur eine Klärung der rechtlichen Grundlage.“ Rudert er also zurück, was das Abschaffen von Tempo 30 tagsüber angeht? „Nein, nein: Wir würden das an der Stelle schon befürworten.“ Was Steinhau-Kühl übrigens jetzt schon ausschließen kann ist, dass irgendein ominöser Rathausmitarbeiter unter den Anwohnern die Situation beeinflussen könnte. „Solche Gerüchte gibt es doch immer wieder. Ich weiß nicht, wer dort wohnt. Und selbst wenn: So weit ist es jetzt noch nicht, dass jemand so etwas einfach veranlassen könnte.“
Bis auf Ortsunkundige haben sich die meisten Autofahrer mittlerweile an den Tempo-30-Blitzbereich zwischen den Einmündungen von Glashütter Damm und Lindenweg gewöhnt. Doch besonders in der Übergangszeit vom Nacht- auf den Ganztagsbetrieb des Radargerätes rauschten viele Autofahrer in die Blitzfalle – und regten sich verständlicherweise auf über die Knöllchen. Zumal die Beschilderung der Zone aus Sicht vieler Autofahrer zu unvermittelt, zu klein und zu schlecht sichtbar sei. Auch die Polizei in Norderstedt kritisierte die Schilder als unzulänglich.
Wer sich Hoffnung gemacht hatte, ein Knöllchen erlassen zu bekommen, weil unter rechtswidrigen Umständen geblitzt wurde, dem macht die Auskunft des Landesbetriebes Verkehr (LBV-SH) und des Staatssekretärs im Kieler Verkehrsministerium, Thilo Rohlfs, Hoffnung. Die Schilder wurden geprüft, das Ergebnis liegt nun vor: „Während dabei zunächst keine Auffälligkeiten festgestellt worden waren, hat eine nähere Untersuchung im Nachgang ergeben, dass die Beschilderung tatsächlich zu klein und in einer zu niedrigen Reflexionsklasse ausgeführt wurde“, sagt Rohlfs. Die Stadt Norderstedt habe gegenüber dem LBV angekündigt, dass die Beschilderung zeitnah ausgetauscht wird. Danach will der LBV erneut prüfen. Das Ordnungsamt der Stadt müsse nun klären, ob bisher auf der Poppenbütteler Straße rechtswidrig geblitzt wurde. Es ist fraglich, ob allein die Größe der Schilder dafür entscheidend ist.
Gleichwohl: Die Tempo-30-Zonen der Stadt und ihre Gültigkeit werden für den Bürger immer mehr zum Verwirr-Spiel. Nicht nur an der Poppenbütteler Straße, sondern auch an der Niendorfer Straße. Dort wird derzeit nur zwischen 22 und 6 Uhr für den Lärmschutz geblitzt. Beschlossen ist nun aber auch, dass künftig vor der Grundschule Niendorfer Straße – also unmittelbar im Anschluss an die Lärmschutz-Blitzzone – generell ganztags Tempo 30 gilt. Durchaus sinnvoll zum Schutz der Schulkinder – aber vollends verwirrend für den Autofahrer. Hinzu kommt – und das macht die Regelung fast zum Schildbürgerstreich: Die Schilder vor der Schule haben außerhalb der Schulzeiten und auch in den Ferien keine Gültigkeit und müssen abgehängt werden.
Was all das für die Akzeptanz der Tempo-30-Zone bedeutet, illustrieren am besten die Geschichten von Anwohnern der Niendorfer Straße. Sie berichten von Protestmaßnahmen der Autofahrer. „Manche fahren hier morgens regelmäßig vorbei und hupen extra, um die Anwohner aus den Betten zu werfen“, sagt einer, der dort gerade einen Neubau bezogen hat.
Wünschenswert für alle Beteiligten wäre eine einheitliche Regelung für die ganze Stadt. Ohne zeitliche Begrenzungen und klar erkennbare und einheitlich gekennzeichnete Tempo-30-Zonen. Etwa nach dem Vorbild des Meilensteins an der Ulzburger Straße, wo Schilder und Fahrbahnmarkierungen allen klar machen, was Sache ist.