Henstedt-Ulzburg. In seinem Reihenhaus lebt der pensionierte Pfarrer Gerd Gerding mit zwei jungen Eritreern zusammen – das Abendblatt hat sie besucht

Für Gerd Gerding sind die beiden jungen Männer „ein Geschenk des Himmels“. Der pensionierte Pfarrer kommt immer wieder auf diesen Satz zurück, wenn er über Fikremariam Okbamichael und Yosief Hbtzghi spricht. Sicher, das sei ein wenig pathetisch. Aber es falle ihm einfach nichts Besseres ein, sagt der 73-Jährige. Gerding wohnt seit anderthalb Jahren in einem Neubaugebiet in Henstedt-Ulzburg. Vier Zimmer plus Kellerzimmer, offene Küche, Bad und Gäste-WC. „Ich wohne in einem Palast mit so viel Raum, das ist für andere Leute vorgesehen“, sagt Gerding. Wären nicht die Flüchtlinge gekommen, wäre er vielleicht längst wieder ausgezogen, sagt Gerding. Jetzt wohnt er nicht mehr allein und hat wieder „Schüler“. „Ich bin von Haus aus Lehrer“, sagt er dazu. Seinen neuen „Schülern“ erklärt er die deutsche Sprache und vieles mehr.

Dass die beiden Eritreer mit den für Deutsche zum Teil fast unaussprechlichen Namen in das Reihenhaus in Henstedt-Ulzburg eingezogen sind, hängt mit Manfred Pleus zusammen. Pleus ist Gemeindereferent der katholischen Pfarrei Katharina von Siena, die sich von Hamburg-Langenhorn über Norderstedt und Tangstedt bis nach Henstedt-Ulzburg erstreckt. Er hat Gerd Gerding beim Erwerb seines Hauses unterstützt, denn der Pfarrer wollte nach der Pensionierung nicht mehr in seiner Gemeinde in Reinbek leben, aber im Hamburger Umland wohnen bleiben. Manfred Pleus hat die beiden Männer aus Eritrea und Gerd Gerding zusammen gebracht. „Eines Tages standen vor der Messe diese beiden schwarzen jungen Männer vor der Tür“, erinnert er sich. „Ich habe sie dann später angesprochen.“ Okbamichael und Hbtzghi stammen aus einem Dorf im Süden Eritreas und sind katholisch. Deswegen besuchten sie die Messe in Norderstedt, wo sie seit Oktober 2015 lebten.

Das Leid der Flucht kommt kaum zur Sprache

„Ich bin vor drei Jahren aus Eritrea weggegangen“, beginnt Fikremariam Okbamichael die Geschichte der Flucht der beiden jungen Männer. Sie kommen aus einem Dorf und haben sich auch gemeinsam auf den Weg nach Europa gemacht. „Zuerst bin ich nach Äthiopien gegangen, dann in den Sudan. Die Reise war mit dem Auto und dem Bus nach Libyen durch die Wüste. Da gibt es nicht genug zu essen und zu trinken. Von Libyen bin ich mit einem kleinen Schiff und dann einem großen Schiff nach Italien gekommen. Von dort bin ich dann mit dem Zug nach Deutschland gefahren.“ Okbamichael erzählt die Geschichte sachlich, in gebrochenem Deutsch mit einem Lächeln auf den Lippen. Das Leid, die Angst und die Nöte der Flucht kommen kaum zur Sprache.

Der Fluchtgrund hingegen ist klar: Wie viele andere junge Männer sind die beiden aus dem afrikanischen Land vor dem Militärdienst geflohen. Dazu würden die Eritreer willkürlich und ohne Ankündigung eingezogen, erklärt Manfred Pleus. Niemand wisse, wie lange er Dienst leisten müsse und ob er überhaupt zurückkehrt. Schon vor der Flucht hätten der 23-jährige Okbamichael und der 22-jährige Yosief Hbtzghi sich längere Zeit im Wald versteckt. Hbtzghi hat dabei in seiner eigenen Familie erlebt, welche Folgen der Militärdienst hat. Sein Vater starb im Militärdienst, sein Schwager wurde vor fünf Jahren abgeholt. Seitdem haben seine Schwester und die beiden Kinder nichts mehr von ihm gehört.

„Ich hatte kein Konzept von einer Wohngemeinschaft“

Die beiden Eritreer lebten seit Ende 2015 in der Flüchtlingsunterkunft an der Norderstedter Lawaetzstraße. Es regnete rein, die hygienischen Verhältnisse waren schlecht, außerdem waren sie unter sich. Deutsch lernen war schwierig. Hbtzghi und Okbamichael wollten gerne in eine Wohnung ziehen – kaum möglich in Norderstedt und Umgebung ist. Und so brachte Pleus die beiden Flüchtlinge mit Gerding zusammen. „Das war nicht geplant. Ich hatte kein Konzept von einer Wohngemeinschaft im Kopf“, sagt Gerding. „Es hat sich so ergeben.“ Nachdem das Jobcenter zugestimmt hatte, die Kosten zu übernehmen, zogen die beiden jungen Männer bei ihm ein. Das bedeutete eine große Umstellung, aber eben auch ein Gewinn für den Pensionär. Ungewohnt war es hingegen nicht. „Ich habe im Pfarrhaus immer mit FSJlern, Zivis oder Referenten zusammen am Tisch gesessen.“ Jetzt eben mit Eritreern. Die gemeinsamen Abendessen – oft gibt es zum Leidwesen des Kartoffel-Fans Gerding Nudeln – sind meist lang. Was sagen die beiden Eritreer? Auf jeden Fall nicht „nein“, denn das müssten sie noch lernen, meint Gerding mit einem Augenzwinkern. Fikremariam Okbamichael versucht, die richtigen Worte zu finden: „Das gefällt uns sehr gut hier. Mit einem Priester zusammen wohnen, das ist ein großes Geschenk für mich.“ Gerding lächelt und sagt: „Das sehen sie so.“

Im Frömmigkeitsstil unterschieden sie sich sehr

Im Frömmigkeitsstil unterschieden sie sich sehr, meint er. Er versuche, die beiden Männer vom christlichen Glauben her aufzuklären, das aber funktioniere nur sehr langsam. Das hängt mit der Kultur und der Sprache zusammen. Die lernen die beiden Eritreer jetzt dank Gerd Gerding, im Alltag anzuwenden. Praktika und vielleicht eine Ausbildung werden somit leichter möglich, meint Manfred Pleus. Ob das ein Modell für andere sein kann? Pleus ist skeptisch: „Das muss jeder selbst wissen.“ Es komme immer auf die konkreten Personen an – auf beiden Seiten. Für Gerd Gerding sind die beiden Eritreer aber weiterhin „ein Geschenk des Himmels“. Und wenn sie einmal genug Deutsch gelernt haben, werden sie es vielleicht ähnlich ausdrücken.