Norderstedt . 2567 unbegleitete Minderjährige leben in Schleswig-Holstein. Norderstedt muss 61 davon unterbringen – zum Beispiel im alten Frauenhaus.

umA und bumA: Es sind schrecklich bürokratische Umschreibungen für schreckliche Schicksale. Amtsdeutsch stehen sie für unbegleitete, minderjährige Asylsuchende (umA) und – noch komplizierter – für begleitete unbegleitete, minderjährige Asylsuchende (bumA). Gemeint sind zum Beispiel Kinder und Jugendliche, die ihre Eltern auf der Flucht oder zu Hause im Krieg verloren haben und die sich auf eigene Faust bis nach Deutschland durchgeschlagen haben. Zum bumA wird so ein minderjähriger Flüchtling dann, wenn ein enger Verwandter als Begleitung dabei ist.

Über 68.000 unbegleitete Minderjährige auf der Flucht gibt es in Deutschland, 2567 davon leben in Schleswig-Holstein. Und Norderstedt muss nach dem im November 2015 eingeführten bundesweiten Verteilungsschlüssel 63 dieser Kinder und Jugendlichen aufnehmen. „Ein angemessenes Kontingent für eine Stadt wie Norderstedt“, sagt Klaus Struckmann, Leiter des Sozialamtes und mit der Betreuung der jungen Flüchtlinge befasst. „Das vergleichbar große Neumünster muss zum Beispiel an die 400 dieser Jugendlichen unterbringen.“

In Norderstedt sind bislang erst zwölf echte umA angekommen. Fünf von ihnen leben derzeit in einer betreuten Wohngemeinschaft in der ehemaligen Teestube der Falkenbergkirche. Über 80 bumA leben in den regulären Unterkünften bei ihren Ver- wandten. Im Auftrag des Amtes prüfen Jugendhilfeträger wie das SOS-Kinderdorf Harksheide, ob diese Kinder und Jugendlichen dort angemessen leben können, ob sie an der Schule angemeldet wurden, Arzttermine wahrnehmen, ihre Freizeit kindgerecht verbringen können, und ob deren Begleitperson überhaupt in der Lage ist, für die Erziehung zu sorgen.

„Außerdem brauchen alle minderjährigen Flüchtlinge Vormunde“, sagt Struckmann. Freiwillig hätten sich dazu schon etliche Norderstedter bereiterklärt. 26 Vormundschaften seien eingerichtet. Nach wie vor werden weitere Privatpersonen gesucht, die einen jungen Flüchtling an die Hand nehmen wollen. Struckmann: „Denn irgendwann werden die restlichen 51 unbegleiteten jungen Flüchtlinge bei uns auf der Matte stehen. Wann, das kann keiner so genau sagen.“ Auch der Kreis Segeberg sucht Helfer (siehe Artikel rechts).

Um die Kinder und Jugendlichen angemessen unterzubringen, hat die Stadt Norderstedt neben der Teestube nun das ehemalige Frauenhaus an der Alten Landstraße 9 für bis zu 16 minderjährige Bewohner passend umgebaut. Betrieben wird das Haus von einem Team des SOS-Kinderdorfes Harksheide. Es setzt sich aus erfahrenen Erziehern und Betreuern zusammen. Drei davon stammen ursprünglich aus Iran und dem Irak, sie sprechen Persisch oder Arabisch.

Kinderdorf-Leiter Jörg Kraft war es von Anfang an bewusst, dass die Einrichtung in einem Einfamilienhaus, eingebettet in eine gewachsene Nachbarschaft an der Alten Landstraße, viel Sensibilität gegenüber den Nachbarn verlangt. Ein Haus voller Jugendlicher in Ausnahmesituationen, traumatisiert von Flucht und Krieg? Diese Vorstellung fördert die Befürchtungen der Bürger, dass Probleme programmiert sein könnten.

Damit die Nachbarn wissen, was auf sie zukommt, luden Kraft und sein Team zu einer Eröffnung des Hauses ein. 150 Bürger wurden eingeladen – lediglich ein Bruchteil davon erschien und kam in den Genuss von Informationen aus erster Hand und eines Büfetts mit persischen Spezialitäten.

Kraft machte deutlich, dass man als erfahrener Jugendhilfeträger im Umgang mit problematischen Jugendlichen gut auf die Flüchtlinge vorbereitet sei. Man wolle den Kindern und Jugendlichen in dem Haus eine Basis für ihren Start in ein Leben in Deutschland geben. Momentan kann keiner so genau sagen, wie lange die Jugendlichen hier untergebracht werden. Doch es sieht so aus, als werde die Fluktuation eher gering ausfallen. Das SOS-Kinderdorf stellt sich auf eine langfristige Betreuung ein.

Ein Anwohner bittet, das Telefonieren im Garten zu unterbinden

Für die Nachbarn ist das zunächst eine gute Nachricht. Als Anwohner des Frauenhauses waren sie hier ein ständiges Kommen und Gehen der Bewohnerinnen und ihrer Kinder gewöhnt. Also immer wieder neue Menschen, die sich in die Nachbarschaft eingewöhnen mussten.

„Als die Frauen noch hier wohnten, konnte man im Sommer kaum draußen im Garten sitzen. Die standen immer im Garten und telefonierten sehr laut“, sagt Nachbar Helmut Homfeldt, der seit drei Jahren Garten an Garten neben dem Frauenhaus lebt. Von Kinderdorf-Leiter Kraft will er dann auch gleich wissen, ob eine „Telefonzelle“ für die Jugendlichen im Haus eingerichtet werden könnte. Sonst habe ich hier demnächst Dutzende Landesprachen im Vorgarten“, sagt Homfeldt. Kraft kann zwar keine Telefonzelle versprechen, sagt aber zu, dass das Verbot von Telefongesprächen im Garten in die Hausordnung aufgenommen werde.

Bea Fall, seit neun Jahren Nachbarin des Hauses hat zwar die Befürchtung, dass diese Jugendlichen ganz schnell auf die schiefe Bahn geraten und zum Problem werden könnten, wenn die Integration versagen würde. „Aber ich bin auch gespannt auf die Jugendlichen und will gerne helfen.“

Anwohnerin Silke Beiner-Büth, seit 27 Jahren Nachbarin, ist neugierig auf die „lebhaften jungen Männer“: „Das bringt Abwechslung in die Nachbarschaft!“