Norderstedt. 81-Jährige beschimpft einen aus Ghana stammenden Mann. Weil sie sich entschuldigt und Geldbuße zahlt, wird das Verfahren eingestellt.
Die kleine Frau auf dem Anklagestuhl ist 81 Jahre alt. Sie trägt einen braunen Hut auf dem graumelierten Haar, eine beigefarbene Jacke und Schuhe mit Goldschnallen. Auf den ersten Blick eine ganz normale ältere Dame. Aber Margarete Z.-G. muss sich vor dem Amtsgericht Norderstedt verantworten – wegen Beleidigung. Sie hat, laut Anklage, zu einem Afrikaner gesagt: „Was sollen Neger im Straßenverkehr? Zurück mit Ihnen in den Busch.“
Zum Termin vor Amtsrichter Dr. Lohmann sitzt die Angeklagte mit einem Verteidiger an ihrer Seite. Der teilt mit, dass sich seine Mandantin zu den Vorwürfen nicht äußern will. Die Angeklagte, Mutter zweier Söhne und Witwe, brummelt zwar bis zum Prozessfinale vor sich hin, hält sich aber an das vereinbarte Schweigegelübde.
Die rassistischen Sprüche, die ihr zur Last gelegt werden, fallen nach den staatsanwaltlichen Ermittlungen kurz vor Weihnachten 2014 auf einem schmalen Forstweg in Norderstedt. Dort ist die Angeklagte im Auto unterwegs, einen Sohn auf dem Beifahrersitz. Auf der engen Strecke touchiert die Rentnerin mit ihrem Wagen den Seitenspiegel eines entgegenkommenden Autos. Mutter und Sohn steigen aus. Es folgt ein Wortwechsel, in dem die Frau den anderen Fahrer laut Anklage rassistisch beleidigt hat.
Beim verhängnisvollen Dialog war auch der Sohn dabei, und der macht nicht von seinem Ausnahmeverweigerungsrecht Gebrauch, sondern sagt als Zeuge aus. Nach seiner Darstellung habe sich der andere Fahrer geweigert, wegen des Schadenfalles die Daten für den Versicherungsschaden auszutauschen. „Der Mann war“, behauptete der Zeuge ausführlich, „überhaupt nicht zum Gespräch bereit“. In allen Einzelheiten schilderte der 50-jährige Norderstedter den Ablauf des verhängnisvollen Wortwechsels nach seiner Version. Der Amtsrichter: „Gab es dabei die besagten Äußerungen ihrer Mutter?“ Darauf der Zeuge plötzlich wortkarg: „Ich habe keine Erinnerungen mehr. Eine richtige Erinnerungslücke“.
„Solche Beleidigungen habe ich noch nie erlebt“
Opfer des vorgeworfenen verbalen Angriffs war D. K., 67. Gebürtig in Ghana, ist er deutscher Staatsbürger. Er sagt als Zeuge aus. Schnell wird deutlich, dass die Beleidigungen den Rentner aus Norderstedt tief verletzt haben. „Ich lebe seit 45 Jahren in Deutschland“, gesteht er bewegt, „aber solche Beleidigungen habe ich noch nie erlebt“. Ich bin schwarzer Hautfarbe, aber ich bin ein Mensch“. Daraufhin reagiert die Angeklagte deutlich hörbar: „Ich habe nichts gemacht. Es ist unglaublich“.
Weil seine Mandantin wenig Einsicht zeigt, bringt der Verteidiger Paragraf 153 a ins Gespräch. Danach kann das Strafverfahren mit Zustimmung von Staatsanwaltschaft, Gericht und Verteidigung unter Auflagen eingestellt werden. Amtsrichter Dr. Lohmann stimmt. Seine Bedingungen: Eine sofortige Entschuldigung der Angeklagten plus einer Geldbuße. Die Angeklagte schluckt. Zum Zeugen gewandt sagt sie mit gepresster Stimme: „Ich möchte mich hiermit entschuldigen. Tut mir leid“. Der Zeuge kommt zögernd auf sie zu. Beide reichen sich gequält die Hand. Zusätzlich muss die Angeklagte 700 Euro an den Verein Pro Asyl überweisen. Ist dieser Betrag gezahlt, wird das Verfahren endgültig eingestellt. Kommentar des Richters nach dem Prozess, ganz unjuristisch: „Das war aller unterste Schublade.“