Henstedt-Ulzburg. Der Journalist Oliver Lück hat ein Buch über Menschen geschrieben, die Flaschenpostbriefe schreiben und auf die Reise schicken.
Ein Brief, geschrieben im Überschwang der Gefühle, vielleicht aus einer Notsituation heraus, vielleicht in der Hoffnung, dass sich ein Lebenstraum erfüllen möge: Um die Flaschenpost ranken sich Legenden. Bücher wurden darüber geschrieben, Filme gedreht. Meistens gefühlvolle Liebesgeschichten, in denen sich zwei Menschen finden, weil die Meeresströmungen sich mit Amor verbündet haben. Der Henstedt-Ulzburger Autor und Journalist Oliver Lück, 42, ist dem Phänomen auf den Grund gegangen. Er hat zwei Jahre lang recherchiert, hat mit Menschen gesprochen, die Flaschenpostbriefe schreiben und auf die Reise schicken, mit Menschen, die Flaschenpostbriefe gefunden haben und mit solchen, die diese Briefe sammeln. Kurioses, Hintersinniges, Abenteuerliches ist dabei herausgekommen. „Flaschenpostgeschichten – Von Menschen, ihren Briefen und der Ostsee“ heißt das Buch, das in diesen Tagen bei Rowohlt erscheint.
Oliver Lück ist einerseits ein seriöser Journalist, der für die großen deutschen Magazine schreibt, aber er ist auch ein Abenteurer, der stets einen Drang verspürt, in fremde Länder zu reisen und, um dort Menschen aufzuspüren, die ihr Leben auf ganz besondere Weise meistern. Vor drei Jahren fasste er seine Erlebnisse in dem Buch „Neues vom Nachbarn“ zusammen, das sich mit erstaunlich guten Auflagenzahlen und den dazu gehörenden Lesetourneen zu einer guten Einnahmequelle entwickelte.
Viele Botschaften stammen aus DDR-Zeiten
Das erste Buch war die Grundlage für das zweite: Bei den Recherchen für das „Nachbarn“-Buch hatte Oliver Lück auch Biruta Kerve aus Lettland kennengelernt. Sie sammelte kuriose Gegenstände vom Strand, die sie zu ebenso kuriosen Skulpturen zusammenstellte. Unter vielen anderen Dingen fand sie auch immer wieder Flaschenpost: Liebesbriefe und Urlaubsgrüße, Gedichte, kleinere Malereien, meistens von Erwachsenen, manchmal von Kindern. 35 Briefe fischte sie im Laufe der Jahre aus der Ostsee, verwahrte sie, beantwortete aber keinen einzigen.
Also machte sich Oliver Lück an die Arbeit: Er telefonierte, schrieb Karten und tippte weit über 500 E-Mails. „Ich wollte einfach erfahren, was für Menschen dahinterstecken, was für Geschichten sie erzählen können.“ Mit seinem alten VW-Bus und Hund Locke reiste er zwei Jahre immer wieder in die Ostseeländer, um diese Menschen zu treffen. Dabei traf er dann auch Menschen, die ihrerseits Flaschenpostfans sind. Thomas auf Rügen zum Beispiel verschickt regelmäßig Flaschenpost, 30 Antworten hat er schon bekommen. Eine von Mogens, einem dänischen Strandpolizisten von der Insel Bornholm, der seit 1971 mehr als 200 verkorkte Wasserpostwurfsendungen gefunden hat. Viele davon stammen noch aus DDR-Zeiten.
Die Recherchen liefen für Oliver Lück teilweise ab wie eine Kettenreaktion. Er lernte eine junge Dänin kennen, die sechs Sprachen spricht und in Tansania eine zweite Heimat gefunden hat, einen Schriftsteller aus Malmö, der in den 90er-Jahren, seinen Wunsch, Schriftsteller zu werden, dem Meer anvertraute – und später tatsächlich einer wurde. Die Flaschenpost einer holländischen Schulklasse wanderte auf seltsame Weise von Rotterdam bis Lettland. Lück lernte aber auch einen Meeresbiologen aus der Ukraine kennen, der auf seinen Forschungsfahrten in alle Welt mehr als 200 Flaschenpostbriefe geschrieben und diese mit Seriennummern versehen hat.
Kleinere Plastikflaschen am besten geeignet
Am Ende seiner Recherchen hatte Oliver Lück eine Auswahl von fast 300 Briefen. „In Zeiten von Passwörtern und Profilbildern, wo alle stets erreichbar sind, wo man 245 beste Freunde hat, und an allen Ecken geliked, gelöscht oder gefolgt wird, wirkt eine Flaschenpost wie etwas Uraltes aus einer anderen Welt“, schreibt Oliver Lück in seinem Buch. „Wie ein Selfie aus der Steinzeit.“ Um die Geschichte einer Flaschenpost zu Ende erzählen zu können, braucht es immer zwei Menschen: Eine Person, die sie verschickt, eine die sie findet.
Der Henstedt-Ulzburger Autor hat bei seinen Recherchen festgestellt, dass das Meer Menschen tatsächlich auf ungewöhnliche Weise miteinander verbinden kann. Wie bei Thomas Masloboy, der in Sassnitz auf Rügen lebt. Er schreibt in seiner Flaschenpostnachricht: „Es ist Sturm in westlicher Richtung. Das ist die Gelegenheit, mal wieder ein paar Flaschen auf die Reise zu schicken.“ Er notiert jedes Mal die Koordinaten und die Uhrzeit, wenn er die Briefe auf Reisen schickt. 150 Botschaften hat er verschickt, 30 Menschen aus sieben Ländern haben ihm geantwortet. Er gibt auch praktische Ratschläge: Kleinere Plastikflaschen sind gut, weil sie nicht zerschellen und meist größere Öffnungen haben.
Lück weiß, wie Journalisten ticken
In einem Fall hat Oliver Lück von einer jungen Frau erfahren, die nach dem Abschicken der Flaschenpost bei einem Unfall verstarb. Zwei Jahre später erreichte die Mutter die Nachricht der Tochter: Ein letzter Gruß aus dem Meer.
Zu den kuriosen Entdeckungen gehört der Flaschenpostautomat, der alles ausspuckt, was man für das Versenden einer Flaschenpost benötigt – gebastelt aus einem alten Getränkeautomaten.
Oliver Lück spricht mit einem Hamburger Strömungsforscher, um die Wege der Flaschen in der Ostsee zu ergründen. Das funktioniert ähnlich wie bei über Bord gegangenen Containern oder Wasserleichen – irgendwo nimmt die Reise ihren Anfang, irgendwo endet sie. Verantwortlich für den Driftweg sind Wind und Strömungen. Alles lässt sich wissenschaftlich belegen.
Rubellos in der Flasche brachte 50 Kronen
Der Autor hat im Laufe seiner zweijährigen Recherchen von Freundschaften erfahren, die sich durch das Schreiben und Finden von Flaschenpost entwickelt haben. Er hat von einem Heroinabhängigen erfahren, der seine Mutter per Flaschenpost um Verzeihung bat, von einem Rubbellos in der Flasche, das tatsächlich einen Gewinn von 50 Kronen erbrachte.
Und er hat einen Kieler Archäologen kennengelernt, der seit dem Dezember 2012 auf seine Website (www.flaschenposten.wordpress.com) alles über Buddelbriefe zusammenträgt und eine Flaschenpostzeitung herausgibt, die man nirgends kaufen, dafür aber finden kann.
Sein praktischer Ratschlag: Bleistifte eigenen sich bestens für Buddelbriefe, Kugelschreiber nicht – deren Schrift bleicht schnell aus. Eine romantische Liebesbeziehung, die sich aus der Flaschenpost entwickelte – damit kann Oliver Lück allerdings nicht aufwarten.
Zusammen mit Hund Locke geht Oliver Lück von April an auf Lesereise durch Deutschland. Über 60 Termine stehen bereits fest. In Henstedt-Ulzburg liest er am Freitag, 29. April, ab 20 Uhr in der Kulturkate, am Donnerstag, 22. September, 19.30 Uhr, in der Stadtbücherei Mitte in Norderstedt.
Oliver Lück, „Flaschenpostgeschichten – von Menschen, ihren Briefen und der Ostsee“, rororo-Verlag, 9,99 Euro.