Norderstedt . Um Flüchtlinge unterzubringen, will die Norderstedter Verwaltung nun auch die „teuerste Wiese der Republik“ bebauen.
Sie ist die vielleicht berühmteste und teuerste Wiese der Stadt – und nun wird sie zur neuen temporären Heimat für 50 bis maximal 100 Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind. Die Stadt Norderstedt baut auf dem Grundstück am Friedrichsgaber Weg, Ecke Stettiner Straße eine Flüchtlingsunterkunft. Schon im zweiten Halbjahr 2016 soll die Unterkunft stehen.
Ausgelöst durch die Abendblatt-Berichterstattung hatte das Grundstück 2011 bundesweit Schlagzeilen gemacht, sogar als „teuerste Wiese der Republik“ (ZDF). Rainer Kerstan, Geschäftsführer des Bundes der Steuerzahler, setzte den Fall von Verschwendung öffentlicher Gelder in das Schwarzbuch Schleswig-Holstein 2011 und nannte es „ein Stück aus dem politischen Tollhaus“. Die Stadt hatte das Grundstück mit drei Häusern für 850.000 Euro gekauft, um dort Krisenbetten für obdachlose Jugendliche und das Soziale Zentrum anzusiedeln. Konterkariert wurde die Planung von der Forderung der Anwohner, einen Kreisverkehr für den besseren Verkehrsfluss an der Stelle zu bauen (noch heute stehen hier die Schilder: „Hier Kreisel statt Ampel!“. Nach langem politischen Hickhack wurden die als baufällig befundenen Häuser abgerissen, eine Ampelkreuzung gebaut und eine mit Fußgängerampel und Fußweg erschlossene Wiese zurückgelassen.
Heizkraftwerk und Flüchtlingsasyl
Eine erste sinnvolle Verwendung fand die Wiese 2013, als die Stadtwerke ein Blockheizkraftwerk für die Versorgung des entstehenden Wohngebietes im Garstedter Dreieck bauten. Nun also sollen die Flüchtlinge auf dem Grundstück in Unterkünfte in Holzrahmenbauweise einziehen – also keine nüchternen Metall-Wohncontainer, sondern einladende Holzhäuser.
Es wird die erste Flüchtlingsunterkunft im Stadtteil Garstedt sein. „Im Sinne der gerechten Verteilung der Unterkünfte in der Stadt und unserem generellen Konzept, viele kleinere, dezentrale und eben keine großen Unterkünfte zu bauen, haben wir unseren Fokus bei der aktuellen Suche auf Garstedt gelegt“, sagt Sozialdezernentin Anette Reinders. Geprüft wird der Bau einer Unterkunft auf einem schmalen Wiesen-Grundstück der Stadt an der Tannenhofstraße 27. „Da gibt es noch etliche Fragezeichen“, sagt Julia Major vom Sozialdezernat, die in enger Abstimmung mit Reinders die Standortplanung macht. „Denkbar wäre hier aber eine Unterkunft für vielleicht 30 Menschen.“ Ihre Chefin Reinders nennt diesen Plan „Integration hoch drei“, weil er die Flüchtlinge im Herzen gewachsener Wohngebiete ansiedelt. „Unsere Erfahrung ist: Je kleiner die Einheiten und je enger sie in Wohngebiete eingebunden sind, desto weniger kommt es zu Konflikten“, sagt Reinders.
Auch die Kulturträger des links-autonomen Sozialen Zentrums am Niewisch sollen neuen Nachbarn bekommen. Auf einer Freifläche neben dem SZ will die Stadt eine Unterkunft für 20 Flüchtlinge schaffen. Am Mühlenweg in Harksheide plant die Stadt auf Höhe der Hausnummer 127 auf einer Freifläche, die an das Gewerbegebäude der TSL Textil-Service & Logistik angrenzt, die nächste größere Unterkunft: 150 Menschen sollen hier im zweiten Halbjahr 2016 einziehen können. „Hier wollen wir mit Mobilgebäuden arbeiten, um da nicht langfristig Fakten zu schaffen“, sagt Julia Major. Denn das Grundstück ist eingebunden in die derzeit laufenden Planungen für einen neuen Stadtteil entlang des Mühlenwegs, mit 600 Wohnungen und Häusern für bis zu 1300 Menschen.
Wie viele Flüchtlinge kommen, weiß keiner
Am Hummelsbütteler Steindamm hat die Stadt außerdem eine weitere Gewerbeimmobilie ausfindig gemacht, die sich nach einem Umbau als Wohnheim für 50 Menschen eignet. „Da stehen wir noch in den Verhandlungen mit den Eigentümern“, sagt Major.
Die Stadt geht davon aus, bis zum Ende des Jahres etwa 1400 Flüchtlinge insgesamt in der Stadt unterbringen zu müssen. Derzeit sei der Zustrom mit etwa 30 Leuten pro Woche eher überschaubar, sagt Reinders. Die Stadt habe in den vergangenen Wochen in den bestehenden Unterkünften die Belegung sogar etwas entzerren können. Und auch die heizbare Fahrzeughalle, die gegenüber des Betriebshofes des Betriebsamtes der Stadt Norderstedt am Friedrich-Ebert-Damm die veralteten Schlichtwohnungen ersetzt, wird akut nicht für Flüchtlinge gebraucht. „Die behalten wir jetzt für den absoluten Notfall in der Hinterhand, um dann nicht Turnhallen belegen zu müssen“, sagt Reinders.
Wie viele Flüchtlinge 2016 tatsächlich in Norderstedt ankommen werden, könne derzeit niemand genau sagen. „Ministerpräsident Albig hat gesagt, die Flüchtlingszahlen verdoppeln sich dieses Jahr im Vergleich zu 2015“, sagt Reinders. Doch Innenminister Stefan Studt hat verkündet, bis April würden nur noch 200 Flüchtlinge pro Monat auf die Kommunen verteilt. Folge: Viele Unterkünfte im Land stehen leer, und die Kommunen bleiben auf den Einrichtungskosten sitzen. Geld von Land und Bund fließt nur pro zugewiesenem Flüchtling. Landrat Oliver Schwerner (Rendsburg-Eckernförde) hat sich laut „Kieler Nachrichten“ in einem Brandbrief an den Ministerpräsidenten gewandt. Bei ihm stehen 600 Wohnplätze für Flüchtlinge leer, die Kommunen warten auf die Begleichung der Rechnungen in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro. Auch Sozialdezernentin Reinders hat immer das ungute Gefühl, Überkapazitäten zu schaffen. „Das wäre fatal“, sagt Reinders. Sie setzt deswegen ab sofort auf Hybrid-Gebäude, wie sie die Stadt an der Segeberger Chaussee plant. Hier sollen bis 2017 etwa 60 Flüchtlinge unterkommen. Die Wohnungen sind so gebaut, dass sie zukünftig auch als Seniorenwohnungen oder für ähnliche Nutzungen geeignet sind.
Die Norderstedter Verwaltung will den Anwohnern der neuen Asyl-Unterkünfte in Kürze Info-Veranstaltungen am Abend anbieten. Die Termine stehen noch nicht fest. Außerdem will das Sozialdezernat die unmittelbaren Nachbarn der Häuser mit Postwurfsendungen direkt über die Planungen der Asylunterkünfte informieren.