Norderstedt. 550 Kinder und Jugendliche lernen in Norderstedt Deutsch. Im Berufsbildungszentrum sammeln sie Erfahrungen in Werkstatt und Küche.

Lambert, Same und ihre Mitschülerinnen zerteilen das Obst in mundgerechte Stücke. In Zweier-Gruppen schneiden, kochen und braten die Jugendlichen für eine bessere Zukunft, ein Leben ohne Krieg, Verfolgung und wirtschaftliche Not. Die jungen Frauen und Männer in der Küche des Berufsbildungszentrums (BBZ) Norderstedt sind Flüchtlinge auf dem Weg ins deutsche Berufsleben. Sie lernen Deutsch und gucken ins Arbeitsleben hinein.

Mehr als 550 Kinder und Jugendliche aus Syrien, Eritrea, Irak, Iran, Afghanistan, Somalia, aber auch aus Albanien oder Kroatien bemühen sich momentan in Norderstedt, sich die für sie fremden Buchstaben und Wörter anzueignen. Hinzu kommen noch mehr als 350 erwachsene Asylbewerber – in der Stadt ist neben den 22 Grund- und Gemeinschaftsschulen, den Gymnasien und dem Förderzentrum eine parallele Lernwelt entstanden, die allerdings fast nur ein Fach kennt: Deutsch. Die Sprache ist der Schlüssel zum neuen Leben. Doch wo und wie lernen die Menschen, die hier Schutz suchen und sich eine Perspektive erarbeiten wollen? Das Hamburger Abendblatt hat sich in den vielfältigen Lernorten umgesehen und berichtet davon in zwei Teilen.

Neun Klassen mit 160 jungen Flüchtlingen

Das BBZ ist die eine wichtige Säule. In der größten Schule des Kreises Segeberg paart sich das klassische Lernen im Unterrichtsraum mit praktischer Arbeit: Ein Jahr bleiben die Jugendlichen hier, durchlaufen auch die Werkstätten für Metaller und Elektriker, die Küche, den Gastro- und Friseurbereich. „Wir versuchen, die jungen Leute möglichst schnell in die berufliche Praxis zu bringen“, sagt Stefanie Denecke, die im Berufsbildungszentrum für die „Berufseingangsklassen International“, so der offizielle Titel, verantwortlich zeichnet.

Sie lernen im DaZ-Zenrtum in Norderstedt Deutsch und besuchen ab 1. Februar eine allgemeinbildende Schule: Mozda (v.l.) und ihre Schwester Samira, Lehrer Kudret Gürsoy, Esnajoler und Valentina.
Sie lernen im DaZ-Zenrtum in Norderstedt Deutsch und besuchen ab 1. Februar eine allgemeinbildende Schule: Mozda (v.l.) und ihre Schwester Samira, Lehrer Kudret Gürsoy, Esnajoler und Valentina. © Michael Schick | Michael Schick

Neun Klassen mit rund 160 jungen Flüchtlingen gibt es. „Das ist nur möglich, weil sich die Kollegen enorm engagieren und sich fortbilden, um die ungewohnten Herausforderungen zu meistern“, sagt Ina Bogalski, die den Lernbetrieb mit mehr als 3000 Schülern leitet. Den Stundenplan zu bauen, sei wie ein Puzzle, da müsse immer wieder hin- und hergeschoben werden. Die Pädagogen kooperieren eng mit dem DaZ-Zentrum (Deutsch als Zweitsprache) in Norderstedt, der zweiten Säule beim Spracherwerb. Das BBZ nimmt 16- bis 18-Jährige auf, die zu alt sind für Gemeinschaftsschule und Gymnasien. Weitere Kriterien für die Verteilung auf BBZ und DaZ sind Nachweise über bisherige Schulbesuche, die nur selten vorliegen. In jedem Fall gilt auch für die Flüchtlinge die Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr.

„Wenn die Jugendlichen zu uns kommen, ist alles vertreten, vom Analphabeten bis zu denen, die schon ein Studium begonnen haben“, sagt Stefanie Denecke. Im Aufnahmegespräch ermitteln die Lehrer das Niveau und verteilen die jungen Flüchtlinge entsprechend. In einer Klasse mühen sich Analphabeten, lateinische Buchstaben und deutsche Wörter aufs Papier zu bringen. Die meisten anderen Klassen stehen noch am Anfang und bewegen sich auf dem Niveau A1 (s. Info-Kasten). Eine Klasse ist einen Schritt weiter und hat das Niveau A2 erreicht. „Am Ende des einen Jahres sollen sie B1 erreichen“, sagt die Koordinatorin. Steigt das Sprachvermögen, kommen andere Fächer wie Mathe, Wirtschaft und Politik hinzu. Die Schüler lernen, nach welchen Grundsätze wir leben, wie Demokratie funktioniert, was Gleichberechtigung bedeutet.

Die Sprachniveaus – von A1 bis C2

Um Sprachkenntnisse vergleichbar zu machen, gibt es den Europäischen Referenzrahmen. Das Sprachniveau gliedert sich in sechs Stufen von A1 bis C2.

A1 und A2 bedeuten elementare Sprachanwendung und Verständigung auf einfachem Niveau, vertraute, alltägliche Ausdrücke und einfache Sätze verstehen und anwenden. Dabei geht es um Alltags-Informationen wie einkaufen, Familie und Arbeit.

B1 und B2 stehen für selbstständige Sprachanwendung. Wer diese Niveaus erreicht hat, meistert typische Urlaubssituationen, kann Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben, komplexe Texte verstehen, in seinem Spezialgebiet Fachdiskussionen führen und Meinungen äußern.

C1 und C2 (kompetente Sprachanwendung): Sich fließend und spontan ausdrücken, die Sprache in Beruf, Ausbildung oder Studium flexibel anwenden, feinere Bedeutungsnuancen herausarbeiten – all das gehört zu den höchsten Sprachstufen.

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Die Jugendlichen aus den Krisengebieten fühlen sich wohl im BBZ. „Sie fallen nicht auf, da wir ohnehin Schüler und Azubis aus 45 Nationen haben“, sagt die BBZ-Chefin. Disziplinprobleme gebe es nicht. „Die Lernbereitschaft ist hoch, die wollen lernen“, sagt Ina Bogalski. Doch immer wieder bremsten Traumata die Lernlust. Manchmal reiche ein Wort, um schreckliche Erlebnisse hervorzurufen. Dann sind die Psychologen gefordert.

Die Jugendlichen, die in der Küche hantieren, stehen kurz vor dem Hauptschulabschluss. Schaffen sie den, scheren sie ins deutsche Schulsystem ein, können am BBZ die Berufsfachschule besuchen, den Mittleren Abschluss machen und weiter Richtung Abitur lernen. Alternative ist eine Ausbildung – der 17 Jahre alte Same möchte Kfz-Mechatroniker werden, aber: „Die Anforderungen sind hoch, wenngleich es wie für die deutschen Jugendlichen ausbildungsbegleitende Hilfen gibt“, sagt Stefanie Denecke.

Zehn Dozenten unterrichten 400 Kinder

Samira, 15, will Anwältin werden, ihre Schwester Mozhda, 16, Bankerin. Die beiden kommen aus Afghanistan und haben ein Jahr Deutsch im DaZ-Zentrum gelernt. Dort bringen die Lehrer schon seit Jahren Migrantenkindern Deutsch bei, der wachsende Zustrom von Flüchtlingen erforderte weitere Kapazitäten. Zehn Dozenten unterrichten rund 400 Kinder und Jugendliche aus Norderstedt, Henstedt-Ulzburg, Ellerau und Tangstedt. Die Älteren lernen ausschließlich dort, die Jüngeren nur in den ersten beiden Schulstunden. „An den Grundschulen steigen auch die deutschen Kinder bewusst in die Sprache ein, da wird mehr probiert“, sagt Norderstedts Integrationsbeauftragte Heide Kröger.

Samira und Mozhda fühlen sich wohl in Norderstedt: „Es ist so ruhig und sicher hier“, sagen die Schwestern, die jetzt wie ihre Mitschüler dem 1. Februar entgegenfiebern: Dann wechseln sie auf eine Gemeinschaftsschule oder auf eins der vier Norderstedter Gymnasien. Noch wissen sie nicht, wo und wie die Bildungsreise in Norderstedt weitergeht.

Im zweiten Teil berichten wir, wie erwachsene
Flüchtlinge Deutsch lernen.