Langeln. Anfang 2015 erkrankte der 27-Jährige aus dem Kreis Norderstedt an einer Autoimmunkrankheit. Warum er seiner Retterin nicht danken kann.
Baptistes Retterin lebt irgendwo in den USA. Wie sie heißt, wie sie aussieht – das weiß Baptiste Tassel nicht. Doch die Unbekannte ist ein wichtiger Mensch in seinem Leben. Ohne sie wäre der 27-Jährige aus Langeln vermutlich nicht mehr am Leben. Vermutlich hat die Frau vor Kurzem Post von der Spenderdatei mit der Mitteilung bekommen, dass es einen Menschen in Deutschland jetzt besser geht, weil sie Knochenmark für ihn gespendet hat. Dass sie damit Baptiste gerettet hat, steht nicht in dem Brief. Auch er weiß ihren Namen nicht. Spender und Empfänger kennt nur die Spenderdatei. Und doch denken beide vermutlich sehr oft aneinander: Wie lebt der andere? Würden wir uns verstehen?
Aplastische Anämie heißt die seltene aggressive Autoimmunkrankheit, an der Baptiste Anfang 2015 erkrankte und die oft als eine Form von Blutkrebs bezeichnet wird. Das Knochenmark produziert keine Blutzellen mehr, das Immunsystem bricht zusammen. Jeder fünfte Patient stirbt daran.
Baptistes Vater, Bernd Mölck-Tassel, spricht von einem Wunder, wenn er daran denkt, wie die lebensrettenden Stammzellen der unbekannten Amerikanerin per Infusion in den Körper seines todkranken Sohnes geleitet wurden und selbstständig ihren Weg gefunden haben. Noch vor Monaten wussten er und seine Frau Valérie nicht, ob Baptiste überleben würde. „Es sieht sehr gut aus, Baptiste geht es prima“, sagt Bernd Mölck-Tassel jetzt. „Auch die Ärzte sind sehr zufrieden.“ Noch scheut er sich, davon zu sprechen, dass Baptiste über den Berg sei. Frühestens ein Jahr nach der Stammzellentransplantation könne man davon reden. Das wäre im Oktober 2016. Absolute Gewissheit gäbe es allerdings nie.
Egal – Baptiste ist wieder in der Lage, sein Leben zu planen. Im März will er mit einem Freund in Hamburg in eine Wohnung ziehen und sein Studium fortsetzen. Selbst renovieren darf er sein neues Zuhause noch nicht. Das halten die Ärzte für zu anstrengend.
Seinen Bachelor-Abschluss für Illustration hatte er kurz vor Ausbruch der Krankheit geschafft. Gamedesign ist sein Spezialgebiet. Jetzt will Baptiste die Masterprüfung schaffen – wenn die Ärzte zustimmen. Die Vorlesungen beginnen im März.
Zwar werden Baptistes Blutwerte immer besser. Außerdem fühlt er sich fitter, weil sein Körper deutlich besser mit Sauerstoff versorgt wird. Doch immer noch muss der 27-Jährige vorsichtig sein. Sein Immunsystem funktioniere noch nicht zu 100 Prozent, sagt Bernd Mölck-Tassel. Menschen mit Erkältungen können Baptiste gefährlich werden, weil sein Körper sich nicht gegen ihre Erreger wehren kann. Baptiste darf nicht U-Bahn fahren, volle Einkaufszentren sind tabu. Demnächst muss sich Baptiste gegen diverse Kinderkrankheiten impfen lassen.
515 Menschen kamen zur Aktion „Baptiste will leben“
Um sicher zu gehen, trägt er oft einen Mundschutz. Auch dann, wenn er im Dorf spazieren geht. Möglicherweise gehört der Mundschutz wie Smartphone und Mineralwasser zu seiner täglichen Ausstattung, wenn er wieder in die Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg geht.
Viele Menschen in den Kreisen Segeberg und Pinneberg haben sich gemeinsam mit der Familie um Baptiste gesorgt. Bernd Mölck-Tassel schätzt, dass mehr als 1000 Menschen ihr Blut typisieren ließen, um als Stammzellenspender Baptistes Leben zu retten. Im Mai 2015 kamen 515 Menschen in die Bürgerhalle zur Aktion „Baptiste will leben“, die der Sportverein TuS Teutonia organisiert hatte. Weitere Aktionen folgten. Der passende Spender für Baptiste war nicht dabei, doch die Daten der Typisierungsaktion werden zentral bei der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) gespeichert und werden für alle Patienten abgerufen, die auf Stammzellen angewiesen sind.
Lange haben Freunde und die Familie warten müssen, bis die DKMS endlich einen Treffer vermelden konnte – die unbekannte Frau in den USA. „Wir sind erleichtert, dass es keine Komplikationen gegeben hat“, sagt Bernd Mölck-Tassel. Er spricht von einem „zweiten Geburtstag“ seines Sohnes und einer zweiten Mutter, die er bekommen habe.
Baptistes Körper habe die fremden Zellen akzeptiert. 90 Prozent seiner Blutzellen stammen von ihr. Bis auf ein paar juckende Pickel waren keine Abwehrreaktion erkennbar. Inzwischen muss Baptiste nur noch alle zwei Wochen ins Krankenhaus. Auf die regelmäßigen Infusionen mit fremdem Blut ist er nicht mehr angewiesen.
Wenn sich Baptiste weiter von seiner Krankheit erholt, will er seinen „zweiten Geburtstag“ feiern. „Das könnte eine Riesenparty werden“, sagt sein Vater. „Alle Helfer und Unterstützer sollen dabei sein.“ Nur die unbekannte Frau aus den USA wird fehlen. „Wir sind ihr unendlich dankbar“, sagt Bernd Mölck-Tassel.