Henstedt-Ulzburg. Nicole Schwencke betreut in Henstedt-Ulzburg syrische Mutter und ihre Kinder. Der Vater ist auf der Flucht und wird bald in Boostedt erwartet.

„We are very happy to be here“, sagt Walaa Najeeb Shabaan. Englisch spricht die 25 Jahre alte Syrierin aus Aleppo perfekt, Deutsch bisher nur ein wenig. Auf dem Wohnzimmertisch im Reihenhaus am Beckersbergring liegen Buntstifte und ein Bogen Tonkarton. „Danke vom syrischen Volk zum Deutschland Volk“ steht etwas ungelenk darauf.

Walaa Shaaban hat das geschrieben. Sie hat auch die Deutschlandflagge und einen Frühlingsstrauß mit Tulpen und Narzissen daneben gemalt. Unten auf dem Karton sind ein Bombenflugzeug abgebildet, tropfendes Blut und ausgestreckte Hände, die um Hilfe bitten.

Walaa erläutert, warum sie dieses symbolträchtige Bild gemalt hat: „Wir sind von den Menschen in diesem Land herzlich aufgenommen worden, und dafür wollen wir uns bedanken.“ Wir, das sind ihre Mutter Manal Shabaan, 46, und ihre Brüder Mohamed, 20, Omar, 15, und Amer, 4.

Acht Wochen waren sie unterwegs

Manal ist mit vier ihrer acht Kinder vor dem Bombenhagel der Kampfflugzeuge und Hubschrauber aus Syrien geflohen – über die Türkei, Ungarn und Österreich nach Deutschland. Acht Wochen waren sie unterwegs. Ende August kamen sie im Erstaufnahmelager Boostedt an, von dort ging es über Bad Segeberg nach Henstedt-Ulzburg.

Manal Shabaan, die ständig über WhatsApp mit ihrem Ehemann verbunden ist, mit den Kindern Amer, Mohamed und Omar (v.l.)
Manal Shabaan, die ständig über WhatsApp mit ihrem Ehemann verbunden ist, mit den Kindern Amer, Mohamed und Omar (v.l.) © Hans-Eckart Jaeger | Hans-Eckart Jaeger

Shabaan, der Vater, seit einigen Wochen mit zwei Kindern auf der Flucht, meldet sich täglich via Whats­App. Der Großgrundbesitzer aus der Nähe von Aleppo, dessen Familie seit mehreren Generationen Olivenplantagen bewirtschaftete, verließ Haus und Hof, als die Helikopter der Regierungstruppen über seinem Grund und Boden die ersten Fassbomben abwarfen. Die tödliche Fracht, erstmals von den US-Amerikanern im Vietnamkrieg eingesetzt, besteht aus mit Sprengstoff und Alteisen gefüllten leeren Ölfässern. Tausende Zivilisten wurden bisher im Bürgerkrieg in Syrien getötet.

Shaaban und seine Kinder schafften es zunächst bis Izmir an der türkischen Ägäis-Küste. Ein Schlepperboot mit 40 Flüchtlingen an Bord setzte sie vor zwei Wochen an der Küste der griechischen Insel Farmakonisi ab. Die einsame Insel ist unbewohnt und militärisches Sperrgebiet. Nur eine Spezialüberwachungseinheit, die dem Vertei- digungsministerium unterstellt ist, ist dort stationiert.

Auf dem Eiland herrschten unvorstellbare Verhältnisse. Immer mehr Flüchtlinge kamen mit Schlauchbooten über die Ägäis, zum Schluss waren 600 Männer, Frauen und Kinder auf einer von Natodraht eingegrenzten Wiese eingepfercht. „Bitte helft uns, wir haben lange nichts gegessen und getrunken“, riefen sie. Einer der Flüchtlinge hatte Videoaufnahmen gemacht und über Facebook in alle Welt gesendet. Auch Vater Shaaban war darauf zu sehen.

Omar (l.) und Mohamed lernen intensiv Deutsch und haben bereits gute Fortschritte gemacht
Omar (l.) und Mohamed lernen intensiv Deutsch und haben bereits gute Fortschritte gemacht © Hans-Eckart Jaeger | Hans-Eckart Jaeger

Tage später wurden alle Flüchtlinge von den Hafenbehörden mit Barkassen abgeholt und auf das Festland gebracht; Vater Shabaan und seine Kinder Assad und Bayan hatten Glück: Per Bus und Bahn fuhren sie über Wien nach München. Bis zum Jahreswechsel sollen sie im Erstaufnahmelager Boostedt eintreffen.

Die Familie weiß über ihre Schritte Bescheid, auch Nicole Schwencke. Die Diplom-Ergotherapeutin gehört zum Willkommensteam in Henstedt-Ulzburg und ist seit dem 16. Oktober, dem Tag der Ankunft von Manal Shaaban und ihren Kindern, ihre ehrenamtliche Begleiterin.

Das Misstrauen der Familie schwand

„Was ich spenden kann, ist Zeit und Engagement, es ist Hilfe zur Selbsthilfe“, sagt Nicole Schwencke. „Als ich eines Tages bei einer Teamsitzung im Bürgerhaus gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könne, etwas für Flüchtlinge und ihre Integration zu tun, habe ich zugestimmt. Für diese Menschen, die in ein fremdes Land mit völlig anderen Sitten und Gebräuchen kommen, müssen wir die Türe öffnen.“ Aber sie wusste nicht, wann und wen sie unter ihre Fittiche nehmen sollte. Bis der Tag kam, der ihr Leben verändern sollte.

Annemarie Winter vom Willkommensteam rief an. Sie empfängt alle Flüchtlinge, die in Bad Segeberg regis­triert und auf die Kommunen verteilt werden. Mit ihnen erledigt sie im Rathaus die ersten Formalitäten. Zwei Frauen und drei Männer aus Syrien kommen, hieß es zunächst. Dann waren es Manal Shaaban und ihre vier Kinder. „Zuerst entdeckte ich in ihren Augen große Unsicherheit“, erzählt Nicole Schwencke, ihre neue Begleiterin. „Wo sind wir hier? Wo werden wir wohnen? Wo können wir die deutsche Sprache lernen? Dürfen wir arbeiten?“, fragte Walaa, die Tochter, immer wieder. Das Misstrauen schwand, als sie ihr neues, vom Willkommensteam und anderen Helfern eingerichtetes Zuhause betraten.

„Heute sind wir gute Freunde“, versichert Nicole Schwencke. Sie begleitet die Flüchtlinge beim Einkaufen, bei Arztbesuchen, zu Behörden, zum Sprachkursus in der Volkshochschule, zu sportlichen Aktivitäten, zur Lebensmitteltafel, zur Kleiderkammer und zur Fahrradwerkstatt. Drei-, viermal in der Woche, manchmal drei Stunden lang, ist sie mit ihnen unterwegs. Solange, bis sie sich überall auskennen.

„Die Freundlichkeit und Dankbarkeit meiner Syrier ist bewegend“, sagt Nicole Schwencke. „Ich hoffe, dass Manal Shabaan ihren Mann und die Kinder recht bald in die Arme schließen kann.“