Norderstedt . Serie „Integration – so schaffen wir das!“: Sekretärin Abir Al Khznadar aus Latakia sucht eine Zukunft für sich und ihre drei Kinder.

Die Wirren des Bürgerkriegs in Syrien sind für den Außenstehenden nur schwer zu deuten. Im Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Saudi-Arabien, dem Gegeneinander von Sunniten und Schiiten, dem alawitischen Assad-Regime, dem von ehemaligen Kadern des irakischen Diktators Saddam Hussein durchsetzten Islamischen Staat und einer ganzen Hand voll Rebellengruppen unterschiedlichster Ausrichtung sind die Fronten nicht immer klar.

Klar ist nur, dass an all diesen Fronten die Zivilbevölkerung leidet – egal auf welcher Seite sie steht. Abir Al Khaznadar, 42, kommt aus Latakia. In der Stadt am Mittelmeer haben die Russen gerade ihren Luftwaffenstützpunkt aufgebaut. Latakia gilt als Hochburg der Anhänger von Diktator Baschar al-Assad. Wer Abir Al Khaznadar zu Assad befragt, bekommt überraschend klare Aussagen: „Ich verurteile ihn nicht. Assad ist zu schwach. Er ist umgeben von Menschen, die ihm diktieren, was zu tun ist.“

Lebenslauf

Abir Al Khznadar wurde am 16. Mai 1973 in Damaskus geboren. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.

Ausbildung: Nach dem Abitur im Jahre 1990 in Latakia besuchte sie ein College und machte eine Ausbildung zur Englisch-Lehrerin an der Mittelschule und schloss als Bachelor ab.

Berufserfahrung: Von 1993 bis 2011 arbeitete sie als Sekretärin in der Anwaltskanzlei ihres Vaters in Latakia. Bis 2012 im Öl-Ministerium in Latakia. Bis zu ihrer Flucht 2015 schlug sie sich in Ägypten mit diversen Jobs durch.

Sprachen: Arabisch, Englisch fließend, Deutsch (Lernphase)

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Vielleicht ist es verständlich, dass sich die Mutter von drei Kindern nach jener Stabilität sehnt, die Assad über Jahre garantierte. Denn ihre Familie zählte zu den gut situierten Gewinnern in Syrien. Nun lebt Abir Al Khaznadar als Flüchtling in der Unterkunft Fadens Tannen in Harksheide und hat alles verloren „Ich lebe dort mit vielen Syrern, sie sind nicht meines Standes. Wir sagen nur ,Guten Morgen’ und ,Guten Abend’. Über Politik rede ich nicht.“ Sie hat sich allein auf die Flucht nach Deutschland gemacht. Ihren Mann hat sie zuvor in Syrien verloren. „Er wurde von Rebellen entführt“, sagt sie. „Wir haben seit Monaten nichts von ihm gehört. Ich bin sicher, dass er tot ist. In Syrien verschwinden überall die Menschen – und sie kehren nie zurück.“ Ihre drei fast erwachsenen Kinder leben jetzt noch bei den Großeltern in Latakia. Abir Al Khaznadar versucht, sie nach Deutschland zu holen. In Syrien sieht sie keine Zukunft mehr für die Familie. „Ich möchte in Deutschland nicht vom Geld des Staates leben. Ich möchte arbeiten und mich selbst versorgen. Irgendwas, ganz egal, Supermarkt-Kasse, putzen – Hauptsache, ich verdiene mein eigenes Geld.“ In Latakia war sie lange Jahre Sekretärin in der Anwaltskanzlei ihres Vaters. Dann war sie im Ministerium für Öl zuständig für die Ausfertigung der Verträge mit Konzessionären. Als der Krieg losbrach, reiste sie zu ihrer Schwester, die in Ägypten lebt, und hielt sich und die Familie dort mit wechselnden Jobs über Wasser. Doch bleiben konnte sie in Ägypten nicht. „Die Ägypter halfen uns überhaupt nicht“, sagt sie.

Wie die Flüchtlinge Weihnachten erleben

Nur eine Minderheit der Flüchtlinge in Norderstedt ist christlichen Glaubens. „Wir haben einige wenige Christen aus Afghanistan, dazu syrische Kurden oder Jemeniten“, sagt Susanne Martin vom Willkommen-Team.

Trotzdem wird den Bewohnern der Asylunterkünfte die Möglichkeit gegeben, den christlichen Brauch kennenzulernen. Bereits am 13. Dezember hatte die Diakonie zu einer interkulturellen Weihnachtsfeier in die Kirche am Falkenkamp geladen.

Das Willkommen-Team verteilte Geschenke an Flüchtlingskinder, die von Mitarbeitern der Stadtverwaltung, von Jungheinrich, Einzelpersonen und den Kindern des DRK-Kindergartens und der Gemeinschaftsschule am Exerzierplatz gespendet wurden.

„60 bis 70 Flüchtlingskinder bis zwölf Jahre leben in Norderstedt“, sagt Martin. Sie freuten sich auch über Geschenke der Interessengemeinschaft Ochsenzoll.

Der Zirkus Verona, der derzeit an der Ulzburger Straße gastiert, spendiert den Flüchtlingen 80 Karten für eine Weihnachtsvorstellung am 24. Dezember, um 14 Uhr geht’s los.

Im Kirchlichen Zentrum Falkenberg wird Flüchtlingen am 25. Dezember ein weihnachtliches Kaffeetrinken angeboten.

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Für einen Start in ein neues Leben wünscht sich Abir Al Khaznadar nun also zunächst einen Job. Niedrig qualifizierte Arbeit kommt nur kurzfristig infrage. Sobald ihr Deutsch besser ist, kann sich Abir Al Khaznadar einen Job im Sekretariat vorstellen. Vielleicht in einem Unternehmen, das Handel im Nahen Osten betreibt? Momentan hat Abir Al Khaznadar den Status Gestattung, sie erwartet aber demnächst ihre Aufenthaltsgenehmigung. Dann stünde der Zugang zum Arbeitsmarkt offen.

In unserer letzten Folge berichteten wir über den Studenten Mohamed Mostafa, der auf der Suche nach einem Praktikum in einem IT-Unternehmen war. „Die Resonanz auf den Artikel war toll“, sagt Hartmut Rothfritz, der sich für das Willkommen-Team der Stadt um die Vermittlung von Flüchtlingen in Ausbildung und Jobs kümmert. Mostafa bekommt tatsächlich die Chance auf eine Hospitanz in einem Norderstedter IT-Unternehmen.

Außerdem meldete sich eine Norderstedterin, die Mostafa, seiner Mutter und seinem kleinen Bruder eine Wohnung vermieten wollte. „Das scheiterte leider daran, dass Mutter und Bruder in einer Flüchtlingsunterkunft in Karlsruhe leben und auch vorerst dort bleiben wollen, weil in der Nähe eine Verwandte lebt. Aber Mohamed war sehr gerührt und freut sich nun auf die Hospitanz!“, sagt Rothfritz.

Wenn Sie Flüchtlinge in Ihren Betrieben beschäftigen oder ausbilden wollen, dann melden Sie sich bei Hartmut Rothfritz vom Willkommen-Team. Er ist unter Telefon 040/53 00 83 71 oder 0162/658 39 05 erreichbar, E-Mail: hartmut@rothfritz.com