Kaltenkirchen. Die KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen: Vor 50 Jahren machten sich ein Hamburger Kommunist und ein polnischer KZ-Häftling auf die Suche.

Vor 70 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Wir erzählen die Geschichte der Gedenkorte für die Opfer im Kreis Segeberg. Dem Konzentrationslager Kaltenkirchen und der Gedenkstätte nähern wir uns mit der Geschichte einer ungewöhnlichen Begegnung vor genau 50 Jahren in Kaltenkirchen.

Es war ein nebliger Dezembertag im Jahr 1965. Der ehemalige Häftling Sergiusz Jaskiewicz und der Hamburger Journalist Franz Ahrens hatten sich auf den Weg gemacht. Sie wollten den Ort besuchen, an dem der Pole Jaskiewicz im Außenkommando des Konzentrationslagers Neuengamme bis 1945 inhaftiert war. Das Ziel war Kaltenkirchen.

Wo die Gemeinde genau liegt, wussten beide nicht. „Ich habe sie nie gesehen“, zitiert Ahrens Jaskiewicz in seinen Erinnerungen an den Tag. „Wir kamen ja nie aus dem Lager heraus. Wir dachten, es habe vielleicht fünf Häuser. Man träumte ja manchmal im Lager, wo man eigentlich ist.“

Schwere Granitkreuze auf der Gräberstätte Moorkaten
Schwere Granitkreuze auf der Gräberstätte Moorkaten © HA | Andreas Burgmayer

Auch Ahrens kannte dieses Schicksal. Die Nazis hatten den überzeugten Kommunisten inhaftiert: „Immer nur im Lager! Jahrelang! In Dachau war ich fast drei Jahre.“ Er habe nicht mehr gewusst, wie Frauen und Kinder aussehen, immer nur die Kameraden und die Männer der SS gesehen.

Kaltenkirchen finden die beiden nach ihrer Fahrt durch den Nebel, aber wo war das Lager? Jaskiewicz wusste es nicht. Und Ahrens auch nicht. Und die Kaltenkirchener schienen es nicht zu wissen – oder nicht wissen zu wollen.

Pastor Karl August Döring sollte den beiden ehemaligen KZ-Insassen behilflich sein. Jaskiewicz und Ahrens hatten auf Verdacht beim Pastor gegenüber der Michaeliskirche geklingelt, ihn zunächst nicht angetroffen, dann aber eine überraschend herzliche Aufnahme gefunden. „Es ist mir eine besondere Freude“, sagte Döring.

Döring stammte aus dem masurischen Elbing, hatte als Kind Berührung mit einem Nebenlager des KZs Stutthof, sein Vater war Sozialdemokrat und nun, zwanzig Jahre nach Kriegsende, sah er sich in Schleswig-Holstein „überall von Nationalsozialisten umgeben“. Dass er einen Polen traf, freute ihn. Er berichtete von einer unglücklichen Liebe zu einer jungen Polin in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Einem Polen zu helfen war für ihn nun Ehrensache. Und so führte er seine Besucher noch vor dem Mittagessen zunächst zum Friedhof in Moorkaten, denn auch diesen wollten Jaskiewicz und Ahrens besuchen. Der Pole war als Schreiber des KZs Kaltenkirchen einmal in seiner Zeit als Häftling dort gewesen.

Diese Grube neben dem ehemaligen Waschhaus diente als Leichenablage im Lager. Zwischen 500 und 700 Gefangene kamen im Lager ums Leben
Diese Grube neben dem ehemaligen Waschhaus diente als Leichenablage im Lager. Zwischen 500 und 700 Gefangene kamen im Lager ums Leben © HA | Andreas Burgmayer

Heute weist ein Schild an der Straße zwischen Kaltenkirchen und Langeln auf die Gräber hin. Mitte der 60er- Jahre standen nur ein paar Kreuze mitten im Wald. Immerhin hatte die Kirchengemeinde das Ritual eingeführt, am Volkstrauertag einen Kranz an den Gräbern abzulegen. „Ich muss als Pastor immer am Heldengedenkstein reden“, erzählte Döring seinen Gästen. „Und da habe ich gesagt: Wir haben hier noch andere Helden-Gräber, die müssen genauso geehrt werden.“ Die Ehrung sei besonders ein Verdienst des ehemaligen Bürgermeisters Gustav Ströh. In den 1970er-Jahren sollte Kaltenkirchen dann die Anlage in Moorkaten umgestalten, in deren Umgebung vermutlich die meisten der mehr als 500 Toten des Konzentrationslagers bestattet liegen. Damals entstand auch der Begriff „Kriegsgräberstätte“. Noch heute steht er auf einer Tafel am Parkplatz an der Straße, er wird aber auf einer weiteren erläutert, denn er war irreführend. Heute weist das Schild zur „Gräberstätte für KZ-Opfer und Kriegsgefangene“.

1965 wiederum gab es noch überhaupt keine Ausschilderung. „Kein Mensch findet hierher, kein Mensch kann sehen, was hier ist“, stellte Ex-Häftling Jaskiewicz fest. Und in der Tat: Als die „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen“ in Ludwigsburg sich 1967 der Verbrechen im Lager annehmen wollte, mauerten selbst die Stellen vor Ort, die es besser wissen mussten. Aus der Kreisverwaltung hieß es beispielsweise lapidar, dass bei Moorkaten ein Ausländerfriedhof gewesen sei und Arbeiter vom ehemaligen Flugplatz hier bestattet seien.

Trauergottesdienst für Gerhard Horch

Gerhard Hoch hat die lokale Zeitgeschichtsforschung zum Nationalsozialismus für Kaltenkirchen und Umgebung begründet.

Seine Arbeit hat weit über die Region hinaus Anerkennung und Widerhall gefunden. Ohne Gerhard Hoch gäbe es weder die KZ-Gedenkstätte noch diese Serie.

Gerhard Hoch starb im Alter von 92 Jahren am 6. Dezember.

Der Trauergottesdienst für Gerhard Hoch wird am heutigen Mittwoch von 11 Uhr an in der Katholischen Kirche Heilig Geist in Kaltenkirchen gehalten. but

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Die Besucher im Dezember des Jahres 1965 hingegen wussten, was passiert war. Aber ihr Gastgeber kannte den Ort des Lagers nicht. „Ja diese Erfahrung haben wir auch schon gemacht, es will keiner etwas wissen“, sagte Ahrens. „Nein die ganze Stadt nicht“, antwortete Döring. „Ich weiß es wirklich auch nicht. Aber ich werde es rauskriegen.“ Und er bekam es raus.

Durch seine Kontakte und die richtigen Worte gegenüber einer Alteingesessenen in Springhirsch, die er nach dem Befinden ausfragte und sich nebenbei nach dem Lager erkundigte. „Wat hem se vör?, fragte sie, und man fühlte, dass ich etwas angerührt hatte, über das keiner gerne reden möchte“, berichtete der Pastor seinen Gästen.

Die drei fanden den Ort. Dort war nur noch Wald, ein paar offenbar bewohnte Baracken und Stacheldrahtreste. Viel zu sehen gab es also nicht. 20 Jahre nach der Evakuierung des Lagers am 16. April 1945 war nicht mehr viel vom Ort des Schreckens übrig.

Steinobjekte des Bildhauers Ingo Warnke markieren die Orte des Lagers: Die Lagerküche hatte den Häftlingen nichts als Hunger zu bieten
Steinobjekte des Bildhauers Ingo Warnke markieren die Orte des Lagers: Die Lagerküche hatte den Häftlingen nichts als Hunger zu bieten © HA | Andreas Burgmayer

Entstanden war das Lager 1944 am Rande des Militärflugplatzes Kaltenkirchen, um diesen für die neuesten Flugzeuge auszubauen. Da es keine Arbeitskräfte gab, hatten die zuständigen Stellen vermutlich beim KZ Neuengamme nach Arbeitskräften angefragt. Die ersten von ihnen kamen im August 1944 nach Kaltenkirchen und mussten vom Bahnhof noch einmal etwa acht Kilometer bis zum Lager ziehen.

„Den damals nur etwas über 2000 Einwohnern Kaltenkirchens präsentierte sich ein makabrer Zug von über 500 elenden Gestalten in gestreifter Kleidung und auf klapprigen Holzschuhen, die ihre Toten auf dem etwa 12 Kilometer langen Weg mit schleppen mussten“, fasste es der verstorbene Lokalhistoriker Gerhard Hoch später in einem Aufsatz zusammen.

Im Lager wurden die Häftlinge in drei Baracken zusammengedrängt, heute zeigen weiße Markierungen die Grundrisse dieser sogenannten Blocks an. Das Lager wurde von einem SS-Offizier, zunächst von Otto Freyer und dann von Bernhard Waldmann, geführt. Als der zuletzt genannte im Januar 1945 das Kommando übernahm, wurden die Arbeitszeiten erhöht, die Verpflegung rationiert, und in der Folge stiegen die Todeszahlen rasch an.

Die meisten Häftlinge waren sowjetische Kriegsgefangene, die unter Bruch internationalen Rechts in KZs gefangen gehalten wurden. Polen wie Jaskiewicz, der als Lagerschreiber fungierte, stellten die zweitgrößte Gruppe, gefolgt von Franzosen, Belgiern, Niederländern, Deutschen und weiteren Nationalitäten. Sie mussten meist zehn Stunden am Tag auf dem Flugplatz arbeiten. Misshandelt wurden sie von den Wachhabenden, aber auch von den Vorarbeitern der zivilen Firmen, die auf dem Flugplatz arbeiteten. Die häufigste Todesursache war allerdings die Ruhr, gegen die es praktisch keine Heilung gab. Die Zustände im Lager mit mangelnder Hygiene, schlechter Verpflegung und ständigen Misshandlungen – insbesondere gegenüber den sowjetischen und polnischen Gefangenen – bedeuteten für viele den Tod.

Der polnische Häftling und Lagerschreiber Sergiusz Jaskiewicz
Der polnische Häftling und Lagerschreiber Sergiusz Jaskiewicz © HA | Andreas Burgmayer

Die hier nur in ganz groben Zügen skizzierte Geschichte des Lagers, die in mehreren Büchern und in Kurzform auf der Internetseite der heutigen Gedenkstätte nachzulesen ist, war 1965 in Kaltenkirchen und Umgebung verdrängt worden. Aber nicht alle machten mit.

Mit Pastor Döring entwickelte sich eine Freundschaft, die drei so unterschiedlichen Männer schrieben sich bewegende Briefe und wollten die Erlebnisse des Kaltenkirchener Wintertags in einem Buch zusammenfassen – jeder aus seiner Sicht. Dazu ist es nicht gekommen, nur der Text von Franz Ahrens liegt – allerdings noch in unveröffentlichter Form – vor und dient diesem Artikel als Grundlage. Wäre das Buch des evangelischen Pastors, des deutschen Kommunisten und des polnischen Ex-Häftlings erschienen, vielleicht wäre die Geschichte des lange vergessenen Lagers anders oder zumindest früher aufgearbeitet worden. Denn außer den Arbeiten in Moorkaten und der Buchveröffentlichung von Gerhard Hoch über das Lager – beides Ende der 1970er-Jahre – passierte am Ort des Schreckens lange Zeit nichts.

Erst 1994 entdeckten Spaziergänger Überreste des Lagers, 1995 wurde mit den Ausgrabungen begonnen, zu denen sich dann auch Gerhard Hoch gesellte „Ich wusste immer, wo das Lager war“, sagte er in der Rückschau. Andere Arbeiten seien wichtiger gewesen. Nun aber konnten die Latrinengrube und der Waschraum bei den Ausgrabungen freigelegt werden, und im Laufe der Zeit entstand die heutige Gedenkstätte.

Der „Trägerverein KZ-Außenkommando Kaltenkirchen in Springhirsch“ entstand, Hoch wurde sein erster Vorsitzender. Der Verein wird von Einzelpersonen, Kommunen, und auch der Kirchengemeinde Kaltenkirchen mit getragen. Schulen haben eine Patenschaft übernommen und helfen bei der Pflege mit, sodass die Gedenkstätte mittlerweile zu den bedeutendsten Erinnerungsorten im Land Schleswig-Holstein gehört und gleichzeitig ein geschichtlicher Lernort ist.