Vor 70 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Wir erzählen die Geschichte der Gedenkorte im Kreis. Heute: Das Mahnmal in Henstedt-Ulzburg.

Der Ablauf am Volkstrauertag ist jedes Jahr gleich. Um 14.15 Uhr treffen sich die Teilnehmer und Gäste am Bürgerhaus Henstedt-Ulzburg. Dann geht es zum Beckersberggelände, wo der Musikzug der Freiwilligen Feuerwehr gegen 14.30 Uhr das Lied „Ich hatt’ einen Kameraden“ anstimmt. Während das 1809 von Ludwig Uhland gedichtete Lied zu hören ist, wird der Kranz niedergelegt. Dann hält einer der im Ort ansässigen Pastoren eine Ansprache. Schließlich wird gemeinsam gesungen: „Herr Gott, dich loben wir“. Nach dem Lied von Martin Luther endet der feierliche Teil des Gedenkens an die Opfer der Kriege in Henstedt-Ulzburg. Mittlerweile ist es um die jährlichen Feiern ruhig geworden, auch wenn die „Bürger für Bürger“ (BfB) als eine der beiden örtlichen Wählerinitiativen im April einen Antrag gestellt hat, die Form des Gedenkens zu modernisieren.

Ende der 1990er-Jahre gab es hingegen lautstarke Proteste, an denen neben den örtlichen Jusos auch linke Gruppen aus dem Kreis Segeberg und Hamburg beteiligt waren. Sie störten sich am „Heldengedenken“ und stellten dem die Aussage entgegen: „Deutsche Täter sind keine Opfer“. Zehn Jahre später war der sogenannte Blutstein pünktlich zum Volkstrauertag von Aktivisten mit einem Zitat zweier Auschwitz-Überlebenden „umgestaltet“ worden. Der Spruch aus der Zeit des Nationalsozialismus ist am 18. November 2007 nicht mehr zu lesen.

Auf Beckersberggelände steht der Gedenkstein für die toten Soldaten
Auf Beckersberggelände steht der Gedenkstein für die toten Soldaten © Helge Buttkereit

Statt „Es gilt das Blut als heilige Saat, aus Gräbern wächst die Kraft zur Tat“ heißt es nun unter anderem: „Das Bedeutsamste und Kostbarste aus deutscher Geschichte ist und bleibt der antifaschistische Widerstand.“ Für die Feier wurde der Stein verhüllt und danach gesäubert.

Seit 2008 ist die Schrift auf dem Blutstein nicht mehr zu lesen. Nach den Diskussionen um das Gedenken und den Stein selbst entschied der Ältestenrat der Gemeindevertretung, den Stein vom Gelände zu entfernen, berichtet Archivar und Ortshistoriker Volkmar Zelck. Wo genau er geblieben ist, lässt sich indes nicht mehr rekons­truieren, denn der Abtransport fand nicht statt. „Der Stein war zu schwer“, sagt Malte Pohlmann, Sprecher der Gemeinde. „Deswegen wurde er auf dem Gelände des Bürgerparks verbaut und umgedreht, damit der unsägliche Spruch nicht mehr zu lesen ist.“

Auch ohne Blutstein ist und bleibt das Ulzburger Beckersberggelände ein ganz besonderer Gedenkort an die Opfer von Krieg und Gewalt. Denn entstanden ist es in den 1930er-Jahren als Ort der Täter. Anfang des Jahrzehnts hatte die Gemeinde Ulzburg die höchsten Schulden im Kreis Segeberg und bei 850 Einwohnern die hohe Zahl von 65 Arbeitslosen. Die Nazis versprachen wie überall im Deutschen Reich Abhilfe durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Sie wollten die hohe Arbeitslosigkeit nach der Wirtschaftskrise senken und Arbeit und Brot für alle schaffen.

Ulzburgs Bürgermeister Heirich Petersen griff nach dem 30. Januar 1933 dieses Programm auf. In seiner Gemeinde sollten die Menschen unter anderem durch den Bau des Beckersberggeländes Arbeit bekommen. Das Gelände hatte die Gemeinde von der Witwe des ehemaligen Henstedter Gemeindevorstehers Emil Krumpeter übernommen. Das Gelände war zu dieser Zeit ungenutzt, zu den zweieinhalb Hektar wurde weiteres Land hinzugekauft. Der Beckersberg war zuvor Ende des 19. Jahrhunderts zur Kiesbeschaffung abgetragen worden, wodurch „de Kieskuhl“ entstand, eine beliebte Badestelle. Der Umbau des Geländes als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für etwa 70 Ulzburger begann dann auch 1933/34 mit dem Ausbau der Badeanstalt, dazu wurde eine Schießanlage errichtet, auf der noch 1944 der „Volkssturm“, das letzte Aufgebot, eine provisorische Ausbildung erhielt. Zudem entstand ein Volks- und Sportplatz. Auch er sollte nach den Worten von Petersen, „mit dazu zu helfen, ein gesundes wehrtüchtiges Volk zu erziehen“.

Ulzburgs Bürgermeister Petersen war von Anfang an Mitglied der NSDAP

Ein Zeitzeuge drückte es so aus: „Schaffung, Stärkung und Erhaltung der Volksgemeinschaft sind Idee, Sinn und Zweck des Beckersbergs. Was die Partei für ganz Deutschland erstrebt, das will der Ausgestalter des Beckersbergs durch sein Werk für die Gemeinde tun.“ Der hier nicht namentlich benannte, aber zweifelsfrei gemeinte Bürgermeister Petersen war seit Gründung der Ortsgruppe der NSDAP am 26. November 1930 ihr Mitglied, 1932 führte er dann die Ortsgruppe mit bereits 160 Mitgliedern. Bei den Reichstagswahlen desselben Jahres erreichte die NSDAP 62,2 und 59 Prozent der Stimmen, was im Verhältnis zu anderen Orten der Region noch relativ gemäßigt war. In Kaltenkirchen beispielsweise erhielten die Nazis im Juli 74,4 und im November 1932 68 Prozent der Stimmen. Gleichwohl war auch Ulzburg nach 1933 in großen Teilen ein nationalsozialistisches Dorf, das durch den Bau der Musteranlage auf dem Beckersberg gestärkt wurde.

Um dem Gelände einen mystischen Gehalt und gleichzeitig eine Verbindung mit der Vergangenheit zu geben, wurde behauptet, dass es eine alte Kultstätte gewesen sei. Die Hünengräber, die sich bis heute dort befinden, wurden jedoch erst in den 1930er-Jahre errichtet und sollten die altgermanischen Vorfahren ehren. Einer der Steine der späteren Gedenkstätte „zur deutschen Schicksalswende“, der heute auf dem Weg vom Parkplatz am Schützenheim zum Gelände steht, trägt vor diesem Hintergrund die Aufschrift: „Wer den Ahn nicht ehrt, ist der Zukunft nicht wert“. Der Bau des eigentlichen Festplatzes wurde dann 1937 begonnen

Die Bühne in Ulzburg ist heute noch an der einen Seite des Platzes zu erkennen. Hier wurden Theaterstücke aufgeführt, zum Beispiel 1938 das Stück „Ritter Utz“, das die Zuschauer zurück ins Mittelalter führte und ihnen die Volksgemeinschaft nahebringen sollte. Nur diese befreie von fremder Unterdrückung. Im Rahmen der Heimatwoche 1938 wurde dann auch im Gedenken an den Kampf der Schleswig-Holsteiner im Jahr 1848 ein großer Findling mit der Aufschrift „Op ewig ungedeelt 1848-1938“ enthüllt. Auch er steht bis heute auf dem Gelände. Ebenfalls 1938 entstand die Pyramide mit dem weithin sichtbaren Hakenkreuz sowie eine Heimathalle mit Kaffeehalle, um die es laut Historiker Gerhard Hoch zu „endlosen und bitteren Rivalitäten in der Dorfschaft kam“. Nach Kriegsbeginn kamen die Bauarbeiten zum Erliegen, dafür wurde das Gelände wieder zum Kiesabbau genutzt, diesmal für den Flugplatz Kaltenkirchen.

Der Blutstein blieb nach dem Krieg zunächst auf dem Gelände stehen

Unter anderem wurden hier Kriegsgefangene aus dem Lager in Heidkaten eingesetzt, eine Stichbahn der EBOE von Elmshorn nach Bad Oldesloe verband das Gelände Beckersberg mit der AKN, so dass der Baustoff an die Rampe in Kaltenkirchen gebracht werden konnte. Auf dem Gelände der Gedenkstätte wurde zu dieser Zeit noch ein Stein zum zehnten Jahrestag der NSDAP-Ortsgruppe sowie die Brautlinde in Erinnerung an den gefallenen Adoptivsohn des Bürgermeisters gesetzt.

Nach dem Krieg wurden einige der Steine entfernt oder mit neuen Inschriften versehen, einige indes, wie unter anderem der Blutstein mit der martialischen Inschrift, blieben zunächst auf dem Gelände stehen. Nach Bürgermeister Petersen wurde 1968 sogar eine Straße benannt, die erst 1998 erneut umbenannt wurde und heute nach Clara Schumann heißt. Im selben Jahr stellten Schüler der Geschichts-AG des Alstergymnasiums, die sich jahrelang mit der NS-Geschichte ihres Ortes befasst hatten, im Rathaus der Gemeinde ihre Ergebnisse aus. Das Gedenken an die Gefallenen des Krieges aber blieb am Beckersberg Tradition, begründet von den Nationalsozialisten. In den Jahren 1995 und 1996 nahmen bei den Feiern der Gemeinde dabei nach Angaben von Norderstedter Antifaschisten auch Neonazis um den Henstedt-Ulzburger Kader André Schwelling teil.

Neben den lautstarken Protesten gegen die Feierlichkeiten gab es schon 1997 einen heimlich unternommenen Versuch der Umwidmung. Als ein Gemeindearbeiter den auf einen Stein gesprühten Spruch „Deutsche Täter sind keine Opfer“ wegwischte, kam dabei sogar die Odalsrune zum Vorschein, die von den Nazis als Symbol für Blut und Boden gedeutet wurde. Im Jahr 2000 kam dann ein neuer Stein hinzu. Nach den Protesten gegen das Erinnern und den Rechercheergebnissen der Ulzburger Gymnasiasten wurde im Jahr 2000 ein neuer Stein gesetzt: „Den Opfern von Gewalt und Willkür“ wird seitdem auf einem eigenen Stein gedacht. Auf ihm sind das Schwarze Kreuz, Eichenblätter sowie die Jahreszahlen 1939 bis 1945 eingemeißelt. Dazu kommt der Satz: „Dass der Bruder uns sank, bedenkt es und wahrt den Frieden“.

Im Jahr 2000 wurde zudem ein Schaukasten aufgestellt, der über die Geschichte des Geländes informieren sollte. „Der war nach relativ kurzer Zeit besprüht und nach den Reinigungsaktionen wurde die Schrift immer blasser, man konnte nichts mehr sehen“, erinnert sich Lehrer Rüdiger Völkl, einer der beiden Initiatoren der AG am Gymnasium. Die Tafel verschwand wie der Blutstein. Um ihn sollte es 2008 keine öffentliche Diskussion geben, so vermutet Archivar Zelck nach Sichtung der Unterlagen, denn die Kommunalwahl stand an. Das Gedenken wiederum findet vermutlich auch in diesem Jahr in altbewährter Form statt, über den Antrag von BfB wurde noch nicht entschieden.