Norderstedt. Stadt Norderstedt baut altes Bürogebäude von Daramic zur Flüchtlingsunterkunft um. ZDF filmt Infoabend, nur: Die Bürger fehlten.
Als der amerikanische Batterie-Separatoren-Hersteller Daramic LLC im Jahr 2005 in seiner Norderstedter Niederlassung 30 Stellen strich und die Administration abzog, stand das große, beigefarbene Verwaltungsgebäude auf dem Gelände am Erlengang leer. Zehn Jahre lang wurde es noch beheizt und gewartet, aber es fand keinen Käufer. Bis die Flüchtlingswelle Norderstedt erreichte.
Nun hat die Entwicklungsgesellschaft Norderstedt (EgNo) im Auftrag der Stadt Norderstedt das Bürogebäude gekauft. Innerhalb von nur ein paar Wochen soll aus der dreistöckigen Immobilie die dritte große Flüchtlingsunterkunft im Norden der Stadt werden, neben der Anlage an der Lawaetzstraße und den Container-Häusern am Harkshörner Weg. Bis zu 150 Menschen werden hier eine Heimat auf Zeit finden. Noch vor dem Jahreswechsel sollen die ersten einziehen.
Vier Flüchtlinge teilen sich ein Schlafzimmer
Ein sportlicher Zeitplan für die Firmen, die im Auftrag der EgNo die Umbauarbeiten erledigen. „Wir müssen zum Beispiel Versorgungsleitungen zum Haus legen“, sagt Jörg Gust, Prokurist der EgNo, „Die Wasserleitungen hier im Haus wurden zehn Jahre nicht genutzt. Da kann sich was festgesetzt haben, Legionellen etwa. So schnell könnten wir die Leitungen nicht austauschen – also verlegen wir neue.“
Die ersten Flüchtlinge werden vorerst in die oberen Etagen einziehen. Dort werden die Büros zu Schlaf- und Sanitärräumen umgebaut. Die fest verbauten Büroschränke werden zu Kleiderschränken umfunktioniert. Das Erdgeschoss ist schon komplett entkernt. Hier entstehen sechs etwa 75 Quadratmeter große Einheiten, die wiederum jeweils in zwei Schlafräume und einen Gemeinschaftraum unterteilt sind. Pro Schlafraum sind vier Menschen geplant. Immer acht teilen sich eine Wohneinheit. „Wenn das Erdgeschoss fertig ist, ziehen die Menschen aus dem dritten Stock nach unten. So bauen wir schrittweise alle Stockwerke aus. Von den Büros bleibt nichts übrig“, sagt Gust. Im Mai soll der Ausbau abgeschlossen sein.
Busse sind zu Fuß gut zu erreichen
Das umgebaute Bürogebäude bietet den Flüchtlingen einen guten Komfort. Außerdem liegt es umgeben von Grünflächen und nicht weit entfernt von den Supermärkten und dem öffentlichen Nahverkehr an der Ulzburger Straße. Noch dazu kosten Kauf und Umbau des Gebäudes die Stadt weniger als der Bau eines Containerdorfes. Die EgNo nennt keine Preise.
Aber die städtische Gesellschaft hat sich neben der alten Daramic-Verwaltung das lukrative und brachliegende Nachbargrundstück gesichert, das auch im Besitz von Daramic war. Hier könnten demnächst neue Firmen angesiedelt werden. „Anfragen haben wir genügend“, sagt EgNo-Sprecher Keno Kramer. Ein Verlustgeschäft sei die Investition der Stadt an dieser Stelle also nicht. „Falls in der Zukunft das Gebäude nicht mehr für Flüchtlinge gebraucht wird, könnte man es auch für andere Wohnformen nutzen.“
Trotzdem hatte Sozialdezernentin Anette Reinders lange Zeit gehadert, das Daramic-Gebäude als Flüchtlingsunterkunft zu nutzen. Denn die Friedrichsgaber fühlen sich bei der Verteilung der Unterkünfte im Vergleich zu den anderen Stadtteilen benachteiligt. Kritische Stimmen waren bei einer Bürgerversammlung laut geworden: Lawaetzstraße, Harkshörner Weg, Kiefernkamp und jetzt noch das Daramic-Gebäude? Die Stadt hatte am Dienstag zu einem Informationsabend in das Schulzentrum Nord eingeladen, um mit den Bürgern über die Flüchtlingssituation zu diskutieren.
Doch da war von Angst, Ärger oder gar Widerstand nichts zu spüren. Gerade mal 15 Besucher verloren sich im Forum des Schulzentrums Nord. Und von denen, die gekommen waren, gehörten einige zum Willkommen-Team, und die Handvoll „echter“ Anlieger hatte sich klar auf die Seite der Flüchtlinge geschlagen. Sie wollten wissen, wie sie die Schutzsuchenden noch besser unterstützen können. Sozialdezernentin Anette Reinders, die Integrationsbeauftragte Heide Kröger, Sirko Neuenfeldt, Fachbereichsleiter Soziales, und Moderator Hauke Borchardt von der Stadtverwaltung erlebten einen entspannten Abend.
Anwohner wollen offensivere Einladungen
Auch sie wunderten sich über das geringe Interesse am letzten Infoabend zum Thema Flüchtlinge in diesem Jahr. Möglicherweise, so vermutete eine Besucherin, war der Termin nicht bekannt. Die junge Frau bat die Verwaltung, solche Veranstaltungen offensiver anzukündigen. „Das hatten wir ohnehin vor. Wenn wir die Infoabende im kommenden Jahr fortsetzen, werden wir die Anwohner per Post gezielt einladen“, sagte Anette Reinders. Die vorherigen Veranstaltungen seien deutlich besser besucht gewesen, zwischen 80 und 120 Bürger hätten sich nicht nur angehört, was die Stadt vorhat, sondern auch ihre Meinung gesagt. Die sei überwiegend positiv gewesen, dennoch habe es auch Kritik und Sorgen gegeben: „Je näher wir mit den Flüchtlingsunterkünften an Wohngebiete heranrücken, desto zahlreicher und lauter wurden die kritischen Stimmen und die Sorge vor dem Wertverlust des eigenen Grundstücks“, sagte die Dezernentin. Doch die Gräben zwischen Norderstedtern und Flüchtlingen seien beim Grillfest im Sommer übersprungen worden. Aus anfänglicher Skepsis und Distanz sei eine fröhliche Nachbarschaftsfeier geworden. Die Stadt setze auf Begegnung, was eine Besucherin aus Hamburg staunend zur Kenntnis nahm. Sie wohne in Groß Borstel in der Nähe einer Erstaufnahmeeinrichtung für 460 Asylsuchende. Da gebe es immer Probleme, die Stadt Hamburg habe einen Wachdienst eingesetzt.
„Den gibt es in Norderstedt nicht, das Zusammenleben zwischen Flüchtlingen und Anwohnern verläuft friedlich“ , sagte Anette Reinders. So viel Harmonie wollte Peter Schmidt einfach nicht schlucken. Der ZDF-Mann war mit einem Kamerateam gekommen und wollte besorgte, verärgerte und zum Widerstand bereite Bürger filmen. Da es die nicht gab, spielte er selbst den Provokateur: „Können Sie angesichts der ganzen Probleme durch den Zustrom der Flüchtlinge abends noch entspannt in der Badewanne liegen und ruhig schlafen?“, wollte er von der Dezernentin wissen und schoss das Merkelsche Motto „Wir schaffen das“ gleich hinterher: „Schaffen Sie das?“
Reinders blieb ruhig. In und nach dem Zweiten Weltkrieg habe das heutige Norderstedt noch deutlich mehr Flüchtlinge aufgenommen. Trotz aller Schwierigkeiten: „Wir schaffen das.“
Wie kam das ZDF ausgerechnet auf Norderstedt? „Wir haben viel über den Süden Deutschlands berichtet, wo die Menschen nach ihrer Flucht ankommen. Jetzt wollten wir dorthin gehen, wo die Flüchtlinge leben“, sagt ZDF-Mann Schmidt. Er hatte erst eine Zusage für einen Dreh in Hamburg-Eimsbüttel, doch dann wollten die Bürger doch lieber unter sich bleiben, und seine Ansprechpartnerin verwies ihn auf Norderstedt. Was er und sein Team aus dem Abend machen, ist am Sonntag, 13. Dezember, ab 9 Uhr in der Reihe „sonntags“ zu sehen, der Titel des Beitrags: „Das Geheimnis der Barmherzigkeit“ – die kann sich auch in der Betreuung von Flüchtlingen zeigen.