Norderstedt . Diskussionsabend zur Flüchtlingssituationverläuft konstruktiv. Viele Norderstedter werfen der Stadf mangelnde Transparenz vor.

Ein positives Fazit vorweg: Beim Diskussionsabend zur Flüchtlingssituation in der Stadt Norderstedt am Montagabend im Kulturwerk war die Stimmung überwiegend konstruktiv – und niemand, noch nicht einmal die wenigen fremdenfeindlichen Trolle des Abends, stellte auch nur andeutungsweise eine Verbindung zwischen den Attentätern von Paris und den Menschen her, die von Krieg und der Grausamkeit des IS bis nach Norderstedt getrieben wurden. So viel also zu Markus Söder und dem Kurs der CSU.

Das negative Fazit ebenfalls vorweg: Obwohl sich beim Thema Flüchtlinge in Norderstedt gerne alle in den Armen liegen und die Willkommenskultur feiern, muss zur Kenntnis genommen werden, dass Pegida nicht nur ein auf Dresden beschränktes Problem ist. Auch im Kulturwerk trauen sich betagte und selbst ernannte Vertreter der deutschen Leitkultur, eine Suada über den Islam als Ideologie, den Koran als Bombenbauanleitung und Mohammed als Ur-Terrorist abzulassen und davon zu faseln, dass man Geld für Asylbewerber lieber in die deutsche Familie investieren soll, damit die deutsche Frau gebärfreudiger wird und mit ihrem deutschen Nachwuchs die deutsche Kultur rettet.

Der Alfred-Stern-Saal des Kulturwerks war mit knapp 100 Bürgern gut gefüllt
Der Alfred-Stern-Saal des Kulturwerks war mit knapp 100 Bürgern gut gefüllt © HA | Andreas Burgmayer

Doch nicht nur diese, absehbar biologisch abbaubaren Probleme offenbarten sich. Auch junge und ganz dumpf fremdenfeindliche Familienväter waren da, die alles, was vom Podium kam, als Propaganda abtaten, jede beschriebene Hilfsleistung für Flüchtlinge mit Kopfschütteln und abschätzigem Prusten kommentierten, die – Ironie des Schicksals – mit ihrem Mittelreihenhaus genau neben einer Asylunterkunft leben und ihre Existenz bedroht sehen, weil sie „nicht mehr auf der Terrasse sitzen können, weil die Flüchtlinge nebenan ihr Klavier rausholen und Krach machen“. Auch das ist Norderstedt. Wenn auch nur am Rande.

Was die Informationsveranstaltung mit Sozialdezernentin Anette Reinders, der Integrationsbeauftragten Heide Kröger, der Willkommen-Team-Leiterin Susanne Martin und Baudezernent Thomas Bosse prägte, war die sachliche Information und der Austausch mit Norderstedter Bürgern und ihrer berechtigten Kritik. Reinders stellte zum Auftakt die Fakten klar. Die Dezernentin bezifferte die zu erwartenden Flüchtlinge in der Stadt bis Ende 2016 auf etwa 2000 Menschen. Darunter nach derzeitigem Stand auch 55 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die in Jugendhilfeeinrichtungen, dem ehemaligen Frauenhaus und der Falkenberger Teestube untergebracht werden sollen.

Thomas Bosse machte keinen Hehl daraus, dass die Stadt Unterkünfte auf jeder städtischen Fläche bauen würde, auf der Rechtssicherheit besteht (siehe Karte). „Weil wir keine Lust haben, dass Anwohner erfolgreich dagegen klagen.“ Die Flächen seien mittlerweile extrem rar geworden. Deswegen stelle die Stadt zum Beispiel zwei Mobilbauten für 45 Menschen auf ein kleines Grundstück an der Ulzburger Straße – obwohl dort ein Anwohner mit Klage droht. Aber die Stadt ist sich sicher, dass es rechtlich keine Chance gibt, den Bau zu verhindern. Nicht anders sehe es auf dem Wiesengrundstück an der idyllischen Sackgasse am Wilden Moor aus, wo drei Gebäude gebaut werden sollen. Das angesichts der Flüchtlingsströme vom Land gelockerte Baurecht mache die Bauten hier einwandfrei möglich.

„Ich habe aber den Eindruck, Sie bauen Unterkünfte nur in Norderstedt-Mitte“, sagte eine Bürgerin. „Das sehen die Friedrichsgaber ganz anders“, antwortete Bosse und zerstreute den Vorwurf, dass die Verwaltung Teile der Stadt mit Willkür überproportional mit Unterkünften belastet. Siehe oben: Die Flächen sind rar und werden genützt, wo immer sie gefunden werden.

Bürger wünschen sich Flyer im Briefkasten

Anette Reinders stellte klar, dass die jetzt geschaffene und geplante In­frastruktur nicht ausreichen werde, wenn die Flüchtlingsströme bis 2017 nicht abebben. Flächen wie die Wiese neben dem Vitalia-Gesundheitszentrum an der Ulzburger Straße oder auch für den Wohnungsbau vorgesehene Grundstücke im Garsteder Dreieck kämen mittelfristig infrage.

„Alles schön und gut. Aber wieso erfahren wir Anwohner von den Plänen für Unterkünfte in unserer Nachbarschaft immer erst, wenn die Kipplaster oder Bagger rollen?“, fragte eine Anwohnerin des Wilden Moors. „Ihre mangelnde Transparenz sorgt dafür, dass die Akzeptanz der Bevölkerung für die Unterkünfte sinkt.“ Wie immer, wenn der Norderstedter Verwaltung mangelnde Informationspolitik vorgeworfen wird, verwiesen Bosse und Reinders auf öffentliche Ausschusssitzungen (zu denen Bürger nun mal leider nicht gehen), die Zeitung (die nun mal leider nicht jeder liest) und die regelmäßigen Infoveranstaltungen. Doch die Bürger wünschen sich einfach nur einen Flyer im Briefkasten, eine Information auf Augenhöhe.

Die Flüchtlingsfrage – Diskutieren Sie mit

Eine Podiumsdiskussion zur Flüchtlingssituation bietet die Kirchengemeinde Vicelin-Schalom am Donnerstag, 19. November, von 20 Uhr an, im Vicelin-Haus am Immenhorst 3 an.

Sozialdezernentin Anette Reinders, Martin Link vom Flüchtlingsrat SH, Susanne Dähn vom Willkommen-Team, Nicole Kuhlmann-Rodewald, Fachbereichsleiterin der Jugendhilfe, und Pastor Christian Stehr diskutieren.

Die Stadtverwaltung bietet eine weitere Informationsveranstaltung mit Reinders, Heide Kröger und Sozialamts-Fachbereichsleiter Sirko Neuenfeldt am Dienstag, 24. November, von 19 Uhr an in der Paul-Gerhart-Kirche am Alten Buckhörner Moor 16 – 18 an.

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Anette Reinders gab zu, von den hurtig rollenden Baggern am Wilden Moor auch überrascht worden zu sein. Ein Fauxpas, der im Vorfeld des Informationsabends hätte vermieden werden sollen. „Manchmal werden wir von unseren eigenen Aktionen überholt“, sagte die Dezernentin und versprach Besserung. Das mit den Handzetteln und ausführlichen Infos im Internet werde man vorantreiben, versprach sie.

Infrage gestellt wurde von einem Bürger die Einschätzung, dass man es mit nur 2000 Flüchtlingen zu tun habe. „Die holen doch sicher ihre Familien nach. Also müssten wir es doch mit einem Vielfachen an Flüchtlingen zu tun bekommen. Wie sollen wir das schaffen?“ Reinders antwortete, dass derzeit erst drei Familien nachgeholt wurden. „Und bei den Flüchtlingen handelt es sich in der Mehrheit um Männer im Alter bis 25 Jahre. Die haben in der Regel weder Frau noch Kind. Mutter, Vater, Onkel und Oma dürfen die nach dem Asylgesetz nicht nach Deutschland holen.“

Viel Applaus für das Willkommen-Team

Gelächter der Skeptiker im Saal handelte sich Thomas Bosse mit der Bemerkung ein, dass er froh um jeden dieser Männer sei, weil die mal seine Pension bezahlen werden. „Die Asylbewerber sind alle schlau und top ausgebildet. Und unsere Kinder sind zu doof, oder wie ist das jetzt?“, fragte ein Bürger provokant. Heide Kröger konterte mit ihrem Bericht aus den Norderstedter Unterkünften, in denen hoch motivierte Asylbewerber wohnen, die den unbedingten Willen hätten, es in Deutschland zu etwas zu bringen.

Applaus gab es an diesem Abend auch von den Bürgern. Denn Susanne Martin und die 300 Mitstreiter des Willkommen-Teams finden nun wirklich (fast) alle gut. Bis auf jene im Saal, die abschätzig „Pah, Gutmenschen!“ raunten. Richtig unerträglich muss es für diese Zeitgenossen gewesen sein, als Kröger, frei nach den Ergebnissen eines Glückforschers, proklamierte „Flüchtlingshilfe macht glücklich!“

Eine Übersicht der Flüchtlingszahlen und der Unterkünfte finden Sie auf Seite 3 der Regionalausgabe Norderstedt.