Norderstedt. Wissenschaftler vermuten, dass die massiven Quader am Norderstedter Stadtparksee Bestandteil einer Kultstätte einer SS-Standarte waren.

Peter Potenberg hat keine Zweifel: „Das war der Kugelfang.“ Massive Betonwürfel sollten die Munition abfangen, die beim Übungsschießen der SS-Standarte Germania am Ziel vorbeiging und kilometerweit durch die Heide bei Harksheide geflogen wäre, wenn die Soldaten die Zielscheiben verfehlt hatten, glaubt der Immobilienunternehmer. Potenberg kennt die Blöcke und die Gegend genau. Dort, wo sich heute der Stadtpark erstreckt, hat seine Familie nach dem Krieg Beton hergestellt. In die einstige Fabrik zog 2012 das Norderstedter Kulturwerk ein. Die 17 Blöcke, von denen einige mehr als zwei Meter hoch sind, stehen immer noch am alten Platz am Südrand des Stadtparksees. Ihre Geschichte ist bis heute nicht erforscht.

Im März dieses Jahres hat die Norderstedter Regionalausgabe des Hamburger Abendblatt ausführlich über die Blöcke berichtet, deren Geheimnis nicht zweifelsfrei geklärt ist: Welchem Zweck dienten die massiven Würfel? Wann wurden sie aufgestellt? Welche Elemente sind möglicherweise verschwunden?

Gewiss ist, dass die Fläche des heutigen Stadtparks und das große Areal rundherum zum Schießstand der SS-Standarte gehörten, die Ende der 30er-Jahre im Hamburger Stadtteil Langenhorn in eine neue Kaserne einzog. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand in den Gebäuden das Krankenhaus Heidberg. Regelmäßig marschierte die SS von der Kaserne zum Schießen in Richtung Falkenberg. Noch heute erinnern Straßennamen in Harksheide wie „Am Exerzierplatz“ an die dunkle Geschichte dieses Ortes.

Hitler befahl Bau der SS-Kaserne

Der Führer sorgte bei einem Besuch in Hamburg höchstpersönlich dafür, dass der Bau der SS-Kaserne in Langenhorn vorankam. Immer wieder hatte SS-Standartenführer Karl-Maria Demelhuber den schleppenden Bau der Kaserne an der Tangstedter Landstraße beklagt.

44.000 Quadratmeter Weideland hatte das Reich 1937 der Hamburger Siemersstiftung abgekauft, doch das Material für den Bau kam nur nach und nach auf der Baustelle an. Die Fertigstellung im Jahr 1938 scheiterte.

Erst im Juli 1938 standen genügend Geld, Holz und Beton zur Verfügung, nachdem Adolf Hitler die „Vollmotorisierung“ von Demelhubers Standarte Germania angeordnet hatte.

Gleichzeitig entstand für die SS-Männer auch der Schießstand mit Munitionsbunker auf den Flächen, die heute zu Norderstedt gehören. Nach anfänglichem Widerstand hatte der Harksheider Wilhelm Gehrkens die Fläche mit der Bezeichnung „Heide, das wilde Moor“ verkauft.

In der Kaserne, in der sich heute das Heidberg-Krankenhaus befindet, waren Unterkünfte für 1376 Mann. Hinzu kamen ein Wirtschafts- und ein Stabsgebäude, zwei Exerzierhallen, Stallungen für 16 Pferde, Reithalle sowie zwei Waffenmeistereien und Garagen.

Die Planungen hatten bereits 1935 begonnen, als die SS-Truppe noch in den Auswandererhallen auf der Veddel untergebracht war. Vor der Entscheidung für Langenhorn waren Flächen in Bahrenfeld, Fuhlsbüttel und Groß Borstel und Quickborn-Elsensee geprüft worden.

Die Langenhorner Standarte war an der Besetzung Österreichs, am Überfall auf Polen sowie an antijüdischen Pogromen beteiligt.

1/7

Ob die markanten Betonklötze jedoch wirklich als Kugelfang dienten, wie Potenberg vermutet, ist nicht eindeutig geklärt. Militärexperten und Historiker zweifeln daran. Sie haben eine andere Theorie.

Nach dem Bericht im März haben sich viele Abendblatt-Leser in der Redaktion gemeldet, die sich noch erinnern, wie es nach dem Krieg auf dem Schießplatz aussah. Dabei tauchten immer neue Varianten auf, wofür die SS die Betonblöcke genutzt haben soll. Die Würfel seien zum Zielschießen eingesetzt worden, hieß es. Ein anderer Leser war sicher, dass jeder Block aus einer anderen Betonmischung bestand und beschossen wurde, um Material für den Bunkerbau im Bombenkrieg zu testen. Eine Version lautete, die Blöcke hätten als Fundament für die Abschussbasis von Raketen gedient. Auch von einer Panzersperre war die Rede.

Geschichte der Kaserne liegt im Dunkeln

Abendblatt-Leserin Heidrun Schmidt meldete sich ebenfalls. Sie kam als Flüchtling nach Harksheide und lebte mit ihrer Mutter, dem Stiefvater und ihrem Bruder bis 1967 auf dem einstigen Schießstandgelände. Sie kann sich noch gut an die Blöcke erinnern. (siehe Artikel rechts).

Das Hamburger Abendblatt hat nach den Leserzuschriften und Anrufen Experten befragt und in Archiven und Bibliotheken recherchiert. Dabei zeigte sich, dass für die Wissenschaft die Geschichte der Hamburger SS-Kaserne bislang weitgehend im Dunkeln liegt, obwohl in den Beständen des Bundesarchivs Aktenmaterial vorhanden ist. Die Geschichte der Entstehung ist in den Archivalien des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes und des Reichsfinanzministeriums dokumentiert. Hinweise auf den Zweck der Betonblöcke sind jedoch auch in diesen Unterlagen nicht zu finden.

SS-Truppen vor dem markanten Tor an der Tangstedter Landstraße
SS-Truppen vor dem markanten Tor an der Tangstedter Landstraße © Langenhorn Archiv | Langenhorn Archiv

Experten der Bundeswehr äußern Zweifel an einigen Theorien, die im Umlauf sind. Dass die Blöcke als Ziel bei Übungen dienten und dass dabei direkt auf sie geschossen wurde, gilt unter Fachleuten als unwahrscheinlich, weil splitternder Beton Menschen in einem weiten Umkreis gefährden kann. Außerdem sind an den Klötzen nur wenige Einschusslöcher zu finden. Auch die Theorie vom Fundament für eine Abschussvorrichtung stimmt vermutlich nicht: Die Reihe der Würfel ist zu kurz, die Neigung stimmt nicht. Um eine Panzersperre zu bilden, sind die Blöcke nicht zweckmäßig angeordnet. Sie riegeln nur wenige 100 Meter ab und sind massiver als erforderlich.

Und Potenbergs Theorie? Dass die SS einen Kugelfang gebaut haben könnte und dafür Betonklötze mit großen Lücken dazwischen errichtet hat, halten Historiker für sehr unwahrscheinlich. Vergleichbare Kugelfänge in SS-Kasernen wie beispielsweise auf dem ehemaligen SS-Schießplatz im oberbayerischen Hebertshausen wurden komplett anders konstruiert. Dort und in anderen ehemaligen Kasernen stehen massive, meterhohe Betonkon­struktionen. Bauwerke dieser Art standen nachweislich auch auf dem Platz der Standarte Germania.

Das Abendblatt hat der Historikerin Andrea Riedle Fotos der Norderstedter Würfel vorgelegt und um ihre Einschätzung gebeten. Riedle leitet die wissenschaftliche Abteilung der KZ-Gedenkstätte Dachau und betreut den Gedenkort am ehemaligen SS-Schießplatz Hebertshausen. „Die Betonblöcke haben nicht unmittelbar mit dem Schießplatz zu tun“, sagte die Wissenschaftlerin, nachdem sie die Fotos analysiert hatte. Sie vermutet eher, dass die Blöcke repräsentativen Zwecken gedient und eine Straße gesäumt haben könnten.

Eine ähnliche Vermutung äußert auch Sebastian Bangert, Sprecher des Militärhistorischen Museums in Dresden, der seinen Fachleuten die Fotos des Hamburger Abendblatts gezeigt hat. Ihre These: Bei den Blöcken handelt es sich um eine lang gezogene Kultstätte der SS, die sich am Rand des Schießplatzes befunden hat. Jeder Block stehe dabei für eines der Völker, die in der NS-Ideologie als germanisch galten. Die eckigen Einlassungen könnten ein Hinweis darauf sein, dass dort Tafeln – möglicherweise mit den Namen der Völker – eingelassen wurden. Die SS könnte die Fläche beispielsweise als Gedenkstätte für gefallene SS-Kameraden genutzt haben, die aus der Region der jeweiligen Völker kamen, sagte Bangert.

Ausdrücklich spricht Bangert von einer These. Ein wissenschaftlicher Beweis fehlt weiterhin.