Norderstedt . Das Abendblatt hilft Flüchtlingen im Rahmen der Serie „Integration – so schaffen wir das“ bei der Suche nach einem Arbeitsplatz.

Die letzten zwei Jahre in ihrer Heimat hat Roula Kanjou, 44, in einem kleinen Kaff in der Nähe von Aleppo verbracht. „Es gab keine Elektrizität, kein Wasser. Und aus dem Himmel fielen die Bomben.“ In Todesangst und in der Sorge um ihre drei Kinder entschied die Architektin am 23. Juli 2014, alles aufs Spiel zu setzen und zu fliehen.

Mit ihren 18 und sechs Jahre alten Söhnen und ihrer zwölfjährigen Tochter machte sich Roula Kanjou zur türkischen Grenze auf, gelangte schließlich nach Griechenland und von dort mit einem Schiff nach Italien. „Schiff ist eigentlich zu viel gesagt. Es war ein Gummiboot.“

Nun lebt sie seit über einem Jahr in Norderstedt. Eine völlig fremde Kultur und Welt, deren Sprache sie schon recht gut spricht und versteht und von deren Gastfreundlichkeit sie beeindruckt ist. „Die Norderstedter sind sehr freundliche Menschen. Sie helfen mir viel und fragen immer, wie es mir geht.“ Die Kinder gehen zur Schule in der Stadt, lernen schneller Deutsch und Deutschsein als sie. Nach einem Jahr in der Asylunterkunft an der Lawaetzstraße hat Roula Kanjou eine Drei-Zimmer-Wohnung in Garstedt gefunden. Es ist für jeden Flüchtling ein großes Glück, die Privatsphäre wiedergewonnen zu haben. Entsprechend glücklich ist die Syrerin. Noch dazu ist jetzt auch ihr Mann endlich in Norderstedt angekommen. „Ich habe ihn seit fast eineinhalb Jahren nicht mehr gesehen. Er war in Aleppo bei der Polizei. Er musste sich am Ende entscheiden, entweder auf die eigenen Leute zu schießen oder den Dienst zu quittieren“, sagt Kanjou. Er habe sich für letzteres entschieden. Damit war die Familie auf die Seite der Feinde des Regimes von Baschar al-Assad gewechselt.

Bis zu ihrer Flucht arbeitete Roula im Baureferat

Roula Kanjou blickt nach vorne und dort sieht sie ihre Zukunft in Deutschland. Ihre Aufenthaltsgenehmigung hat sie seit dem 16. Dezember 2014 in der Tasche. „Nun will ich die Sprache gut lernen. Ich besuche regelmäßig Kurse.“ Am liebsten würde sie in ihrem alten Job arbeiten. Sie hat in Aleppo an der Architektur-Fakultät der Universität einen Bachelor in Baugestaltung gemacht und 1995 ihr Masterstudium mit einem Diplom in Architekturgestaltung abgeschlossen.

Schon während des Studiums hatte sie begonnen, für die Stadtverwaltung in Aleppo zu arbeiten, im Fachbereich Schulbau der Bauabteilung des Rathauses. 1998 wechselte sie in die kleine Stadt Al Atareb in der Nähe von Aleppo und leitete dort das Baureferat. Sie plante Straßen, erteilte Baugenehmigungen und hatte die Bauaufsicht für ein großes Schlachthaus. Bis zu ihrer Flucht 2014 arbeitete Kanjou in der kleinen Stadt Ektad in Syrien im Baureferat. Parallel zum Beruf qualifizierte sie sich beim syrischen Techniker-Verband weiter.

Über Kontakte hat die Syrerin nun ein Praktikum bei der Hamburger Schulbehörde bekommen. Dort sitzt sie in einer Abteilung, in der es um die Sanierung oder den Abriss von Schulgebäuden geht. „Das ist eine tolle Chance für mich, die Sprache besser zu lernen. Außerdem kann ich dort die Fachbegriffe meines Jobs auf Deutsch erlernen. Das ist sehr wichtig“, sagt die 44-Jährige. In ihrem Norderstedter Alltag sorgt das allerdings für nicht unerheblichen Stress. Roula Kanjou muss ständig zwischen ihrem Sprachkursus in Norderstedt, der Kinderbetreuung zu Hause und dem Praktikum in Hamburg hin- und herpendeln. „Ich fände es ganz wunderbar, wenn ich in einem Norderstedter Architekturbüro oder bei der Norderstedter Verwaltung arbeiten könnte. Die Wege wären dann nicht mehr so weit.“

Hartmut Rothfritz vom Willkommen-Team der Stadt unterstützt Roula Kanjou bei der Suche nach einem Job. Er hat bereits bei etlichen Architekturbüros nachgehakt und auch bei der Norderstedter Stadtverwaltung. Doch bislang hat sich noch keine Option für die syrische Architektin ergeben.

Übrigens: Wer eine ganz andere Seite von Roula Kanjou kennenlernen möchte, der sollte mal im Rathaus vorbeischauen. Dort hängen demnächst Ölbilder von ihr. Die Syrerin ist eine begeisterte Hobby-Malerin. „Das Malen ist ein schöner Ausgleich für mich.“

Wenn Sie Flüchtlinge in Ihren Betrieben beschäftigen oder ausbilden wollen, dann melden Sie sich bei Hartmut Rothfritz vom Willkommen-Team Norderstedt. Er ist unter Telefon 040/53 00 83 71 oder 0162/658 39 05 erreichbar.E-Mail: hartmut@rothfritz.com

Lebenslauf

Roula Kanjou, geboren am 11. Juni 1971 in Aleppo. Verheiratet, drei Kinder.

Ausbildung: Nach dem Abitur 1988 besucht Kanjou die Architekturfakultät der Staatlichen Universität Aleppo. Sie macht zunächst einen Bachelor in Baugestaltung und schließt 1995 ihr Masterstudium mit einem Diplom in Architekturgestaltung ab.

Berufliche Erfahrung: Bis 1997 arbeitet Kanjou für die Stadtverwaltung Aleppo im Fachbereich Schulbau. Bis 2007 leitet sie in der Stadt al Atareb das Baureferat und ist für die Straßenplanung, für Baugenehmigungen und Bauaufsicht zuständig. Bis 2014 arbeitet sie im Baureferat der Stadt Ektad.

Sprachen: Arabisch, Englisch, Deutsch (A1), Polnisch (Grundkenntnisse). abm

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