Norderstedt. SPD-Stadtvertreter sehen in Norderstedt Überforderungstendenzen in der Bewältigung des Flüchtlingsstroms und formulieren ihre Bedenken.

Bei der Norderstedter SPD wächst die Sorge, dass der stetige Zustrom an Flüchtlingen nach Norderstedt die Kommune zunehmend überfordert – finanziell wie personell. Die Stadtvertreter Thomas Jäger und Joachim Steinhau-Kühl haben ihre Bedenken am Donnerstag in einer gemeinsamen Erklärung formuliert.

„Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass wir bei der Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen absehbar an logistische und personelle Grenzen stoßen“, sagt Thomas Jäger. „Die kommenden Monate werden zeigen, ob unsere Beschlüsse zur Beschaffung von Containern und mehr Personal in den Notaufnahmeeinrichtungen wirklich ausreichen.“

Notmaßnahmen für den Winter geplant

Bis Jahresende werden weit über 800 Flüchtlinge in der Stadt erwartet. Für das kommende Jahr etwa 1300 weitere. Derzeit plant die Stadt den Bau von 500 Plätzen in verschiedenen Container-Dörfern. Jäger: „Wir brauchen dringend eine Atempause, um den Menschen in den Einrichtungen vor Ort gerecht werden zu können.“

Doch die wird es kaum geben. Sozialdezernentin Anette Reinders spricht zwar von einem leichten Abebben des Flüchtlingsstroms in den letzten beiden Wochen. „Da kamen statt 30 nur noch 15 bis 20 Leute die Woche. „Doch zum November kommen die minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlinge auf uns zu. Ich habe heute noch keine Ahnung, wie viele Jugendliche am 2. November bei uns vor der Tür stehen.“ Bis zu 50 könnten es in den kommenden Monaten werden. Die Stadt plane Notfallmaßnahmen für den Winter. Die unbegleiteten Jugendlichen sollen im ehemaligen Frauenhaus unterkommen und in der Teestube der Falkenberg-Kirchengemeinde. Außerdem steht die Stadt vor Abschluss der Verhandlungen um die Nutzung des ehemaligen Grace-Verwaltungsgebäudes in Friedrichsgabe, das zum Wohnheim umfunktioniert werden soll.

Das Betriebsamt baut bis zum Frühjahr eine beheizbare Maschinenhalle, die ebenfalls als Unterkunft genutzt werden kann. Außerdem habe die Verwaltung einen pensionierten Mitarbeiter reaktiviert, der sich nun ausschließlich um die Prüfung von Wohnungsangeboten von privaten Anbietern kümmert.

12 Millionen Euro für Flüchtlinge

Um die 12 Millionen Euro habe die Stadt insgesamt für die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen ausgegeben, sagt Thomas Jäger. In diesem Zusammenhang kritisiert er die zögerliche Verteilung der vom Bund zugesagten Millionenbeträge. „Es kann nicht sein, dass der Kreis Segeberg und die Stadt eine enorme Schuldenlast auf sich nehmen müssen und nicht wissen, ob sie am Ende noch auf einem Eigenanteil sitzen bleiben.“

Bei der Unterbringung von Flüchtlingen dürfe die Stadt nicht dauerhaft auf Container und Modulbauten setzen, sagt Nicolai Steinhau-Kühl, der Vorsitzender des Ausschusses für Stadtentwicklung ist. „Wir brauchen dringend dauerhafte und städtebaulich sinnvolle Gebäude, die den Menschen eine gute Unterkunft garantieren.“ Das Ziel muss die Einbindung in bestehende und neu zu schaffende Wohnquartiere sein. „Dazu brauchen wir einen regionalen Kraftakt ohne Rücksicht auf Gemeinde- oder Stadtgrenzen. Wohnungsunternehmen, Bauwirtschaft und Verwaltung müssen sich an einen Tisch setzen, um die Bedingungen dafür auszuloten“, sagt Steinhau-Kühl. Günstiges Baugeld sei über die Förderbank des Landes vorhanden – jetzt gehe es um Flächen in Norderstedt und den angrenzenden Kommunen.

Thomas Jäger hält auch die von den Linken in Norderstedt schon seit Langem geforderte Gründung einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft für zielführend. Dazu Miro Berbig, Fraktionschef der Linken: „Es reift die Einsicht, dass unsere Idee gut ist. Nicht nur für die Flüchtlinge: Wir brauchen in den nächsten Jahren 4000 bezahlbare Wohnungen in der Stadt.“ Aus Sicht von Berbig könnte die Entwicklungsgesellschaft Norderstedt (EgNo) den Wohnungsbau übernehmen.

Professionelle Strukturen schaffen

Bei der Betreuung der Flüchtlinge fordert Thomas Jäger die Landesregierung auf, den Einsatz von professionellem und anständig bezahltem Personal zu finanzieren. „Die ehrenamtlichen Helfer arbeiten bis an ihre Belastungsgrenze. Wir müssen aufpassen, dass sich nicht Frustration und Überforderung breitmachen.“

Susanne Martin, Leiterin des Willkommen-Teams Norderstedt, sagt allerdings, dass keiner der etwa 300 freiwilligen Helfer in Norderstedt vor dem Nervenzusammenbruch stehe. „Die Lage ist gut im Griff. Wir würden uns nur mehr Menschen wünschen, die in den Nachmittagsstunden Flüchtlinge zu den Ämtern begleiten.“ Diese Kernaufgabe laste derzeit auf den Schultern von nur 40 Aktiven.

Um eventuell auftretende Belastungssymptome bei den Helfern abzufedern, sei jetzt eine Coaching-Gruppe mit Therapeuten eingerichtet worden, in der die Helfer belastende Erlebnisse aufarbeiten können.

Thomas Jäger lädt alle für die Betreuung zuständigen Träger und Vereine in die Sitzung des Sozialausschusses am Donnerstag, 19. November, 18.30 Uhr, ein. „Wir wollen uns ein realistisches Gesamtbild der Lage machen“, sagt Jäger.