Norderstedt. 60 Unternehmer kamen zum Infotag ins Rathaus und es wurde deutlich: Es gibt viel guten Willen und noch mehr Gesetze.

Die Fragerunde im Plenarsaal des Rathauses hat begonnen und Gunnar Löwe, Inhaber und Geschäftsführer der Altenpflegeheims Scheel in Norderstedt, ergreift das Wort. „Wir haben heute erfahren, dass es sehr viele engagierte und gute Menschen in der Verwaltung, in Organisationen und Projekten in dieser Stadt und im ganzen Land gibt, die sich um die Integration der Flüchtlinge in Arbeit kümmern.“ Und nach einer kurzen Pause fragt Löwe: „Aber können Sie mir mal verraten, warum all das nicht bei uns, den Unternehmen, ankommt? Ich würde gerne jemanden nehmen, aber wie komme ich mit einem Flüchtling überhaupt in Kontakt?“

Etwa 60 Norderstedter Arbeitgeber informierten sich im Plenarsaal des Norderstedter Rathauses über die Beschäftigungsmöglichkeiten von Flüchtlingen. Innenausstatter Habib-Ullah Tariq war einer von ihnen
Etwa 60 Norderstedter Arbeitgeber informierten sich im Plenarsaal des Norderstedter Rathauses über die Beschäftigungsmöglichkeiten von Flüchtlingen. Innenausstatter Habib-Ullah Tariq war einer von ihnen © HA | Andreas Burgmayer

Dass die Stadtverwaltung Norderstedt im Namen von Sozialdezernentin Anette Reinders zu einer Informationsveranstaltung für die Unternehmen der Stadt und der Region zum Thema Flüchtlinge und Arbeit ins Rathaus geladen hatte, war die richtige Idee zur richtigen Zeit. Mehr als 60 Unternehmer fanden den Weg in den Planarsaal. Dort bekamen sie aus erster Hand einen gerafften Überblick zu den Fakten der Flüchtlingssituation in der Stadt und im Kreis, zu den rechtlichen Vorgaben für die Beschäftigung von Flüchtlingen. Doch was der Informationstag auch offenbarte, war eine tiefe Kluft: Auf der einen Seite die Unternehmen mit der Bereitschaft, Flüchtlingen in den Betrieben eine Chance zum Neuanfang zu gewähren. Auf der anderen Seite die Flüchtlinge, die auf dem Weg in die Betriebe viele Hindernisse zu überwinden haben.

„Als ich vor 40 Jahren nach Deutschland kam, konnte ich sofort bei einem Betrieb einen Hilfsjob haben“, sagt Habib-Ullah Tariq vom Inneneinrichtungsunternehmen Nova-Port aus Itzstedt. „Ich half in einem Getränkemarkt. 8 Uhr pünktlich da sein, geregelte Zeiten, die Arbeit ordentlich erledigen – all das lernte ich bei diesem Job.“ Heute führt er selbst ein Unternehmen. „Ich war nur zwei Wochen in meinem Leben von Sozialhilfe abhängig.“ Im Rathaus hört er viel von den Vorgaben, die erfüllt sein müssen, um einen Flüchtling zu beschäftigen. „Doch wir müssen doch sehen, dass die Menschen in den Heimen sitzen und sich langweilen. Wenn das zu lange geht, sind die für den normalen Arbeitsmarkt gar nicht mehr zu gebrauchen. Es drängt! Die Leute brauchen Arbeit – ganz egal, wo“, sagt Tariq. Statt Hürden aufzubauen, sollten die Behörden den Firmen dankbar sein. Tariq: „Keine Träumereien! Praktisch denken! Nicht in Kursen integriert man die Flüchtlinge, sondern in den Betrieben und unter den Menschen!“ Für seinen Pragmatismus bekommt Tariq im Plenarsaal Applaus von den anderen Unternehmern.

„Hospitation für Flüchtlinge  – das ist so eine Grauzone, in der einiges möglich ist“, sagt Hans-Joachim Gabriel von der Job-Agentur Norderstedt
„Hospitation für Flüchtlinge – das ist so eine Grauzone, in der einiges möglich ist“, sagt Hans-Joachim Gabriel von der Job-Agentur Norderstedt © HA | Andreas Burgmayer

Oliver Bonus von der Segeberger Ausländerbehörde versuchte, den Unternehmern das „dunkle Metier des Beschäftigungsrechts“ näher zu bringen. „Flüchtlinge, die das Asylanerkennungsverfahren positiv hinter sich gebracht haben, erhalten den vollen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt“, sagte Bonus. Da seien zum Beispiel politisch Verfolgte. „Auf deren Ausweisen steht: Erwerbstätigkeit möglich. Schreibkram ist da nicht mehr nötig“, sagte Bonus. Problematisch bleibt es, wenn das Verfahren noch läuft. Dann dürfen die Bewerber in den ersten drei Monaten gar nicht arbeiten, der „Eingriff in betriebliche Abläufe“ ist ihnen nicht gestattet. Bonus: „Da erleben wir aber wöchentlich eine zunehmende Liberalisierung – das finden wir gut.“ Arbeitsmarktpolitisch greife aber bei allen Asylbewerbern innerhalb der ersten 15 Monate die „Vorrangprüfung“. Sie dürfen keinem Deutschen oder EU-Ausländer einen Arbeitsplatz streitig machen. „Und dann gibt es die, deren Asylverfahren gescheitert ist, die aber noch geduldet in Deutschland leben. Da sind die Einschränkungen groß“, sagt Bonus. Er empfiehlt: „In allen Ausweisen der Asylbewerber steht der Status für den Arbeitsmarkt vermerkt.“

Das sind die Ansprechpartner

Die Agentur für Arbeit in Elmshorn, zuständig auch für Norderstedt, hat für alle Fragen rund um das Thema Flüchtlinge zwei Ansprechpartner. Zum einen können sich Unternehmen an Alexander Stojimirovic vom Arbeitgeberservice wenden. Er hat die Telefonnummer 040/52 65 22 22.

Die Migrationsbeauftragte und Integrationsberaterin der Arbeitsagentur ist Marlies Rathsack. Sie ist unter Telefon 040/52 65 21 03 und unter der E-Mail-Adresse marlies.rathsack@arbeitsagentur.de zu erreichen.

Heide Kröger, die Integrationsbeauftragte der Stadt Norderstedt, ist unter Telefon 040/53 59 59 16 zu erreichen oder unter der E-Mail kroeger@vhs-norderstedt.de.

Hartmut Rothfritz vom Willkommen-Team unter 040/53 00 83 71, oder der E-Mail-Adresse hartmut@rothfritz.com.

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Arbeitsministerin Andrea Nahles hat die deutschen Unternehmen gerade zu einem großen gemeinsamen Kraftakt aufgerufen. Hunderttausenden von junge Flüchtlingen sollen sie Einstiegsplätze und Praktika anbieten, über sechs bis zwölf Monate. Sie hat versprochen, Hürden abzubauen und berufsbezogene Sprachkurse anzubieten, um das Lernen im Betrieb mit der Sprache zu kombinieren. An der Basis im Norderstedter Jobcenter sitzt dann Hans-Joachim Gabriel. Er spricht im Rathaus darüber, dass die sprachlichen Defizite bei den meisten Norderstedter Flüchtlingen einfach zu groß sind. Außerdem hapert es mit dem Erst-Profiling, also der Feststellung der Qualifikation der Menschen. Und das mit den Praktika ist eben alles andere als einfach. Der Arbeitserlaubnis müsse immer die Bundesagentur zustimmen, das seien Formalien, die eben nötig seien. „Wann ist es ein Praktikum und wann ist es ein Eingriff in die betrieblichen Abläufe? Wenn der Asylbewerber dort richtig arbeitet, geht es eben nicht!“ Gabriel hält den Status „Hospitation“ für zielführender. „Das ist so eine Grauzone, in der einiges möglich ist.“ Momentan habe das Jobcenter etwa 90 Flüchtlinge in der Kartei. Gabriel: „Ich habe mir die Kunden angeschaut: Da ist alles dabei, vom Helfer bis zum Akademiker, zwei Ärzte haben wir und auch Baggerfahrer.“

Habib-Ullah Tariq überzeugt das nicht. „Wenn du einen Syrer fragst: Hast du schon mal einen Bagger gefahren, dann sagt er: Natürlich, klar, ich kann Bagger fahren – auch, wenn er nur einmal in einem drin saß.“ Was Tariq damit anspricht, sind die fehlenden Ausbildungsstrukturen in vielen Ländern des Nahen Ostens. Learning by doing ist die Regel, duale Ausbildung in Betrieb und Berufsschule gibt es kaum. Um die tatsächlichen Qualifikationen der Flüchtlinge in Norderstedt zu ermitteln, schickt die Integrationsbeauftragte der Stadt, Heide Kröger, eine Göttinger Ethnologie- und Arabistikstudentin durch die Unterkünfte. Mit einem differenzierten, sechsseitigen Fragebogen hat die Studentin schon über 100 berufliche und schulische Lebensläufe erstellt. Ihr vorläufiges Fazit: mehr als 70 Prozent der Norderstedter Flüchtlinge haben Schulen neun Jahre und länger besucht, doch nur unter 15 Prozent von ihnen haben Ausbildungs- oder Studienzertifikate. „Die meisten Menschen kommen aus Syrien, Eritrea, dem Irak, Iran oder aus dem Jemen. Vom Handwerker bis zum Professor ist alles dabei. Aber die Handwerker stellen die größte Gruppe.“

„Ich nahm einen Mann aus Eritrea in meinem Betrieb auf. Aber er sprach kaum Deutsch. So ging das nicht“, sagt Elektromeister Rainer Wiening.
„Ich nahm einen Mann aus Eritrea in meinem Betrieb auf. Aber er sprach kaum Deutsch. So ging das nicht“, sagt Elektromeister Rainer Wiening. © HA | Andreas Burgmayer

Für den Norderstedter Elektro-Meister Rainer Wiening ist das eine gute Nachricht. Denn in seinem Handwerksbetrieb hätte er Platz für Menschen mit zwei rechten Händen. „Meine Frau engagiert sich im Willkommen-Team der Stadt. Und ich war schon richtig heiß, endlich einem Flüchtling in meinem Betrieb eine Chance zu geben.“ Schließlich habe er über Hartmut Rothfritz vom Willkommen-Team einen jungen Eritreer vermittelt bekommen. „Der war auch willig und in der Lage anzupacken. Aber er sprach leider so gut wie kein Wort Deutsch“, sagt Wiening. „Ich kann das meinen Jungs im Betrieb nicht zumuten. Die stehen auf den Baustellen unter Zeitdruck. Wenn die dann einen mitziehen müssen, der nichts versteht, dann gibt das Stress.“ Sprachkurse sind also das Gebot der Stunde. Das Problem: Vom Bund bezahlt bekommen die Deutschkurse nur Flüchtlinge, die anerkannt sind. Davor liegt es in der Eigeninitiative jeder Kommune, die Sprache zu vermitteln. In Norderstedt ist es dem Willkommen-Team und den mittlerweile über 300 ehrenamtlichen Helfern zu verdanken, dass es über die Woche verteilt an die 100 Kursus-Stunden Deutsch-Unterricht für die Flüchtlinge aus aller Welt gibt. Durch eine Gesetzesänderung, die ab November gilt, dürfen jetzt auch Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive Sprachkurse kostenlos besuchen. Eine überfällige Korrektur des Asylrechts.