Neumünster. Erstaufnahmestelle in Neumünster ist hoffnungslos überfüllt. Finanzbeamte sollen chaotische Zustände bei Registrierung beheben.

Es ist nur ein Wort. Ein Augenblick. Aber eben auch einer, der berührt. „Moin“ ruft der kleine syrische Junge, als er lächelnd vorbeihuscht. Ein schmächtiger Bursche. Vielleicht sechs Jahre alt. Eines von Hunderten Flüchtlingskindern im zentralen Aufnahmelager des Landes in Neumünster. Die norddeutsche Begrüßungsformel ist schnell gelernt. Anderes dauert sehr viel länger. Mehr als 5000 in der früheren Scholtz-Kaserne untergebrachte Menschen hoffen auf Asyl, warten auf Entscheidungen. Manchmal viele Wochen. In der hoffnungslos überfüllten Sammelunterkunft verläuft schon die Registrierung chaotisch. Mitarbeiter der schleswig-holsteinischen Finanzverwaltung sollen jetzt die Not lindern. In der zentralen Erstaufnahme werden Steuerfahnder zu Flüchtlingshelfern.

An diesem Vormittag ist Finanzministerin Monika Heinold gekommen, um sich ein Bild zu machen. Sie spricht von Herausforderungen, räumt ein, dass Asylverfahren zu lange dauern. Stefan Wingsch findet deutlichere Worte. Die Zustände erinnern ihn „an Käfighaltung“. Wenn das Chaos einen Namen trage, laute der momentan Erstaufnahme Neumünster, sagt der Steuerfahnder, der sich wie 140 andere freiwillig gemeldet hat. Heinold, die möglich macht, dass Mitarbeiter der Finanzverwaltung für acht Wochen ihren Schreibtisch verlassen und bei der Erstaufnahme helfen, senkt angesichts solch drastischer Worte zunächst den Kopf. „Nichts ist mehr, wie es war“, sagt die Ministerin dann.

22 Polizisten sind rund um die Uhr im Einsatz

Zwei Geschosse höher wird auf den ersten Blick klar, dass Wingsch keineswegs übertreibt. Schon im Treppenhaus ist Babygeschrei zu hören. Schmuddelige Matratzen liegen im Kasernenflur. Mütter mit kleinen Kindern im Arm hocken darauf. Es riecht streng. Zugänge zu den Toiletten gehen direkt von dem Gang ab, in dem Menschen nächtigen. „So sieht es hier aus, das darf man nicht verschweigen“, sagt Polizeisprecher Rainer Wetzel, dessen Kollegen ihre Station auf dem Gelände kürzlich aufstockten. 22 Beamte sind rund um die Uhr im Einsatz. Ihnen kommt auch die Aufgabe zu, Asylbewerber von einem Transfer in ein anderes Bundesland zu überzeugen, wenn der Zuteilungsschlüssel das verlangt.

Kein leichter Job. „Die Menschen, die hier gelandet sind, wollen bleiben“, bestätigt Burkhard Schmidt. Der Finanzbeamte aus Pinneberg hat sich entschieden, Steuersünder für eine Weile Steuersünder sein zu lassen. Stattdessen packt er in Neumünster an. „80 Prozent der Ankömmlinge haben nicht mal Ausweise“, so Schmidt. Name, Alter, Familienstand – alles werde erfragt. „Manchmal malen die Menschen Bilder, damit wir sie verstehen.“ Kaum hat der 50-Jährige diese Worte gesprochen, ist er nicht mehr allein. Ein junger Syrer, er nennt sich Mohammad, hofft auf Hilfe. Es geht um die Verlegung in eine andere Unterkunft. Der Mann spricht weder Deutsch noch Englisch. Er weiß nicht wohin. Schmidt hilft, so gut das möglich ist. Kommunikation mit Händen und Füßen ist hier Alltag.

Corinna Lohse und Burkhard Schmidt jagen eigentlich Steuersünder
Corinna Lohse und Burkhard Schmidt jagen eigentlich Steuersünder © HA | Andreas Daebeler

Derweil ist es bald Mittag. Menschen strömen auf die Cafeteria zu. Schnell wächst die Schlange. Warmes Essen bekommt nur, wer einen Berechtigungsschein vorweisen kann. Vor dem Saal steht ein Mannschaftsbus der Polizei. „Damit wir eingreifen können, wenn es mal Ärger gibt“, sagt Wetzel. Er staunt ob der Disziplin, die die Asylbewerber offenbaren. „Angesichts dieser Enge und der vielen Nationalitäten ist es bemerkenswert, wie ruhig es zugeht.“ Ab und zu eine Drängelei, ein Handgemenge, das war’s. Massenprügeleien wie andernorts seien nicht zu verzeichnen. Eine Einschätzung, die Corinna Lohse bestätigen kann. Sie jagt eigentlich Steuersünder in Elmshorn. Als aus dem Ministerium das Angebot kam, sich zu engagieren, habe sie nicht lange überlegt: „Ich versuche, den Menschen den Tag erträglicher zu machen“, sagt die 45-Jährige.

Flüchtlinge haben nur wenig Privatsphäre

Die Phalanx aufgestellter Wohncontainer ist kaum zu überblicken. Graue Kästen, so weit das Auge reicht. Eine Kleinstadt in der Stadt. Der Blick ins Innere der Boxen wird nicht gestattet. Die wenigen Quadratmeter Privatsphäre, die den Flüchtlingen geblieben sind, sollen gewahrt bleiben. Vor einem Eingang bildet sich die nächste Menschentraube. Im Inneren des Hauses warten Ärzte auf Patienten, die ihre Leiden häufig nur mit Gesten schildern können. Seit Kurzem gibt es auf dem Gelände auch eine Isolierstation. Epidemien sollen so verhindert werden.

Ausgelegt ist die Erstaufnahme für 2000 Flüchtlinge. Mit Stand von Dienstag waren 5107 Menschen auf dem Gelände untergebracht. Eine Zweigstelle in Boostedt ist mit 1700 Asylbewerbern ebenfalls ausgelastet. Von einer Zunahme der Kriminalität kann Polizeisprecher Wetzel nicht berichten: „Es gibt im Umfeld keinen signifikanten Anstieg bei Delikten wie etwa dem Ladendiebstahl.“ Anfeindungen aus der rechten Ecke beschränkten sich auf Hetze im Internet. Übergriffe habe es bisher nicht gegeben.