Henstedt-Ulzburg. Henstedt-Ulzburger entscheiden am Sonntag in einem Bürgerentscheid über die Zukunft der Pinnau-Wiesen. Bebauung oder grünes Idyll?

Eine Stadt ist Henstedt-Ulzburg nicht geworden. Das haben die Bürger vor zwei Jahren per Bürgerentscheid selbst entschieden. Aber ein „braves Dorf“ ist der Ort trotzdem nicht: Es brodelt in der Gemeinde wie in einer Großstadt. Viele Bürger proben nicht nur den Aufstand, sie wagen den Aufstand und scheuen den Kampf gegen die Obrigkeit nicht. Es gibt wahrscheinlich nur wenige Orte in Deutschland, in denen der unmittelbare Bürgerwille derart vehement durchgefochten wird. Politik und Verwaltung sind beeindruckt von so viel Power.

Am Sonntag, 11. Oktober, geht es um die Bebauung der sogenannten Pinnau-Wiesen an der Hamburger Straße zwischen den Ortsteilen Ulzburg-Süd und Ulzburg. Die Bürgerinitiative HU-Transparent will eine totale Bebauung der Wiese, die seit etwa 50 Jahren im Besitz der Familie Manke ist, verhindern, um einen ihrer Ansicht nach wichtigen Grünzug in der Gemeinde zu bewahren. Die Firma Manke beruft sich auf einen rechtskräftigen Bebauungsplan und hat ihre eigene Planung diesem angepasst.

Als die Bürgerinitiative im vergangenen Jahr ein Bürgerbegehren beantragte, war man weder im Rathaus, noch in der Segeberger Kommunalaufsicht bereit, das schon weit vorangeschrittene Verfahren noch zu stoppen. Aber das Innenministerium in Kiel gab den Antragstellern recht und ließ das Bürgerbegehren zu. Die erforderlichen Unterschriften für das Bürgerbegehren wurden dem Bürgermeister übergeben, der Bürgerentscheid wurde für kommenden Sonntag anberaumt.

„CDU-Veteranen“ schalten große Anzeigen

Manke selbst wirbt mit Großplakaten
Manke selbst wirbt mit Großplakaten © Frank Knittermeier | Frank Knittermeier

Was zunächst wie ein Rohrkrepierer wirkte, weil die Materie vielen Henstedt-Ulzburger schlicht egal und darüber hinaus zu unverständlich erschien, hat inzwischen an Eigendynamik gewonnen. Das haben vor allem diejenigen vollbracht, die sich auf die Seite des Bauunternehmers gestellt haben. Während Manke selbst mit Großplakaten und im Internet für die eigene Sache wirbt, haben sich CDU-Politiker öffentlich auf die Unternehmer- seite geschlagen. Vor allem „CDU-Veteranen“, die eigentlich längst nichts mehr zu sagen haben, machen sich für Manke stark. Sie schalten großflächige Anzeigen in dem wöchentlich erscheinenden Werbeblatt „Umschau“ und fordern auf, am 11. Oktober mit „Nein“, also im Sinne von Manke, zu stimmen.

Interessant ist die Anzeige des früheren Bürgervorstehers und jetzigen Ortsbeauftragten für Naturschutz und Landschaftspflege der Gemeinde, Johannes Engelbrecht. Ausgerechnet er, der sich eigentlich für den Naturschutz starkmachen müsste, wirbt für eine Vollbebauung der Wiese. Diese Wiese, so behauptet Engelbrecht, habe weder einen Pinnaubezug noch eine besondere Bedeutung. Es könne eine Lücke zwischen den Ortsteilen Ulzburg und Ulzburg-Süd geschlossen werden, zudem würde der Penny-Markt dann nicht mehr „so allein auf der grünen Wiese stehen“. Es gibt Politiker im Ort, die zweifeln jetzt an Engelbrechts Kompetenz als Naturschutzbeauftragter – der BUND gehört dazu.

Mediale Aufbereitung erreicht Bürger

Was den früheren Bürgervorsteher bewogen hat, eine solche Anzeige im Sinne seines Parteifreundes Volker Manke aufzugeben, weiß er vermutlich allein. Aber erreicht hat er damit eine breite Aufmerksamkeit, die von der CDU geschürt wird. Fraktionsvorsitzender Dietmar Kahle, der sonst öffentlich eher selten in Erscheinung tritt, macht sich in einem Videospot via Internet für Manke stark. Zu sehen auf der CDU-Homepage und auf der CDU-Facebookseite.

Werbung für ein „Ja“ beim Bürgerentscheid in Henstedt-Ulzburg
Werbung für ein „Ja“ beim Bürgerentscheid in Henstedt-Ulzburg © Frank Knittermeier | Frank Knittermeier

Mit diesen multimedialen Auswüchsen von beiden Seiten haben die Auseinandersetzungen in Henstedt-Ulzburg eine neue Dimension erreicht. Seniorchef Volker Manke, der das Thema eigentlich kleinhalten wollte und auch nicht bereit war, mit dem Hamburger Abendblatt darüber zu sprechen, wird sich ob dieser ungewollten medialen Aufmerksamkeit vermutlich ärgern. Schuldlos ist er daran sicher nicht. Bisher uninteressierte Bürger dürften sich jetzt plötzlich brennend für das Thema „Bebauung der Pinnau-Wiesen“ interessieren.

Aber es gibt noch mehr Tummelplätze für interessierte Bürger, die sich einmischen wollen. Der Protest gegen die 380-kV-Leitung eint die Gemeinde. Hier ziehen alle an einem Strang: Sämtliche Ratsfraktionen, die Verwaltung und auch die politisch nicht orientierten Bürger wollen die Starkstromleitung quer durch den Ort und über das Areal des Waldkindergartens zusammen mit einem dazugehörigem Umspannwerk verhindern.

Stromtrasse ist weiteres „heißes Eisen“

Proteste-Plakat gegen die Starkstromtrasse
Proteste-Plakat gegen die Starkstromtrasse © Frank Knittermeier | Frank Knittermeier

Der Henstedt-Ulzburger Aufstand hat inzwischen Kreise gezogen: Das „Bündnis gegen die 380-kV-Leitung“ bündelt die Interessen und Meinungen der Gemeinden entlang der geplanten Trasse in Stormarn, Segeberg, Lübeck und Ostholstein. Unterschriften werden zurzeit in Henstedt-Ulzburg gesammelt, aber auch in den anderen Orten soll es zu Aktionen kommen. Das ZDF berichtete in einer Nachrichtensendung über die Proteste gegen die Leitung. Gefilmt wurde eine Unterschriftensammlung im Komplex des Rhener Einkaufszentrums und im Waldkindergarten. Energiewendeminister Robert Habeck reiste nach Hen­stedt-Ulzburg, um sich hier mit den Problemen zu befassen. Die geballten Proteste scheinen die Verantwortlichen zumindest zum Nachdenken anzuregen.

Bürgerentscheid: 23.000 Whalberechtigte

Die Bürger von Henstedt-Ulzburg haben am Sonntag, 11. Oktober, die Wahl. Beim Bürgerentscheid zur vierten Änderung des Bebauungsplanes Nr. 96 „Hofstelle Schacht – Kadener Chaussee (L 75)/Hamburger Straße (L 236)“ geht es um die Frage, wie viel Fläche der Pinnau-Wiesen bebaut werden darf.

In zehn Wahllokalen können die Wahlberechtigten von 8 bis 18 Uhr ihre Stimmen abgegeben. Die Benachrichtigungen mit der Angabe des Wahllokals sind zugestellt worden.

Das Ergebnis des Bürgerentscheides wird am Wahlabend direkt nach Schließung der Wahllokale ab 18 Uhr im Ratssaal des Rathauses öffentlich präsentiert, wobei die bei der Gemeindewahlleitung eingehenden Ergebnisse zeitgleich auf einer Großbildwand erscheinen.

Aus den zehn Wahllokalen wird mit ersten Ergebnissen ab 18.20 Uhr gerechnet. Ein vorläufiges Endergebnis erwartet Gemeindewahlleiter Joachim Gädigk gegen 19.30 Uhr.

Die laufend eingehenden Zwischenergebnisse und das vorläufige Endergebnis werden am Wahlabend auch auf der Homepage der Gemeinde (www.Henstedt-Ulzburg.de) veröffentlicht.

Abstimmen dürfen alle, die am 11. Oktober 16 Jahre alt sind. Die Anzahl der Wahlberechtigten liegt bei etwa 23.000.

Das Quorum liegt bei 16 Prozent: Von 23.000 Wahlberechtigten müssen mindestens 3680 Personen beim Bürgerentscheid mit Ja stimmen. Diese 3680 Ja-Stimmen müssen dann auch die Mehrheit der insgesamt abgegebenen Stimmen darstellen.

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Brandneu ist die Bürgerinitiative, die sich gegen das geplante Sportleistungszentrum an der Bürgermeister -Steenbock-Straße wehrt. Auch hier werden Unterschriften gesammelt, auch hier gibt es heftige Gegenwehr von Befürwortern des Sportzentrums. Ein Bürgerbegehren für die Herbeiführung eines Bürgerentscheides ist noch nicht in Sicht, kann aber sicher nicht ausgeschlossen werden. Sollte eine extra dafür gegründete Arbeitsgruppe auf der Suche nach Alternativstandorten fündig werden, kann es auch aus anderen Ecken des Ortes Proteste geben.

Wie sich Bürgerproteste ansonsten im Ort auswirken, ist vor allem in Ulzburger Kerngebiet zu beobachten: Ein ortsansässiger Investor hat seinem Ärger über eine verweigerte Baugenehmigung auf der Freifläche gegenüber vom Bahnhof per großflächigem Plakat Luft gemacht. In der Straße Kronskamp stehen in den Vorgärten immer noch Schilder, auf denen in teilweise beleidigender Weise über einen Investor hergezogen, der in dieser Straße ein mehrgeschossiges Haus gebaut hat. Der Kronskamp ist die Keimzelle für den Bürgerprotest gegen die Bebauung der Pinnau-Wiesen.