Boostedt. Dieter Könnecke und Karina Grün bauen die zentrale Logistik für die Versorgung der acht Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes auf.
Inzwischen melden sich die Lastwagenfahrer nur noch selten an. Sie liefern – Matratzen, Kinderbetten, Seife, Schränke, Stühle. „Wir brauchen jetzt zehn Mann zum Ausladen“, sagt Dieter Könnecke. „Jetzt!“ Bis vor wenigen Wochen saß der Beamte täglich an seinem Schreibtisch in der Polizeidirektion Bad Segeberg und kümmerte sich um die Verwaltung der Dienststelle. Diesen Job erledigt er jetzt außerdem nebenher am Handy. Doch seine neue Aufgabe ist wichtiger: Gemeinsam mit seiner Kollegin Karina Grün baut er in der einstigen Rantzau-Kaserne in Boostedt die zentrale Logistik für die Versorgung der acht Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes auf.
Mehrere 100.000 Euro aus der Landeskasse haben die beiden in den vergangenen Wochen bereits ausgegeben. In der still gelegten Panzerwerkstatt stapeln sich die Pakete, die von den Lastwagen angeliefert wurden. Die Bundeswehr stellt zwei Soldaten, die die Gabelstapler fahren. Gleich treffen weitere zehn Mann der Marine aus Kiel ein, die den nächsten Lkw entladen. Könneckes Bitte um schnelle Unterstützung ist angekommen.
Er und Karina Grün gehören zu einer Sondertruppe der Landespolizei, die gegründet wurde, als die Flüchtlingskrise mit dem Eintreffen der Züge aus Ungarn ihren ersten Höhepunkt erreichte und die Landesregierung erkannte, dass dieser Ansturm nur mit einer Kraftanstrengung zu bewältigen ist. „Besondere Aufbauorganisation Flüchtlinge Schleswig-Holstein“, kurz BAO. Eine Einheit im Polizeideutsch, die das Landesamt für Ausländerangelegenheit unterstützt. Landesweit sind 470 Polizeibeamte im Einsatz, um den Flüchtlingsansturm zu bewältigen – in Verwaltung, Logistik oder bei der Sicherung von Gebäuden.
Mit seinem Personalstand konnte das Landesamt den Zulauf nicht mehr bewältigen. Die Polizei wurde gefragt und bot Hilfe von Männern wie Könnecke an, der nebenher auch noch Ausschau nach neuen Unterkünften hält, das Landesamt berät und mit seiner Kollegin Handwerker und Reinigungspersonal anheuert.
„Eine BAO ist eine Sache für Sonderlagen“, sagt Frank Matthiesen, stellvertretender Leiter der Polizeidirektion Bad Segeberg, die seit Jahren nur knapp mit ihrem Personal auskommt.
Matthiesen spricht von einem Ausnahmezustand. Auch er weiß, dass niemand vorhersagen kann, wie viele Menschen noch kommen werden und ob aus der BAO möglicherweise eine Dauereinrichtung wird.
Warme Textilien gesucht
Fünf seiner Beamten und Angestellten hat seine Direktion für die BAO bereitstellen müssen. Hinzu kommen die Beamten, die aushelfen, wenn die Bereitschaftspolizei aus dem Aufnahmelager in Neumünster plötzlich wegen aktueller Einsätze abgerufen wird. Die Segeberger Direktion plant außerdem, bis zu 18 Polizisten rund um die Uhr für die Sicherung der Boostedter Unterkunft bereitzustellen. Weitere fünf sollen eingesetzt werden, wenn auf dem Gelände des Levo-Parks auf dem ehemaligen Bundeswehrgelände in Bad Segeberg eine Unterkunft für 800 Menschen entsteht.
Dieter Könnecke hat inzwischen 400 Überstunden angesammelt. Karina Grün, angestellt als Teilzeitkraft, schaltet auch abends noch den Computer ein, um Anfragen und Lieferungen von Material für Boostedt zu sichten. Am Sinn ihrer Arbeit zweifeln sie und Könnecke jedoch nicht. „Die meisten Menschen kommen nur mit einer Tragetasche, mehr haben sie nicht“, sagt er. „Sie sind freundlich und dankbar.“
Bislang hat das Rote Kreuz bis zu sechs Flüchtlinge in einem Kasernenzimmer einquartiert. Künftig werden es bis zu acht sein. Mehr als 1300 Menschen leben aktuell schon jetzt in dem Erstaufnahmelager, das ursprünglich nur für 500 vorgesehen war. Langfristig werden es bis zu 2000 Menschen sein, die auf dem früheren Militärgelände in der 4600-Einwohner-Gemeinde untergebracht sind und von dort auf die Kommunen des Landes verteilt werden. Elf Blöcke für jeweils 100 bis 120 Flüchtlinge sind bereits belegt, weitere vier kommen in dieser Woche hinzu.
Immer wieder kursiert auch die Zahl der 3000 Flüchtlingen für Boostedt, die jedoch offiziell nicht bestätigt wird. Bei dieser Größenordnung würden die Wohnblöcke für einst 2000 Soldaten nicht mehr ausreichen. Auf dem weitläufigen Gelände würden Containersiedlungen entstehen. Oder alte Werkstätten und Garagen müssten als Unterkunft hergerichtet werden.
Fast täglich werden neue Zimmer hergerichtet, mit Möbeln und Bettwäsche ausgestattet. „Jeder kriegt einen vernünftigen Platz“, sagt Polizeirat Jörg Rieckhof, eigentlich Leiter der Abteilung Einsatz in der Direktion und seit einer Woche Organisationschef in Boostedt. Die Kaserne wird außerdem in den kommenden Wochen mit einem medizinischen Versorgungszentrum, Kindergarten und Schule ausgestattet. Hinzu kommen Büros für Registrierung und Bearbeitung der Asylanträge. Um die Beschaffung von Computern kümmert sich ebenfalls die Polizei.
Überbelegung ist in Boostedt – im Unterschied zur Erstaufnahme im benachbarten Neumünster – kein Thema. Dass in der früheren Kaserne genug Platz vorhanden ist, hat nach Einschätzung der Polizisten bislang auch dazu geführt, dass es in Boostedt weder zu Prügeleien noch zu anderen Konflikten gekommen ist. „Hier ist die Situation polizeilich völlig entspannt“, sagt Rieckhof. Er hält nicht die Zahl der Bewohner für entscheidend für die Atmosphäre, sondern die Qualität der Unterbringung. Sollte kurzfristig der Ansturm der Neuankömmlinge in Schleswig-Holstein anwachsen, steht bei der Bundespolizei in Bad Bramstedt das „Camp Bad Bramstedt“ zur Verfügung. Die Sporthalle auf dem Gelände des Präsidiums steht für 100 bis 150 Flüchtlinge bereit, die dort für ein bis zwei Tage unterkommen können. Schon mehrfach war die Halle belegt.
Könnecke und Karina Grün haben auch mit der Telekom gesprochen. Demnächst stattet sie das Kasernengelände mit kostenfreiem WLAN aus. Was zunächst nach Luxus klingt, gehört für die Flüchtlingen zu den elementaren Bedürfnissen. Internet und Smartphone sind für viele die einzige Verbindung in die Heimat.