Norderstedt. 800 Flüchtlinge müssen bis Ende des Jahres untergebracht werden. Drei Container-Dörfer gebaut, Firmengebäude als Unterkunft geprüft

Dann stehen sie plötzlich vor dem Norderstedter Rathaus, am Ende einer langen, lebensgefährlichen Flucht, angekommen im Asyl in Deutschland. Etwa 15 Flüchtlinge waren es zuletzt jede Woche, demnächst werden es wohl bis zu 25 Menschen sein. Und wenn die Prognosen für den Herbst sich bewahrheiten, wird Norderstedt künftig wohl jede Woche an die 30 neue Flüchtlinge aufnehmen müssen. Die Lage spannt sich an.

Leer stehendes Haus in Harksheide: der Sozialausschuss-Vorsitzende Thomas Jäger spricht von Beschlagnahmung
Leer stehendes Haus in Harksheide: der Sozialausschuss-Vorsitzende Thomas Jäger spricht von Beschlagnahmung © HA | Andreas Burgmayer

„Ursprünglich waren wir von 485 Menschen ausgegangen, die wir bis Jahresende aufnehmen müssen“, sagt Norderstedts Sozialdezernentin Anette Reinders. „Jetzt rechnen wir mit 620 Flüchtlingen.“ Wie genau sich die Zahlen entwickeln werden, sei schwer abzusehen. „Es staut sich derzeit bei der Registrierung der Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen“, sagt Reinders. Laut dem Innenministerium in Kiel kamen bis Ende August 12.000 Flüchtlinge nach Schleswig-Holstein. Im gleichen Zeitraum im Vorjahr waren es nur 4637 Menschen gewesen. Hochrechnungen des Landes gehen von bis 25.000 Flüchtlingen bis zum Jahresende aus. Für den Kreis Segeberg würde das bedeuten, das monatlich bis zu 1000 Menschen untergebracht werden müssten. Bis Jahresende könnten es in Norderstedt als durchaus bis zu 800 Flüchtlinge sein.

Es müssen Wohncontainer her

„Was die Unterbringung angeht, sind wir in Norderstedt immer noch gut davor. Aber es wird langsam eng“, sagt Reinders. Alle Belegungskapazitäten in den bestehenden Unterkünften seien ausgeschöpft. „Das wollten wir bisher vermeiden, um Rücksicht auf die schwere Lebenssituation der Menschen zu nehmen. Aber wir werden jetzt kurzfristig jeden Platz benötigen.“

Wurde als Unterkunft geprüft: Die ehemalige C.A.R.U.S.-Firmenzentrale am Bornbarch, die seit Jahren leer steht
Wurde als Unterkunft geprüft: Die ehemalige C.A.R.U.S.-Firmenzentrale am Bornbarch, die seit Jahren leer steht © HA | Andreas Burgmayer

Die Suche nach neuen Unterbringungsmöglichkeiten für die Menschen wird von Tag zu Tag dringlicher. Norderstedt will die Flüchtlinge nicht in Zeltdörfer oder Turnhallen stecken. Die Stadt setzt auf die Errichtung von Container-Dörfern, um den Menschen ein Minimum an Wohnkomfort zu bieten. Über neue Standorte für Wohn-Container hält sich die Sozialdezernentin bedeckt: „Darüber spreche ich zuerst mit der Kommunalpolitik in nichtöffentlicher Sitzung.“ Nach Informationen des Abendblattes hat die Verwaltung drei ganz konkrete Standorte im Auge. Zum einen sollen neben den Schlichtwohnungen am Buchenweg neue Container aufgestellt werden. Insgesamt würden dann am Buchenweg bis zu 400 Menschen eine Bleibe finden. Im Bereich des Müllberges an der Oadby-and-Wigston-Straße will die Stadt ein weiteres Container-Dorf für bis zu 400 Menschen aufbauen. Als Wohncontainer-Standort für bis zu 150 Flüchtlinge ist eine Wiese am Ende der Sackgasse Wildes Moor in Harksheide im Gespräch.

Auf einer Wiese am Wilden Moor könnten 400 Flüchtlinge in Wohn-Containern unterkommen
Auf einer Wiese am Wilden Moor könnten 400 Flüchtlinge in Wohn-Containern unterkommen © HA | Andreas Burgmayer

Die beschriebenen Standorte sind allesamt im Eigentum der Stadt, sie geben baurechtlich die Aufstellung der Container her und könnten selbst gegen Widerstände von Anliegern durchgesetzt werden. Um der steigenden Flüchtlingszahlen Herr zu werden, sind sie wohl alternativlos in den Planungen der Stadt. Denn langsam aber sicher gehen Norderstedt die infrage kommenden Flächen aus. „Wir können dann eigentlich nur die noch bestehende Baugebiete wie das Garstedter Dreieck oder den Frederikspark bebauen“, sagt Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote. „Doch dann nehmen wir uns die Möglichkeit, Wohnraum für die zukünftige Unterbringung zu errichten.“ Grote möchte Asyle auf der ganz grünen Wiese bauen, also auf Grundstücken, auf denen keinerlei Baurecht besteht. Angesichts der Lage müsse dies rechtlich möglich gemacht werden.

Leer stehende Häuser sollen genutzt werden

Immer mehr in den Fokus geraten auch die leer stehenden Immobilien in Norderstedt. Laut Abendblatt-Informationen hat sich die Stadt ausführlich mit dem ehemaligen Verwaltungsgebäude der Firma Daramic (früher Grace) am Erlengang beschäftigt. Ein augenscheinlich gut für die Unterbringung umbaubares Gebäude für bis zu 300 Menschen. Es steht seit Jahren leer, wird von einem Immobilienmakler als Bürofläche angeboten. Über den Kauf oder die Anmietung des Gebäudes herrscht Uneinigkeit in der Norderstedter Verwaltung. Während die Immobilie als geeignet eingestuft wird, gibt es Bedenken gegen den Standort in Friedrichsgabe. Der Stadtteil ist durch die Unterkünfte an der Lawaetzstraße und an der Ulzburger Straße schon ausgelastet. Von manchen Bürgern dort wird es als ungerecht angesehen, dass zum Beispiel in Garstedt bislang noch überhaupt keine Unterkünfte entstanden sind.

Wurde als Unterkunft geprüft: das leer stehende, ehemalige Grace-Verwaltungsgebäude in Friedrichsgabe
Wurde als Unterkunft geprüft: das leer stehende, ehemalige Grace-Verwaltungsgebäude in Friedrichsgabe © HA | Andreas Burgmayer

Dort stand allerdings im Gewerbegebiet Nettelkrögen die seit mehreren Jahren leer stehende, ehemalige C.A.R.U.S.-Zentrale im Fokus der Verwaltung. Doch eine mögliche Unterbringung von Flüchtlingen scheitere hier wohl am Bebauungsplan, der Wohnen nicht vorsieht. Außerdem sind die Eigentümer des Gebäudes wohl mehrheitlich gegen die Nutzung als Flüchtlingsunterkunft. Derzeit wird das Gebäude als potenzielle Firmenzentrale von einem Makler angeboten.

Thomas Jäger, Vorsitzender des Sozialausschusses, zielt bei der Unterbringung der Flüchtlinge nicht nur auf Bürogebäude. „Es gibt im gesamten Stadtgebiet viele leer stehende Privathäuser. Ich hätte keine Probleme damit, diese für die Unterbringung von Flüchtlingen durch die Stadt beschlagnehmen zu lassen.“

Jäger nimmt sich aktuell ein Beispiel an Tübingens grünem Oberbürgermeister Boris Palmer. Der lässt den Leerstand in der baden-württembergischen Universitätsstadt durch seine Verwaltung ermitteln, spricht die Eigentümer an und droht notfalls mit der Beschlagnahmung nach Polizeigesetz, wenn er auf zu viel Gegenwehr stößt.

„Ich lebe am Schulweg. In meiner Nachbarschaft steht an der Harckesheyde seit Jahren ein schönes Rotklinkerhaus leer. Das können wir uns als Stadt nicht leisten, wenn gleichzeitig Menschen auf der Straße stehen und eine Bleibe suchen“, sagt Jäger.