Norderstedt. Das stellen die Verkehrsgesellschaften fest. Die Busfahrer lernen, wie sie brenzlige Situationen vermeiden und entschärfen können

„Die meisten Fahrgäste sind friedlich. Doch insgesamt nimmt die Aggressivität zu.“ So fasst Anneliese Kasten zusammen, was sie als Busfahrerin erlebt. Sie fährt für die Verkehrsbetriebe Hamburg Holstein (VHH), die im Jahr mehr als 100 Millionen Fahrgäste befördern. Täglich nutzen auch viele Menschen aus Norderstedt und Umgebung die Busse. Da kann es gut sein, dass Anneliese Kasten am Steuer sitzt. Sie fährt für die VHH und macht regelmäßig Station am ZOB in Norderstedt-Mitte.

Die Busfahrerin stellt fest, dass die Menschen sich schnell aufregten, sie beschimpften, wenn der Bus verspätet kommt, sie ihren Anschlussbus verpassen. Von der Messerattacke auf einen Busfahrer in Harburg habe sie nichts erfahren. Am Sonntag, 2. August, wurde ein Busfahrer Opfer einer brutalen Messerattacke. Ein Unbekannter hatte den Fahrer mittags um 12 Uhr auf dem Weg zur Personaltoilette am ZOB in Harburg von hinten mit einem Messer angegriffen. Dabei erlitt der 46-Jährige Stichverletzungen an Hals und Rücken. Eine derartige Brutalität hat Anneliese Kasten bisher nicht erlebt. „Es soll mal ein Kollege mit einer Waffe bedroht worden sein, aber das ist mindestens acht Jahre her“, sagt Anneliese Kasten. Aggressivität zeige sich eher nachts, sie fahre tagsüber.

Doch auch da stellt sie fest: Die Menschen seien weniger entspannt als früher. „Da muss ich mir dann auch schon mal Worte gefallen lassen, die ich hier lieber nicht wiedergeben möchte“, sagt die Busfahrerin, die in solchen Fällen von ihrem vorigen Beruf als Taxifahrerin profitiert und da auch ihr Rezept gefunden hat: ruhig bleiben. „Lassen sie mich doch erstmal erklären, warum ich nicht pünktlich kommen konnte“ oder „Kommen sie doch erstmal rein“ – das sind Sätze, mit denen die Busfahrerin wütenden Fahrgästen den Dampf nimmt. Ihr Ventil ist das, was ihren „Gegnern“ in diesem Moment fehlt: Ruhe und Gelassenheit, zumindest nach außen. Sie setzt auf Deeskalation und Menschenkenntnis, auch die Typologie der Fahrgäste hat sie am Steuer ihres Taxis kennengelernt.

Wenn Anneliese Kasten am Wochenende Frühschicht fährt, steigen schon mal „Restalkoholiker“ ein – Menschen, die nach einer durchzechten Nacht nach Hause wollen. Doch mit einem freundlichen „Benehmt euch, sonst gibt’s Ärger“ nimmt sie solchen Mitfahrern von vornherein den Wind aus den Segeln. „Da habe ich als Frau in Uniform offenbar einen Sonderstatus. Wenn sie mich so sehen, reißen sich die Zecher meist zusammen“, sagt die Busfahrerin, die vor wenigen Tagen eine ungewöhnlich brenzlige Situation meistern musste.

Der Bus war voll besetzt, Anneliese Kasten stieg an der Haltestelle am Norderstedter Stadtpark aus, um einem Mann mit Rad zu sagen, dass er zwar mitfahren könne, sein Rad aber dort anschließen müsse. Als sie einen Radler im Bus aufforderte, sein Rad ebenfalls auszuladen und an der Haltestelle zu lassen, sei der Mann ausgerastet. „Er hat mich verbal bedroht, wollte mich fertig machen“, sagt die Busfahrerin, der dann doch etwas mulimig wurde, denn: Der Mann habe so einen Tunnelblick gehabt, möglicherweise Drogen genommen. „Das macht die Menschen unberechenbar“, sagt Anneliese Kasten. Doch sie hatte Glück, ein Fahrgast brachte den aggressiven Passagier schließlich dazu auszusteigen.

Die Busfahrer werden regelmäßig geschult, da steht auch Deeskalationstraining auf dem Programm. „Unsere Fahrer lernen, wie sie mit kniffligen Situationen und schwierigen Fahrgästen umgehen“, sagt Martin Beckmann, Sprecher der VHH, die den Fahrern viel Handlungsspielraum zubillige. Sie könnten weitgehend aus der Situation heraus entscheiden und beispielsweise auch mal Wartenden die Bustür vor der Nase schließen, wenn sie den Eindruck haben, dass von den potenziellen Fahrgästen Randale droht.

Wenn alle psychologischen Tricks scheitern, können die Fahrer den Notrufknopf drücken. Dann sind sie automatisch mit der Leitstelle der VHH verbunden, die rund um die Uhr besetzt ist. Der dortige Disponent, der die Einsätze der Busse steuert, hört 30 Sekunden lang mit und sieht, wo der Bus gerade unterwegs ist. Der Busfahrer kann gezielt Informationen absetzen. Im Extremfall alarmiert der Mitarbeiter der Leitstelle die Polizei, was, so Beckmann, äußerst selten vorkommt. Im Bus tabu sind offene Wein- , Bier- und Schnapsflaschen. Darauf machten die Fahrer die Fahrgäste aufmerksam. Weigern die sich darauf zu verzichten, müssen sie draußen bleiben. Zudem sind in jedem Bus je nach Größe vier bis sechs Videokameras installiert. „Wir selbst können die Aufnahmen nicht auswerten, stellen sie aber der Polizei bei Straftaten zur Verfügung“, sagt Beckmann.

„Beschimpft, beleidigt, bedroht – für Busfahrer der Busgesellschaften der Deutschen Bahn ist das leider teilweise Arbeitsalltag“, sagt Egbert Meyer-Lovis, Sprecher der Deutschen Bahn, die auch die Busse der Autokraft betreibt und im Kreis Segeberg 40 Linien bedient. Auch wenn die große Mehrheit der Fahrgäste nach wie vor friedlich sei, komme es durchaus zu verbalen oder tätlichen Angriffen gegen Busfahrer.

Deshalb biete DB Regio Bus ihren Fahrern spezielle Schulungen. In Deeskalationskursen übten die Busfahrer, aggressive Fahrgäste einzuschätzen, Gefahrensituationen zu erkennen und sie frühzeitig zu verhindern oder zu entschärfen. „Kommunikationsgeschick, ein selbstbewusstes Auftreten und nicht zuletzt ein Gespür für Menschen sind gefordert“, sagt Meyer-Lovis. Mimik, Gestik und Blickkontakt spielten eine entscheidende Rolle.

„Es gibt durchaus Einzelfälle, im polizeilichen Alltag spielt Gewalt gegen Busfahrer kaum eine Rolle“, sagt Silke Westphal, Sprecherin der Segeberger Polizei. Ihr Abfrage unter den Kollegen habe einen aktuellen Fall ergeben: Am 7. August wurde ein Busfahrer in Schenefeld bespuckt und hat Anzeige wegen Körperverletzung gestellt.