Oering. Gemeinde Oering verteilt Fragebogen. Sie will mit den Bürgern ein Netzwerk aufbauen, um die Nahversorgung sicherzustellen.
Erst schließt vielleicht ein Arzt seine Praxis, dann gibt der Optiker auf, schließlich auch der kleine Supermarkt. Und Bankfilialen gibt es sowieso immer weniger. In den ländlichen Gebieten des Kreises Segeberg ist in den vergangenen Jahren zunehmend zu beobachten, wie das Angebot der Nahversorgung schrumpft. Das heißt: Wer nicht mobil ist, muss seinen Tagesrhythmus entweder nach dem Busfahrplan richten oder ist auf Hilfe von Familien, Freunden und Nachbarn angewiesen. Betroffen sind in der Regel ältere Menschen. Die Gemeinde Oering (1300 Einwohner) will diesem Problem nun mit einer neuen Initiative begegnen und setzt dabei auf die Mitarbeit ihrer Bürger. An alle 566 Haushalte wurde nun ein Fragebogen verteilt, der wertvolle Erkenntnisse bringen soll.
Das Ziel: Über lokal organisierte, ehrenamtliche Mitfahrzentralen soll ein Netzwerk von Fahrern und Mitfahrern etabliert werden, die regelmäßige Touren – Supermärkte, Behördengänge, Arztbesuche – gemeinsam haben, es bisher aber vielleicht nicht wussten.
„Oering hat ein Problem, was die Nahversorgung betrifft“
Zweiter Punkt wäre eine Tauschbörse von kleinen Dienstleistungen in der Nachbarschaft. Dass es hierfür grundsätzlich einen Bedarf gibt, hat sich seit November vergangenen Jahres während der Workshops zum Dorfentwicklungskonzept „Oering 2025“ herausgestellt. Deswegen wurde eine sechsköpfige Arbeitsgruppe „Bürger für Bürger – Mobilität, Nachbarschaftshilfe, Tauschbörse“ gebildet, die auch den Fragebogen konzipierte. „Oering hat ein Problem, was die Nahversorgung betrifft. Wir haben hier keinen Edeka, keine Bank, keinen Arzt und keine Apotheke“, sagt Klaus Eisenbeisz, Mitglied der AG und zugleich Vorsitzender des Seniorenbeirats. Er konstatiert: „Es ist schwierig, sich mit allem Notwendigen auszustatten, ohne dass man aus dem Ort raus muss. Denn der ÖPNV-Fahrplan ist sehr mager.“
Ein Beispiel: Wer an einem Mittwochvormittag in den Sommerferien von Oering nach Bad Segeberg möchte und auf den Bus angewiesen ist, bekommt über das Onlineportal „nah.sh“ der Deutschen Bahn – das Verkehrsunternehmen Autokraft ist eine Tochtergesellschaft – unbefriedigende Optionen angezeigt. Eine Fahrt würde um 6.46 Uhr beginnen und 43 Minuten dauern, an der B 432 müsste von der Linie 7980 auf den 7550er-Bus umgestiegen werden. Die nächsten Möglichkeiten ergäbe sich jedoch erst um 14.04 Uhr (Dauer: 1 Stunde 17 Minuten) sowie um 15.07 Uhr (1 Stunde 52 Minuten). Zu hoffen, dass der Fahrplan extra für Dörfer erweitert wird, ist illusorisch, denn quantitativ gesehen gibt es nicht ausreichend Fahrgäste, damit sich dies für die Autokraft rentieren würde.
Daher setzt die Gemeinde Oering auf Eigeninitiative. Der Fragebogen bittet beim Punkt „Mobilität“ um realistische Einschätzungen, wer wie oft welche Fahrangebote benötigen würde – ob nun nach Nahe, Itzstedt, Bad Segeberg, Kaltenkirchen oder Henstedt-Ulzburg.
Zur Auswahl stehen auch vier konkrete Vorschläge: ein Bürgerbus, private Fahrer aus Oering, ein Seniorentaxi und eine Online-Mitfahrbörse (www.flinc.de). Dazu sollen Bürger sagen, ob sie gegebenenfalls selbst mit ihrem Auto zur Verfügung stehen würden. Unter „Tauschbörse/Nachbarschaftshilfe“ wird gefragt, ob eine Unterstützung bei Tätigkeiten wie Einkaufen, Gassigehen, Gartenarbeit nötig sei – gleiches gilt für Kinder- und Seniorenbetreuung sowie Begleitung bei Behördengängen und Arztterminen. Dabei steht jeweils eine Skala von 1 bis 5 zur Verfügung.
Im Laufe des zweiten Halbjahres sollen die ersten Ideen vorgestellt werden
Bis zum 31. August sollen die Bögen ausgefüllt zurückgegeben werden. „Die Bedürfnisse müssen konkretisiert werden“, sagt Klaus Eisenbeisz, „nur dann können wir vernünftige Lösungen erarbeiten. Im Laufe des zweiten Halbjahres wollen wir die ersten Ideen in der Gemeindevertretung vorstellen. Was dann in welchem Umfang umgesetzt wird, hängt auch mit den Kosten zusammen.“
Ob nun von Bürgern gemanagte Mitfahrzentralen, Online-Tauschbörsen für Dienstleistungen oder Schwarze Bretter in der Nachbarschaft, beim Kreis Segeberg werden die Ideen aus Oering gern gesehen. „Der Kreis hat ein großes Interesse daran, dass die Nahversorgung im ländlichen Raum sichergestellt ist“, sagt Landrat Jan Peter Schröder. „Wir versuchen, mit dem ÖPNV flächendeckend zu sein, aber je kleiner der Ort ist, desto schwieriger ist es.“ Unter dem Arbeitstitel „Segeberg 2030“ treffen sich seit Herbst 2014 regelmäßig mehrere Gremien – darunter auch zum Thema „ÖPNV/Mobilität“. Am Tisch sitzen dann Kreispolitiker, kommunale Vertreter, Vereine, Verbände und Ärzte. Und tatsächlich zählt zu den Denkmodellen auch ein kreisweites Mitnahmeportal. Ein Vorbild könnte das Pilotprojekt „Mobilfalt.de“ sein, das in drei hessischen Landkreisen bereits erfolgreich getestet wird. Im Laufe der zweiten Jahreshälfte könnten die Segeberger Pläne konkreter werden.
„Es geht um die Frage: Wer nimmt mich mit, wenn ich von Bad Segeberg nach Kaltenkirchen möchte und um 11 Uhr da sein muss?“, so Schröder, der aber auch einschränkt: „Edeka oder Aldi haben bestimmte Vorgaben, damit sich eine Filiale rechnen kann. Gleiches gilt für Ärzte. Das wird sich nicht mehr ändern lassen. Wir werden auch über ein System wie Telemedizin reden müssen.“
Aufgrund der infrastrukturellen Unterschiede im Kreis erwartet die Verwaltung auch Unterschiede hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung. „Norderstedt, Kaltenkirchen oder Henstedt-Ulzburg bekommen weiter Zuwachs, aber im Ostkreis wird es schwierig sein“, sagt Schröder
Dass sich wie in Ostdeutschland ganze Landstriche radikal verändern, erwartet der frühere Geschäftsführer des mecklenburgischen Landkreistages allerdings nicht. „Die Situation in den neuen Bundesländern ist eine andere. Dort veröden Dörfer – es ist gesellschaftlich ein Riesenproblem, wenn die jungen Menschen wegziehen.“