Norderstedt. Das Wundgel Octenisept gehört zum Konzept, mit dem das Unternehmen Schülke & Mayr gefährliche Krankenhauskeime bekämpft.

Insider sprechen nur vom Molekül. Das heißt Octenidin und ist ein wesentlicher Baustein im Kampf gegen multiresistente Erreger. 1980 haben die Forscher des Norderstedter Unter­nehmens Schülke & Mayr die chemische Verbindung entwickelt. Seit einigen Monaten steht sie wieder hoch im Kurs, passt sie doch ideal zum Zehn-Punkte-Plan, mit dem Bundesgesundheitsminister Herrmann Gröhe (CDU) die gefährlichen Krankenhauskeime bekämpfen will. Herkömmliche Antibiotika wirken nicht mehr gegen die Bakterien, die tödliche Infektionen hervorrufen können. 400.000 bis 600.000 Menschen in Deutschland infizieren sich laut Bundesgesundheitsministerium jedes Jahr mit den Erregern, 10.000 bis 15.000 sterben. Und die Zahl steigt durch zunehmend ältere und damit anfälligere Patienten, die Zunahme komplizierter Eingriffe sowie die wachsende Zahl gefährlicher Erreger.

Die Effizienz der Produkte wird durch wissenschaftliche Studien untermauert

Genau da kommt eine Produktgruppe ins Spiel, die schon seit Langem zu den Umsatzgaranten von Schülke & Mayr zählt. Die Artikel haben allesamt den Vornamen Octeni: Bekanntester Vertreter ist Octenisept, ein Arzneimittel zur Wund-Desinfektion. Mehr als drei Millionen Fläschchen pro Jahr verlassen das Unternehmen, das seine Heimat im Norderstedter Gewerbegebiet Glashütte hat, nicht weit von der Grenze zu Hamburg. Das Octenisept-Wundgel, das in Apotheken zu kaufen und in vielen Hausapotheke zu finden ist, hat sich zum aktuellen Erfolgsprodukt entwickelt.

Vertriebsleiter Lars Lemke vor dem Firmengebäude von Schülke & Mayr im Gewerbegebiet Glashütte, das mehrfach erweitert wurde
Vertriebsleiter Lars Lemke vor dem Firmengebäude von Schülke & Mayr im Gewerbegebiet Glashütte, das mehrfach erweitert wurde © Michael Schick | Michael Schick

Natürlich produzieren die Mitarbeiter zuallererst für den professionellen Gebrauch. „Immer wenn es darum geht, Menschen vor Viren und Keimen zu schützen oder sie davon zu befreien, sind wir im Boot“, sagt Vertriebsleiter Lars Lemke. Bei der Wundantiseptik im Klinikbereich ist Schülke & Mayr in den deutschsprachigen Ländern Marktführer. Die Norderstedter Hygieniker haben ein Gesamtkonzept zur Prävention und antibiotikafreien Dekontamination entwickelt. Die Palette unter der Dachmarke Octenisan umfasst Nasengel, Waschlotion, Waschhandschuhe und eine Waschhaube für Kopf und Haare, hinzu kommt die Mundspüllösung Octenidol.

Durch den Einsatz der Norderstedter Mittel können die Kliniken Geld sparen

Die Produkte werden schon seit Langem im Klinikalltag eingesetzt, die Effizienz wird durch wissenschaftliche Studien untermauert. Da arbeitet Schülke & Mayr mit führenden Hygienikern zusammen. „Wir gehen davon aus, dass Kliniken durch den rechtzeitigen, präventiven und fachkundigen Einsatz unserer Mittel Patienten vor Infektionen schützen und darüber hinaus Kosten einsparen können, weil die Patienten weniger häufig auf Isolierstationen verlegt werden müssen“, sagt Lemke.

In diesem Jahr feiert Octenisept, das Deutschlands Apotheker 2001 mit dem Prädikat „Medikament des Jahres“ ausgezeichnet haben, seinen 25. Geburtstag. Mit dem beliebten Mittel, das auf Jod verzichtet und nicht auf der Haut brennt, setzt das Unternehmen seine Erfolgsgeschichte fort.

Mitarbeiterin Elvira Jenei überwacht bei Schülke & Mayr die Produktionskette. 220 Tonnen verlassen das Unternehmen  täglich per Lkw
Mitarbeiterin Elvira Jenei überwacht bei Schülke & Mayr die Produktionskette. 220 Tonnen verlassen das Unternehmen täglich per Lkw © Michael Schick | Michael Schick

Die begann 1886, als der Schiffskapitän Rudolf Schülke und der Amsterdamer Kaufmann Julius Mayr die erste auf Desinfektionsmittel spezialisierte Firma gründeten. Die Gründer starteten mit einem Produkt, das sich zum lukrativen Dauerbrenner entwickelte: Lysol. Das erste Marken-Desinfektionsmittel der Welt bewies nur drei Jahre nach seiner Erfindung seine Wirksamkeit und bewährte sich im Kampf gegen die Cholera-Epidemie in Hamburg. Noch im selben Jahr begann der Export in die ganze Welt, überall dorthin, wo sich Seuchen ausbreiteten.

Die beiden Pioniere stellten auch in den Folgejahren ihre Innovationskraft unter Beweis: 1913 brachten sie Sagrotan auf den Markt, das erste Desinfektionsmittel für den Hausgebrauch, das mittlerweile nicht mehr zum Unternehmen gehört. 1925, noch immer in der Hamburger Firmenwiege, beschloss der Aufsichtsrat der 1913 zur Aktiengesellschaft umgewandelten Firma, die Tochter Hinds Comp. zu gründen. Über den Ableger wurden vornehmlich Kosmetika und Körperpflegemittel vertrieben.

Vom Familienbetrieb führte der Weg bis zum internationalen Marktführer

Bis heute stehen die Zeichen auf Expansion, immer wieder setzten die Entwickler mit Produkten wie Parmetol (erstes Konservierungsmittel für Lacke und Farben), Euxyl (für den Kosmetikmarkt) und eben Octenisept Meilensteine. Der Geschäftserfolg ruht in Tresoren. 250 gut gehütete Formeln und mehr als 200 weltweite Patente garantieren die Existenz des Unternehmens, das sich von einem Familienbetrieb zum internationalen Marktführer gemausert hat. 220 Tonnen täglich verlassen via Lkw das rund 40.000 Qua­dratmeter große Firmengelände, 130 Tonnen gehen in den nationalen Versand, der Rest ins Ausland. „Ein Großteil unserer Produktpalette wird hier hergestellt“, sagt Lemke.

Die Zahl der Mitarbeiter ist auf rund 900 gewachsen, rund 650 davon arbeiten im Norderstedter Stammhaus. Im Vorjahr hat Schülke & Mayr 240 Millionen Euro umgesetzt.

Die Firmengeschichte ist geprägt von wechselnden Eigentumsverhältnissen, Neugründungen und Auflösungen. Lange stand das Fabrikgebäude in Hamburg-Winterhude, produziert wurde im heutigen Goldbekhaus. 1963 zog das Unternehmen nach Norderstedt, 1982 trennte die Geschäftsleitung Verwaltung und Herstellung, die Bürokratie zog an die Heidbergstraße. Als 1996 der französische Konzern Air Liquide das Unternehmen übernahm, rückten die Firmenteile wieder zusammen. 1997 legte Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) den Grundstein für das neue Gebäude im Gewerbegebiet Glashütte, 1998 zogen die Mitarbeiter um. Ende 2009 wurde das neue Logistikzentrum eingeweiht.

Hauptgeschäft sind Hygiene und Desinfektion. Doch Wirkstoffe von Schülke & Mayr finden sich auch in Kosmetika, in Beton und im Diesel – auch im Kraftstoff bekämpfen sie mögliche Keime. Nicht nur die Produktpalette wurde kontinuierlich erweitert, auch geografisch weitete Schülke & Mayr seine Aktivitäten aus, heute hat das Unternehmen Standorte in China, Italien, Polen, Tschechien, Malaysia, der Schweiz, USA, Frankreich, Niederlanden, Singapur, Indien, Aus­tralien, Großbritannien und Österreich.

Durch Firmenübernahmen wurde die Präsenz in Osteuropa ausgebaut

Zum Beginn des Vorjahres übernahm das Unternehmen die Firma Merz Hygiene GmbH in Frankfurt, wo der Schwerpunkt auf der Desinfektion von Instrumenten liegt. In diesem Jahr übernahmen die Norderstedter die tschechische Firma Bochemie und bauten dadurch ihre Präsenz in Osteuropa aus. Auch Healthcare Antisepsis Solutions gehört seit diesem Jahr zum Unternehmen – die ehemalige Ethicon-Tochter ist spezialisiert auf die Hände- und Hautdesinfektion, vor allem in Krankenhäusern in Asien und Australien und kann Schülke & Mayr optimal im Kampf gegen die Krankenhauskeime unterstützen.

Die resistenten Erreger

Die meisten Keime, die Infektionen in Kliniken verursachen, sind normalerweise harmlos – Bakterien, mit denen viele Menschen besiedelt sind. Für immungeschwächte Menschen können sie zur Gefahr werden. Etwa 90 Prozent der Infektionen rühren von Keimen her, die mit einem Antibiotikum wirksam bekämpft werden können.

Problematisch sind Erreger, die durch gehäuften Einsatz von Antibiotika in der Tiermast, aber auch bei Menschen Resistenzen gegen mehrere Klassen von Antibiotika entwickeln. Die Entwicklung neuer Antibiotika hinkt hinterher. ms

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