Norderstedt. Alnatura zählt zu den Marktführern und wird am Schmuggelstieg den ersten Supermarkt in Schleswig-Holstein eröffnen
Immer mehr Menschen entscheiden sich für Bio. Einer Umfrage des Instituts TNS Emnid zufolge kauft jeder fünfte Bundesbürger regelmäßig Bio-Produkte. Das sind sechs Prozent mehr als im Jahr 2005 – ein Trend, der sich auch in Norderstedt niederschlägt. Alnatura wird in der Stadt eine Filiale eröffnen und damit zugleich erstmals schleswig-holsteinischen Boden betreten. Der Alnatura Super Natur Markt wird im Einkaufszentrum Schmuggelstieg gebaut. Im Neubau an der Straße Am Tarpenufer sind 594 Quadratmeter Verkaufsfläche geplant.
„Wir wollen den neuen Markt Mitte Mai 2016 eröffnen, wenn der Bau weiter wie geplant voranschreitet“, sagt Constanze Klengel, Sprecherin der Naturkost-Kette, die ihren Firmensitz in Bickenbach südlich von Darmstadt hat, bundesweit knapp 100 Filialen betreibt und ihre Artikel auch über Handelspartner wie dm-Drogeriemärkte und Budnikowsky vertreibt. Mit dem neuen Standort in Norderstedt öffnet Alnatura das Tor nach Schleswig-Holstein, weitere Naturkost-Märkte in Kiel, Lübeck, Oldenburg und Flensburg sind geplant.
„Wir haben uns für Norderstedt entschieden, weil die Marktrecherchen unserer Expansionsabteilung ergeben haben, dass mit gut 77.000 Einwohnern ausreichend Kundenpotenzial vorhanden ist“, sagt die Unternehmenssprecherin. Und die Stadt werde weiter wachsen, Hamburger ziehen hierher, sodass in der Stadt viele junge Familien mit Kindern und somit ein bioaffines Publikum lebe. Alnatura sei es wichtig, auch die Bevölkerung im Hamburger Umland mit Bio-Produkten zu versorgen und sich nicht nur auf die Metropole zu konzentrieren.
Der zweite große Naturkost-Anbieter hingegen macht einen Bogen um Norderstedt: „In der Stadt ist zurzeit kein Standort geplant“, sagt Antje Müller von Denn’s. Das Unternehmen ist im Unterschied zu Alnatura auch schon im Norden vertreten und betreibt Filialen in Henstedt-Ulzburg, in Pinneberg und in Elmshorn.
Doch nicht nur die Spezialisten haben das gewinnbringende Marktsegment entdeckt. Auch die Einkaufsmärkte und Discounter haben ihre Bio-Ecken in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgeweitet.
„Wir verzeichnen in unseren Rewe- und Penny-Märkten seit Jahren eine wachsende Nachfrage nach biologisch erzeugten Lebensmitteln“, sagt Thomas Bonrath, Sprecher der Rewe Markt GmbH, die von der Niederlassung in Norderstedt die Märkte im gesamten Norden beliefert.
Schon 1988 habe das Unternehmen Produkte aus kontrolliert biologischem Landbau unter der nationalen Eigenmarke „Füllhorn“ angeboten und sei damit der erste große Einzelhändler in der Branche gewesen. Das Bio-Sortiment umfasse derzeit rund 440 Produkte mit 70 Obst- und Gemüsewaren, die bundesweit in nahezu allen 3300 Rewe-Märkten erhältlich seien. In den Denn’s-Filialen finden die Kunden rund 5000 Produkte; nicht nur Lebensmittel, sondern auch Naturkosmetik, Waschmittel und Textilien. In den Regalen der Alnatura-Märkte liegen 6000 Artikel, 1200 davon entfallen auf den Lebensmittel-Bereich. Aldi Nord hat sein Bio-Sortiment gerade auf mehr als 50 Artikel erweitert.
Aldi Nord reagiere damit auf „veränderte Konsum- und Ernährungsgewohnheiten von Verbrauchern in Deutschland“, so das Unternehmen. Die deutschen Haushalte gaben nach Berechnungen des Arbeitskreises Biomarkt 2014 fast acht Milliarden Euro für Bio-Lebensmittel und -Getränke aus, 4,8 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Deutschland ist so nach den USA der zweitgrößte Biomarkt der Welt.
Doch die neue Lust auf Bio hat auch ihre Schattenseiten. Während die Großen ihre Umsätze kontinuierlich steigern, bleiben die Kleinen auf der Strecke. Der Naturkostladen Jahreszeiten an der Ulzburger Straße hat geschlossen. „Meine Verkaufsfläche war zu klein, ich konnte nicht genug Vielfalt anbieten“, sagt Esther Eybächer, die das Fachgeschäft am Nachbarschaftszentrum neben der Eisdiele betrieben hat, seit 15 Jahren und mit viel Herzblut, wie sie sagt. Auf 125 Quadratmetern hat die Kauffrau mehr als 2000 Produkte angeboten, ein Vollsortiment von Brot bis zum Waschmittel, die Lebensmittel überwiegend aus der Region. Nun, so hat sie befürchtet, kommt mit Alnatura ein Markthirsch, da könne sie nicht mithalten.
Doch es gibt noch einen weiteren Grund für das Ende: Die Bauarbeiten an der Ulzburger Straße, die schöner werden soll, kosten Kunden und drücken auf den Umsatz. Seitdem dort gearbeitet wird, hat Esther Eybächer
20 Prozent weniger eingenommen.
Doch das Fachgeschäft war nicht nur Einkaufsquelle, sondern auch Klönbude. Vor allem ältere Menschen aus der Nachbarschaft, oft nicht mehr so mobil, haben hier eingekauft und ein Pläuschchen gehalten. „Es ist schade, dass das Geschäft nun schließen musste“, sagt Karsten Hein, einer der vielen Stammkunden.
Da bleibt den Norderstedtern zurzeit noch das Reformhaus Engelhardt im Herold-Center als Spezialist für Bio-Produkte, kein Einzelkämpfer, sondern ein Unternehmen mit 23 Filialen in Hamburg und im Umland. „Wir verstehen uns als Fachgeschäft für gesunde Ernährung“, sagt Unternehmenssprecherin Agnes Wiebicke. Dazu zählen neben reinen Bio-Produkten diätetische Lebensmittel, laktose- und glutenfreie Kost, aber auch Pflegeprodukte. „Wir setzen gerade auf kleinere Verkaufsflächen mit 150 Quadratmetern, so kommt das Einkaufen aus der Anonymität heraus und wird übersichtlich“, sagt Wiebicke. Auch sie stellt fest, dass die Zahl der jungen Kunden wächst. Die kommende Konkurrenz mit Alnatura nimmt sie gelassen. „Durch unsere intensive Beratung haben wir zu vielen Kunden eine persönliche Beziehung“, sagt die Firmensprecherin.