Henstedt-Ulzburg. Bürger sprechen sich vehement gegen die Pläne des Netzbetreibers Tennet aus. Die Verwaltung kündigt eine Klage an.
Eine Starkstromleitung quer durch Henstedt-Ulzburg? Niemals! Diese klare Aussage wurde den Vertretern des Netzbetreibers Tennet während der Einwohnerversammlung im Bürgerhaus förmlich entgegengeschleudert. Die Verwaltung kündigte den Schritt vor das Verwaltungsgericht an, die rund 400 anwesenden Bürger sprachen sich per Abstimmung dafür aus, das Trassenfindungsverfahren neu aufzurollen und die Rechtmäßigkeit des Dialogverfahrens von der Verwaltung prüfen zu lassen.
Der in Schleswig-Holstein von Windenergieanlagen erzeugte Strom muss in den Süden Deutschlands transportiert werden. Das ist allen klar. Aber warum muss eine 380-kV-Leitung quer durch Henstedt-Ulzburg führen? Warum wird die Natur geschützt, nicht aber der Mensch? Diese Frage beschäftigt viele Henstedt-Ulzburger. Die Tennet gibt darauf ein klare Antwort: Die Aufrüstung einer Bestandsleitung sei einer neuen Leitung anderenorts vorzuziehen, so die höchstrichterliche Rechtsprechung, an der nach Ansicht der Tennet nichts zu ändern ist. Das bedeutet: Gibt es bereits eine Stromtrasse – wie in Henstedt-Ulzburg –, muss diese auch weiterhin genutzt werden.
Die 220-kV-Leitung in Verbindung mit einer 110-kV-Leitung wurde in Henstedt-Ulzburg vor etwa 50 Jahren über grüne Wiesen geführt, heute stehen in Leitungsnähe überall Häuser, sind Wohngebiete entstanden. Landschaftsplaner Uwe Herrmann drückt es während der Einwohnerversammlung drastisch aus: „Wenn es eine Vorbelastung gibt, ist dieser Raum unempfindlicher.“ Für diese Wortwahl erntete er empörte Zwischenrufe. Er stellte aus seiner Sicht klar: Der Mensch werde gleichwertig mit anderen Schutzgütern behandelt. Das sei eine rechtlich korrekte Bewertung, von der die Tennet nicht abweichen könne. Der Waldkindergarten solle nicht tangiert werden, aber schließlich sei ja auch nicht der gesamte Rantzauer Forst als Spielfläche zu betrachten.
Einwohner fühlen sich von Tennet ausgetrickst
Die Einwohnerversammlung hatte zwei unterschiedliche Gesichter. Im ersten Teil der knapp dreistündigen Veranstaltung prallten nahezu alle Argumente der Bürger ab: Die Tennet stellte unmissverständlich klar, dass sie auf einem rechtlich einwandfreien Weg sei. Die Einlassungen der Versammlungsteilnehmer wurden souverän abgeschmettert. Auf neue Argumente wartete man vergeblich. Dann aber kippte die Stimmung. Die Tennet-Leute standen plötzlich in der Defensive und mussten sich verteidigen.
Ein Besucher der Veranstaltung machten mit gut gewählten Worten deutlich, dass die Henstedt-Ulzburger in die Irre geführt worden seien: Im Internet habe lange eine Karte gestanden, auf der die Henstedt-Ulzburg-Trasse nicht eingezeichnet worden sei. „Wir fühlen uns ausgetrickst und getäuscht, weil die Trasse erst spät ins Spiel gebracht wurde.“
Uwe Herrmann knickte ein. Ja, er habe den Fehler gemacht, nicht auf die Veröffentlichung zu achten. Im März sei die Karte korrigiert worden. Nein, die Tennet habe nichts verheimlichen wollen. Beschwichtigen konnte der Landschaftsplaner die Gäste im Saal jetzt nicht mehr. Eine Gemeindepolitikerin brachte es auf den Punkt: „Wir diskutieren hier gar nicht auf Augenhöhe.“ Sie wies darauf hin, dass sie im Juni noch eine Karte ohne den Henstedt-Ulzburg-Korridor erhalten habe.
Bürgervorsteher Uwe Schmidt und Bürgermeister Stefan Bauer hatten am Ende der Veranstaltung ihre starken Auftritte. „Ich habe den Auftrag, die Trasse abzulehnen“, sagte der Bürgermeister. Er werde die Möglichkeit einer Klage prüfen lassen. „Es ist einfach ein Unding, dass die Planer auf die Idee kommen, eine solche Stromtrasse durch die größte Gemeinde Schleswig-Holsteins zu ziehen.“ Uwe Schmidt ging mit den Planern ebenfalls hart ins Gericht: „Sie haben sich selbst zuzuschreiben, dass man ihnen nicht glaubt und traut.“ Schon zu Beginn der Veranstaltung hatte er eine seiner Ansicht nach fehlende ausgewogene Untersuchung bemängelt. Das Schutzgut Mensch müsse im Vordergrund stehen und nicht das wirtschaftliche Interesse.
Es kann aber auch alles ganz anders kommen. Das machte Ingrid Nestle, Staatssekretärin im Landwirtschaftsministerium, deutlich. Schleswig-Holstein kämpfe für eine Erdverkabelung der Ostküstenleitung. „Noch ist nichts in den Brunnen gefallen.“
Nicht während der Einwohnerversammlung, aber einen Tag zuvor bei einem Redaktionsbesuch hatte Tennet-Sprecher John Karl Herrmann deutlich gemacht: „Henstedt-Ulzburg ist ein heißer Kandidat für die Erdverkabelung.“