Bad Bramstedt. Nikolay Tzaribachev behandelt Rheuma-Patienten erfolgreich mit Infusionstherapien. Doch nun wollen die Krankenkassen nicht mehr zahlen.
Annika freut sich über die Erfolge. Am Mittwoch hat die 14-Jährige es geschafft, 15 Minuten mit ihrem Hund spazieren zu gehen. Einen Tag später konnte sie in der Schule ohne Schmerzen in den Händen ein Diktat schreiben. „Im Vergleich zu früher geht es mit deutlich besser“, sagt das Mädchen, während sie ihre Medikamente per Infusion bekommt. Annika hat Rheuma. Monatelang hatte sie im Bett gelegen, weil die Gelenke steif und die Schmerzen unerträglich waren. Erst die Infusionstherapie des Bramstedter Kinderarztes Nikolay Tzaribachev hat ihr geholfen. Doch möglicherweise muss er die Behandlung von Annika abbrechen. Die Krankenkassen wollen nicht mehr zahlen. Die Infusion, die Annika bekommt, ist möglicherweise die letzte. „Das macht mir Angst“, sagt sie.
Auch ihr Bruder Tobias ist zutiefst verunsichert. Der 15-Jährige ist ebenfalls an Rheuma erkrankt, wird bei Tzaribachev mit Infusionen behandelt und sagt: „Jetzt geht es mir gut.“ Dass die Therapie am 30. Juni beendet sein könnte, weil der Arzt sie dann nicht mehr abrechnen kann, versteht der Schüler nicht: „Es ist doch bewiesen, dass es wirkt.“ Was geschieht, wenn Tobias nicht mehr in die Praxis gehen kann? „Dann habe ich kein Medikament mehr“, sagt Tobias.
Mutter Kerstin Bennecke weiß, was das bedeutet. Spätestens in vier Wochen kommt das Rheuma – eine Autoimmunkrankheit – bei Tobias zurück, fürchtet sie. Bei seiner Schwester wird es etwa sechs Wochen dauern. Die Krankheit zerstört die Gelenke. Wegen der chronischen Schmerzen können viele Rheumakinder nicht zur Schule gehen.
Infusionen nur von Krankenhäusern abrechenbar
Seit Monaten kämpft die Elmshornerin gegen die Entscheidung der Kassen, die ambulante Infusionstherapie nicht zu bezahlen. Bislang übernahm die Kassenärztliche Vereinigung per Sonderregelung die Finanzierung für 300 Kinder, hat sich jedoch wegen juristischer Bedenken zurückgezogen.
Die Kassen argumentieren, diese Infusionen seien nur von Krankenhäusern abrechenbar. Wer sein Kind behandeln lassen wolle, müsse in eine Klinik gehen. „Die Versorgung ist sicher“, hatte ein Sprecher der Ersatzkassen gesagt. Doch Infusionen wie bei Tzaribachev werden die Kinder in den Kliniken offenbar nicht bekommen. „Bislang hat keines der Kinder einen Platz bekommen“, sagt Kerstin Bennecke. Sie hatte am Wochenende gemeinsam mit 300 Kindern, Väter und Müttern für eine Fortsetzung der Therapie bei Tzaribachev in Bad Bramstedt demonstriert.
Tzaribachev behandelt viele seiner Patienten mit Biologika-Infusionen. „Mit Biologika lassen sich schwere Autoimmunerkrankungen behandeln, bei denen bisher kein anderes Medikament wirklich helfen konnte“, schreibt die Deutsche Rheumaliga über das Präparat. 1000 rheumakranke Kinder aus ganz Norddeutschland kommen regelmäßig in Tzaribachevs Praxis Rhe.ki.tz (Rheumatologische Kinderpraxis Tzaribachev), 300 von ihnen bekommen die Infusionen.
Er geht heftig mit den Kostenträgern ins Gericht. „Hier werden Gesetze überschritten“, sagt der Arzt. Der Gesetzgeber schreibe eindeutig vor, ambulante den stationären Therapien vorzuziehen Die Therapie nicht fortzusetzen, grenze an Körperverletzung. Die Behauptung, die Versorgung sei gesichert, bezeichnet Tzaribachev als Lüge. In vielen Ländern gehöre die Infusionstherapie zum Standard: „Das sind zugelassene Medikamente, die auf der ganzen Welt verwendet werden.“
Zeitnahe Versorgung der Kinder sei gewährleistet
Die Demonstration und Petitionen der Eltern in Landtag und Bundestag sowie wachsender Druck aus der Politik lassen offenbar auch die Krankenversicherungen und Kliniken nicht unbeeindruckt. Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) habe sich in dieser Woche mit den Kassen auf die Gründung von kinderrheumatologischen Tageskliniken in Kiel und Lübeck geeinigt, sagt UKSH-Sprecher Oliver Grieve . Eine „zeitnahe Versorgung“ sei gewährleistet. Bei der Vergabe von Terminen werde man die besondere Situation der rheumakranken Kinder berücksichtigen, kündigte Grieve an.
Auch im Westküstenklinikum Heide und Brunsbüttel (WKK) sollen spezialfachärztliche Ambulanzen eingerichtet werden. „Unsere Ambulanz für Kinder- und Jugendrheumatologie steht allen Patienten offen“, sagte Christiane Seitz, Chefärztin der Kinder- und Jugendmedizin im Westküstenklinikum. Ihr Kollege Philipp von Bismarck, Leiter der Kinderrheumatologie am UKSH, sagte: „Wir sind auf die Betreuung zusätzlicher Patienten vorbereitet.“
Gabriela Riemekasten, Leiterin der Rheumatologie am UKSH in Lübeck, warnt vor Panikmache oder Horrorszenarien. Mit unzumutbaren Wartezeiten sei nicht zu rechnen. „Es entstehen keine irreversiblen Zustände, wenn eine Therapie erst einmal neu bewertet werden muss“, sagte sie.
Doch genau vor Neubewertungen und Arztwechsel haben Kerstin Bennecke und die anderen Eltern Angst. Jahrelang waren sie mit ihren kranken Kinder von Arzt zu Arzt gegangen. Viele therapierten mit klassischen Medikamenten gegen Entzündungen und Schmerzen – mit gravierenden Nebenwirkungen und nicht immer mit Erfolg. Bei der Demonstration in Bad Bramstedt feierten viele Väter, Mütter und Kinder Tzaribachev wie einen Popstar. „Er hat unsere Kinder aus dem Rollstuhl geholt“, hieß es übereinstimmend.“
„Ab 1. Juli ist die körperliche Unversehrtheit unserer Kinder nicht mehr gewährleistet“, sagt Kerstin Bennecke. Alle Eltern hätten bei Anrufen in den Kliniken die Information erhalten, dass die Kinder nicht mit Infusionen rechnen dürfen.
Sollte es bei der Entscheidung der Krankenkassen bleiben, will Tzaribachev Deutschland verlassen: „Hier kann ich nicht arbeiten.“