Podiumsdiskussion im Rathaus thematisierte das drohende Aus der freiberuflichen Hebammen aufgrund der Erhöhung der Haftpflichtprämie.
Mehr als 200 aufgebrachte Mütter und Hebammen kamen zur Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Gesundheitswesen und Krankenkasse über das drohende Aus der freiberuflichen Hebammen in den Plenarsaal des Norderstedter Rathauses. Aufgrund rigider Erhöhung der Haftpflichtprämie auf jetzt 6300 Euro pro Jahr mussten bereits viele freie Hebammen ihren Beruf im freiberuflichen Bereich aufgeben. Schleswig-Holstein droht, zum Hebammen freien Land zu werden.
Auch in Norderstedt gibt es immer weniger freie Hebammen. Die Hebammenpraxis Am Kielortplatz schließt zum September. „Das Recht auf freie Geburt wollen die KV-Spitzenverbände (Kassenärztliche Vereinigung) beschneiden“, brachte Norderstedts Stadtpräsidentin Kathrin Oehme bei der Eröffnung der Veranstaltung der Norderstedter Gleichstellungsstelle das Streitthema auf den Punkt.
Derzeit ist die Diskussion über das Entgelt der Hebammen, die ihr Honorar für Geburt, Betreuung vor und nach der Geburt direkt mit den Krankenkassen abrechnen, in einem Schiedsverfahren zwischen den Verwaltungsjuristen der GKV (gesetzliche Krankenversicherung) und den Hebammen-Verbänden anhängig.
„Für die Hebammen geht es um die Existenz“
Geburten werden einerseits immer mehr in Kliniken verschoben, die aber schließen andererseits ihre Kreißsäle wegen angeblicher Unrentabilität und sind häufig überfordert. „Kaiserschnitte nehmen zu, sie bringen Geld, das ist ein Horror-Szenario“, sagt Oehme.
„Es ist knapp, es geht für die Familien um die freie Wahl der Geburt und für die Hebammen um die Existenz“, sagt Claudia Meyer, als Gleichstellungsbeauftragte mit ihrem Team Organisatorin der Podiumsdiskussion.
„Wir haben eine Kostenexplosion und stehen wirtschaftlich vor dem Nichts“, sagt Martina Meyer, Leiterin der Hebammenpraxis. Dadurch würden auch junge Hebammen verprellt und in andere Berufe wechseln.
„Unser Ziel ist, die flächendeckende Versorgung mit Hebammen und das Recht der Mütter auf selbstbestimmten Geburten zu erhalten“, sagt Franz Thönnes, SPD-Bundestagsabgeordneter. Dafür sei eine angemessene Vergütung der Hebammen erforderlich. Bisher habe seine Fraktion beschlossen, dass die Krankenkassen die Hebammen ab 1. Juli finanziell entlasten müssten, und dass Hebammen, die die 6300-Euro-Prämie nicht zahlen können, ab Juli einen Sicherstellungszuschlag erhalten.
Zudem müssen Kranken- und Pflegekassen künftig auf Regressforderungen gegenüber freien Hebammen verzichten, und Familien sollen Hebammen künftig zwölf statt bisher acht Wochen in Anspruch nehmen können. Vorher aber müsse das Schiedsverfahren abgeschlossen werden.
„Nur mit Hebammen werden Geburten erst möglich, und die Betreuung durch Hebammen während der Schwangerschaft und nach der Geburt ist unersetzbar, das Modell der 1:1-Betreuung darf nicht passé sein“, sagt Peter Kuchenbuch von der Securvita Krankenkasse. Sie hat auch die Zahlung einer Rufbereitschaftspauschale für die Geburtshelferinnen durchgesetzt und zahlt als einzige Krankenkasse für jede Geburt eine Existenzsicherungspauschale von 50 Euro. Geburten aber können durchaus mehr als 24 Stunden dauern.
CDU-Landtagsabgeordnete Rathje-Hoffmann fordert langfristige Lösung
„Wir brauchen eine langfristige Perspektive für die freiberuflichen Hebammen und die Wahlfreiheit, wo und wie wir Kinder zur Welt bringen“, fordert Marret Bohn, sozial- und gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im schleswig-holsteinischen Landtag. Zudem müsse in Schleswig-Holstein die flächendeckende Versorgung wieder hergestellt werden. „Im September will die Landesregierung ein entsprechendes Konzept vorlegen“, sagte Bohn.
„Mit dem Geburtshilfekonzept müsssen wir eine langfristige Lösung für die Familien und die Hebammen finden“, fordert Katja Rathje-Hoffmann, CDU-Landtagsabgeordnete. Zudem würden die Hebammen fachliche Untersützung brauchen, um sich gegen die Verwaltungs-Juristen der GKV durchsetzen zu können.
„Den Hebammen wurde die Deutungshoheit darüber abgesprochen, was ein normaler Prozess in Schwangerschaft, während der Geburt und des Wochenbetts ist und den Ärzten überlassen. Und hier liegt ein Grund für die heutige Situation“, sagt Gabriele Langer-Grandt, Hebamme und Landeskoordinatorin der Gesellschaft für außerklinische Geburt (QUAG), die seit 1996 umfassende Qualitätsmerkmale für die Arbeit der freien Hebammen erhebt.
„Hebamme ist ein typischer Frauenberuf und entsprechend schlecht bezahlt“, setzt Langer-Grandt nach. Zudem würden sich Frauen bei einer außerklinischen Geburt sicherer aufgehoben fühlen als in der Klinik. Obendrein sei die Privatisierung der Krankenhäuser ein großer Faktor für die Hebammen-Misere, und Frauen müssten bereits kurz nach der Geburt die Kliniken verlassen. Der Klinik sei es egal, ob Mutter und Kind eine ambulante Nachversorgung haben.
„Die Vor- und Nachsorge ist aber genauso wichtig wie die Geburt“, sagt Sabine Kühl von Pro Familia Norderstedt.