Norderstedt. Die Geschichte des Dorfes Friedrichsgabe im Nationalsozialismus wird in einem Internet-Projekt aufgearbeitet und am 11. Juni öffentlich vorgestellt

Noch sind Fried­richsgabe und Garstedt weiße Flecken auf der Karte. Wer die Website „Spurensuche im Kreis Pinneberg“ besucht, der sieht zwar immer mehr Punkte, die das Gebiet des Kreises Pinneberg bedecken. In den heute zu Norderstedt gehörenden, ehemals eigenständigen Gemeinden ist es aber noch weiß. Doch das täuscht. Wer genauer hinschaut und in die Karte hineinscrollt, der sieht in Friedrichsgabe bereits viele Ergebnisse der Nachforschungen von Jörg Penning.

Penning gehört zum Vorstand des Vereins, der die Website trägt. Durch eine Nachfrage auf die Spur nach Fried­richsgabe gelenkt, begann er vor einiger Zeit, sich mit dem Norderstedter Stadtteil zu beschäftigen, der zur Zeit des Nationalsozialismus noch zu Pinneberg gehörte. Am Donnerstag, 11. Juni, stellt Penning die Spuren unter dem Titel „Friedrichsgabe im Nationalsozialismus“ erstmals einer breiten Öffentlichkeit vor. Los geht es um 20 Uhr im Gemeindehaus der Johanneskirche, Bahnhofstraße 77.

„Die NS-Geschichte ist für Norderstedt so gut wie unbearbeitet“, sagt der Friedrichsgaber Pastor Eckhard Wallmann, der Penning bei seinen Forschungen unterstützt. Dadurch, dass der Hamburger Soziologe nun anhand der Quellen viele Sachverhalte aufklären konnte, sei nun vermutlich das meiste Schlimme bekannt, schätzt Wallmann. Und davon gibt es einiges. Zum Beispiel die Durchsuchungsaktionen am 12. August 1933 in Friedrichsgabe und Harksheide. Ziel war es laut Pennings Artikel auf der Website, Waffen oder „staatsfeindliche Propagandamaterialien“ aufzufinden. Etwa ein Dutzend Polizisten und doppelt so viele SS- und SA-Männer suchten die Gegend ab.

Gnadenlose Jagd auf Gegner des Nationalsozialismus in der Gegend

„Besonders die Häuser und Siedlungen am Heidberg wurden vorgenommen, weil dort angeblich Gegner der damaligen NSDAP sein sollten“, sagte ein beteiligter Gendarm nach dem Krieg aus. Verhaftet wurden beispielsweise Reinhold Masanek, der SPD-Vorsitzende von Harksheide, und der Heizer Otto Schulz aus Friedrichsgabe, der als engagierter Sozialdemokrat bekannt war. Später erinnerte Schulz sich mit folgenden Worten an die Aktion: „Cirka zehn Personen – Polizei und SA-Leute – drangen in meine Wohnung ein und führten eine Haussuchung durch. Dieses war mir aber nichts Neues, da es bereits die neunte Haussuchung war. Als sie in meiner Wohnung einen Gummiknüppel fanden, wurde ich festgenommen und auf den Lkw geschafft.“

Masanek, Schulz und andere wurden in die Gastwirtschaft von Emma Hagen „Zum Heidberg“ an der Ulzburger Straße 499 gebracht und dort auch misshandelt.

Mittäter am 12. August 1933 war der NSDAP-Ortsgruppenleiter von Friedrichsgabe und spätere Bürgermeister, Karl Lührs. Der gelernte Schlachter wohnte an der Schwagerstraße – heute Glockenheide –, die in den Jahren zwischen 1935 und 1939 nach dem NSDAP-Gauleiter von Schleswig-Holstein, Hinrich Lohse, umbenannt worden war. Lührs war 1930 in die NSDAP eingetreten und gründete im Jahr 1930 die Ortsgruppe, deren Leiter er sofort wurde. Im September desselben Jahres stimmten in der Gemeinde bereits 171 Wähler oder 46,1 Prozent bei den Reichstagswahlen für die Partei Adolf Hitlers, im Juli 1932 sollten es 246 Stimmen oder 53,4 Prozent sein. Lührs sorgte unter anderem auch dafür, dass der damalige SPD-Bürgermeister Helmut Klute aus dem Amt gedrängt wurde – auch dessen Geschichte findet sich nun aufgearbeitet im Internet.

Der NS-Gegner Karl Offen erschoss sich, um einer Verhaftung durch die Nazis zu entgehen

Die Person des Ortsgruppenleiters war es auch, die Jörg Penning auf die Suche nach den historischen Ereignissen in Friedrichsgabe gebracht hat. Die Enkelin Lührs’ hatte sich an die Redaktionsgruppe des Webseitenprojektes gewandt. Daraufhin begann Penning, der sich ansonsten im Rahmen der Spurensuche vor allem um Quickborn kümmert, sich mit der Person und den historischen Ereignissen zu beschäftigen. Eines seiner Ergebnisse hat bereits Folgen: Für den Sozialdemokraten und Nazi-Gegner Karl Offen soll im Herbst ein Stolperstein im Apmannweg verlegt werden. Offen erschoss sich im Dezember 1941, um der Verhaftung zu entgehen. Er war von seinem Chef, dem Garstedter Tischlermeister Wilhelm Stürzenbacher, denunziert worden. „Wir haben uns im Januar an die Stadt gewandt und haben die Genehmigung für den Stolperstein“, sagt Reinhold Nawratil, der für die SPD die Sache in die Hand genommen hat. Solch eine Form der Erinnerung ist auch ganz im Sinne von Pastor Wallmann, der hofft, dass durch das Friedrichsgaber Beispiel nun auch in anderen Teilen Norderstedts und auch an den Schulen das Interesse an der NS-Geschichte vor Ort geweckt wird. „Wir sind der erste Stadtteil, wo überhaupt etwas über die NS-Geschichte zu lesen ist.“ Auch Jörg Penning wünscht sich weitere Mitstreiter vor Ort, um nach und nach die weißen Flecken der Lokalgeschichte des Nationalsozialismus anzugehen. Zunächst aber stellt er in Friedrichsgabe seine ersten Ergebnisse vor.