Norderstedt. Woche zwei im Kita-Streik: 250 Erzieher demonstrierten am Dienstag auf dem Rathausmarkt in Norderstedt ihre Entschlossenheit.
Natürlich sind Erzieherinnen und Erzieher nie um einen Abzählvers oder ein lustig gereimtes Liedchen verlegen – auch eine der vielen Kernkompetenzen dieses Berufes. Und so wird aus „We will rock you!“ am Dienstag „Heute ist die Kita zu!“, skandiert aus den Kehlen von 250 Mitarbeitern aus städtischen Norderstedter Kitas und aus kommunalen Einrichtungen des ganzen Kreises, die protestierend über Norderstedter Straßen ziehen. Und: „Alle Leut’, alle Leut’, sind heut’ im Streik! Dicke Leute, dünne Leute, kleine Leute, große Leute“ – und so weiter und so fort.
Doch so niedlich wie die Protest-Sprüche ist die Situation der Kita-Angestellten im öffentlichen Dienst längst nicht. In Woche zwei ihres Erzwingungsstreiks scheint ihre Wut über niedrige Löhne und mangelnde Anerkennung noch stärker zu werden. Ihre Entschlossenheit, nicht mehr von ihrer Position abzurücken, scheint groß. Sie fordern von den kommunalen Arbeitgeberverbänden, dass die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst mehrere Tarifstufen höher eingruppiert werden. Ein durchschnittliches Lohn-Plus von zehn Prozent wäre die Folge.
Bei der zentralen Kundgebung auf dem Rathausmarkt spricht der Tarifkoordinator Nord der Gewerkschaft Ver.di, Jochen Penke. „Die Arbeitgeber spielen auf Zeit! Wir müssen uns auf einen langen Streik einstellen, liebe Leute!“ Als Grund für die unbewegliche Haltung der Arbeitgeberverbände nennt Penke die Tatsache, dass die Städte am Streik eher verdienen. „Gehälter müssen nicht gezahlt werden, Kita-Gebühren werden einbehalten und nicht erstattet. Das alles drückt die nicht!“ Auf die Palme hätten Penke die „Nebelkerzen und Spaltpilze“ der Arbeitgeberseite gebracht. Da werde davon gesprochen, Erzieher würden jetzt schon mehr als genug verdienen und dass die Gehaltserhöhung dafür sorgen würde, dass bei Schwimmbädern, Bibliotheken, bei den Vereinen, im Straßenbau – kurzum überall gespart werden müsse. „Ihr seid für den Niedergang der Republik verantwortlich!“, sagte Penke. Die Protestierenden auf dem Rathausmarkt quittieren es mit lauten Buh-Rufen.
Penke ruft Eltern dazu auf, die Kita-Gebühren bei den Städten zurückzufordern. Er ermuntert die Erzieher, den Protest auch in die Kitas anderer Betreiber zu tragen, „damit die Kollegen dort den Hintern hochkriegen und damit noch mehr Schwung in diese Bewegung bringen!“
Beim Streikfrühstück vergleichen die Erzieher den Netto-Verdienst
Vor der Demo, um 9 Uhr morgens, hatten sich die Teilnehmer im Streiklokal, dem 101 Prozent TuRa, versammelt. Beim Streikfrühstück wurde Tacheles geredet. „Als ich 1983 als Kinderpflegerin in der Kita angefangen habe, da haben wir gebastelt, gesungen und gemalt. Doch heute ist das doch ein völlig anderer Job“, sagt Sabine Gorges, 51, Erzieherin der Kita Forstweg. Es bestehe ein Bildungsauftrag, die Kinder müssten musisch, mathematisch, motorisch und ethisch gefördert werden. „Dazu die Aufsichtspflicht und ständige Verantwortung – mich hat das phasenweise psychisch sehr belastet.“ Derzeit arbeitet sie 30 Stunden im Monat. Netto bleiben ihr 1300 Euro. „So viel? Echt?“, sagt Kollegin Yvonne Hausmanns, 34, die nach ihrer fünfjährigen Ausbildung seit 13 Jahren den Job macht. „Ich bin alleinerziehende Mutter eines Sohnes und arbeite 35 Stunden die Woche. Mir bleiben gerade 1250 Euro netto.“ Eine Zeit lang hatte sie auf 30 Stunden reduziert. „Mein Sohn brauchte mich damals mehr. Mein Gehalt musste ich über Hartz IV aufstocken, damit ich über die Runden kam.“ Sie liebe den Job und die Kinder. „Jedes Kind ist toll, so wie es ist. Wir wollen sie individuell nach ihren Stärken und Schwächen fördern, so gut es geht.“ Dirk Steffens, 47, ist seit über 20 Jahren im Erzieher-Job. In der Kita Storchengang betreut er die Waldgruppe. Er habe sein Hobby zum Beruf gemacht. Er trage massiv Verantwortung für die ihm anvertrauten Kinder und will sich nicht damit abfinden, dass am Monatsende trotzdem nur 2300 Euro netto übrig bleiben. „Und ich bin am Ende der Tarifstufe.“
Steffens Vorgesetzter ist Thomas Kasubke, 46. Er ist der Leiter der Kita Storchengang seit drei Jahren. Der Heilpädagoge und Kita-Fachwirt hat am Monatsende 2100 Euro auf dem Konto. „Dabei führe ich mit 22 Mitarbeitern ein mittelständisches Unternehmen.“ Natürlich gehe niemand in diesen Job, wenn er Geld verdienen wolle, sagt Kasubke. „Mir ging es immer darum, jungen Menschen Werte zu vermitteln.“ In seinem Bekanntenkreis bekäme er dafür viel Anerkennung. „Aber die arbeiten alle in der freien Wirtschaft und verdienen so viel mehr. Ich bin älter geworden, habe eine kleine Tochter. Mit dem Gehalt kommt man da nur schwer zurecht.“
Norderstedt müsse sich bewegen. „Der Konkurrenzkampf der Kommunen um die Fachkräfte wird immer härter“, sagt Kasubke. In Hamburg würden Erzieher zwei Tarifstufen höher eingruppiert als in Norderstedt. „Auf Stellen bei mir bewerben sich nicht mehr 20 Leute, sondern nur noch fünf.“ Die Eltern würden ihr höchstes Gut, ihre Kinder, bis zu acht Stunden in die Obhut der Kita geben. Kasubke: „Wir Erzieher müssen den Kleinen alles vermitteln, wozu die Eltern keine Zeit mehr haben. Doch dazu braucht es motivierte Betreuer, die sich nicht in Zweit- oder Drittjobs kaputt machen, um mehr Geld zu verdienen.“