Betrunkener verletzt Polizisten aus Norderstedt. Gewerkschaft der Polizei fordert neues Gesetz und spricht von “ausufernder Gewalt“.
Kreis Segeberg. Der Täter wartete geduldig und schlug erst zu, als niemand damit rechnete. Von der Polizei gefesselt, kniete der 20-Jährige auf dem Boden der Ambulanz im Heidberg-Krankenhaus, damit der Arzt die angeordnete Blutprobe entnehmen konnte. Als Oberkommissar Sebastian Walter und sein Kollege dem Mann wieder auf die Beine helfen wollten, kam es zu der überraschenden Attacke: Der 20-Jährige holte aus und verpasste dem 35 Jahre alten Polizisten vom Norderstedter Revier eine schmerzhafte "Kopfnuss". Nur eine schnelle Reaktion des Beamten verhinderte schwere Verletzungen. Geistesgegenwärtig drehte er den Kopf zur Seite. Der Angreifer traf ihn "nur" am rechten Jochbein. Kopfschmerzen und eine Schwellung waren die Folge.
Dass Polizisten angegriffen werden, gehört für die Beamten inzwischen fast zum Alltag. In wenigen Jahren habe sich die Zahl der Widerstandshandlungen in der Polizeidirektion Segeberg nahezu verdoppelt, sagt der Kreisvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Reimer Kahlke. Im letzten Jahr zählten die Beamten 233 Angriffe. Kahlke spricht von "ausufernder Gewalt". 35 Jahre sei er als Polizeibeamter im Dienst, doch so schlimm wie jetzt sei die Situation noch nie gewesen.
Die Gewalt gegen Polizisten beschäftigt auch die Politik. In der Innenministerkonferenz der Länder und im Bundesinnenministerium werden härtere Strafen diskutiert. Kahlke und die GdP regen an, einen eigenen Paragrafen zu schaffen, in dem die Strafen bei Attacken gegen Einsatzkräfte neu geregelt werden.
"Ich habe das Gefühl, dass die Menschen gewaltbereiter geworden sind", sagt auch Sebastian Walter. Die Hemmschwelle zuzuschlagen sinke. Deswegen achte er mit seinen Kollegen zunehmend auf die sogenannte Eigensicherung: "Im Vergleich zu früher geht man vorsichtiger an viele Einsätze heran." Klar sei, dass nicht jede Situation kalkulierbar sei. Außerdem könne eine bürgernahe Polizei nicht grundsätzlich mit Distanz auf die Menschen zugehen. Einig sind sich alle Polizisten, dass fast immer Alkohol im Spiel ist, wenn sie angegriffen werden.
Auch der Norderstedter, der Walter vor einer Woche attackierte, war betrunken und der Polizei als aggressiv bekannt. Der 20-Jährige hatte auf einer Party an der Ulzburger Straße randaliert und war von Gästen aus dem Haus gezerrt und verprügelt worden. Eine zufällig vorbei kommende Streifenwagenbesatzung ging dazwischen. Walter und sein Kollege wurden zur Verstärkung hinzu gerufen (wir berichteten). Da der Mann Streit suchte und eine Rangelei begann, entschieden die Polizisten, ihn nach der Behandlung seiner leichten Kopfverletzung in eine Gewahrsamszelle zu sperren. Zur medizinischen Versorgung fuhren Walter und sein Kollege den 20-Jährigen ins Heidberg-Krankenhaus, wo es zu der "Kopfnuss" kam.
Der Polizeichef im Kreis Segeberg, Heinz Parchmann, führt die zunehmende Aggression auf eine weit verbreitete Ellbogenmentalität und Alkoholprobleme zurück. Weitere Erkenntnisse erhofft er sich von einer Studie des Kriminologischen Instituts in Hannover, das nach den Ursachen forscht. Dass Entscheidungen der Polizei immer seltener akzeptiert werden, hat Parchmann besonders bei Großveranstaltungen und in den Nachtdiensten seiner Kollegen an Wochenenden festgestellt.